VwGH 2011/23/0136

VwGH2011/23/013613.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der H, vertreten durch Dr. Ladislav Margula, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock-im-Eisen-Platz 3/26, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Dezember 2007, Zl. E1/348946/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AVG §52;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, reiste im Oktober 2000 legal zum Zweck der Absolvierung eines universitären Studiums nach Österreich ein. Sie verfügte ab Dezember 2000 über eine für die Durchführung eines Studiums erforderliche Aufenthaltserlaubnis, die wiederholt verlängert wurde. Im Juni 2006 wurde sie (im Hinblick auf den fehlenden Studienerfolg im Studienjahr 2005/2006) niederschriftlich darauf hingewiesen, dass sie im Fall des Ausbleibens eines positiven Studienerfolgsnachweises bei der nächsten Verlängerung mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu rechnen habe; in der Folge wurde ihr eine bis zum 1. April 2007 gültige Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt.

Der Verlängerungsantrag der Beschwerdeführerin vom 29. März 2007 wurde von der Niederlassungsbehörde - im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin letztmals am 9. Februar 2005 eine Prüfung abgelegt und den erforderlichen Studienerfolg somit (erneut) nicht erbracht habe - zunächst nicht erledigt und der Akt wegen des Fehlens von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 25 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) der Bundespolizeidirektion Wien übermittelt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. Dezember 2007 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin bis zum Studienjahr 2004/2005 den nach den gesetzlichen Vorschriften geforderten Studienerfolg "im Wesentlichen" erbracht habe. In den Studienjahren 2005/2006 und 2006/2007 habe sie hingegen keine einzige Prüfung erfolgreich abgelegt. Die Beschwerdeführerin habe psychologische Probleme, Stress, Nervosität und Druck als Grund für die nicht bestandenen Prüfungen angegeben und vorgebracht, dass der Studienfortgang durch Lernschwierigkeiten behindert sei und dies außerhalb ihres Einflusses liege. Weiters habe sie ein privatärztliches Attest vom 27. August 2007 vorgelegt, dem zufolge ihre psychische und soziale Situation unter anderem eine Erklärung dafür biete, warum sie nicht in der Lage gewesen sei, den erforderlichen Studienerfolg vorzuweisen. Die belangte Behörde habe daraufhin eine amtsärztliche Untersuchung veranlasst. Nach dem somit erstellten, polizeichefärztlichen Gutachten seien die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten medizinischen Gründe nicht für so schwerwiegend zu beurteilen, dass ihr das Lernen für Prüfungen und deren Ablegung nicht zumutbar bzw. möglich gewesen wären.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin angesichts der strengen Zweckbindung der (zum Zweck des Studiums) zu erteilenden Aufenthaltsbewilligung öffentlichen Interessen in erheblichem Ausmaß zuwiderlaufe. Hinsichtlich der geltend gemachten medizinischen Gründe für das Fehlen des Studienerfolgs verwies die belangte Behörde auf das ihrer Entscheidung zugrunde gelegte, polizeichefärztliche Gutachten, dem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten sei. Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung, sage nichts darüber aus, ob das Fehlen des Studienerfolgs auf Gründe iSd § 64 Abs. 3 zweiter Satz NAG zurückzuführen sei (die der Einflusssphäre der Beschwerdeführerin entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar seien).

Im Rahmen ihrer Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den siebenjährigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und auf die starken familiären Bindungen zu ihren in Österreich lebenden Eltern und zu einem Bruder. Die daraus ableitbaren persönlichen Interessen seien allerdings dadurch in ihrem Gewicht entscheidend gemindert, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin (nur) zum vorübergehenden Zweck des Studiums berechtigt gewesen sei, sie aber nur einen unzureichenden Studienerfolg aufzuweisen habe. Gründe für eine für die Beschwerdeführerin günstige Ermessensentscheidung seien weder ersichtlich noch dargelegt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG bzw. des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Dezember 2007 geltende Fassung.

Die Beschwerdeführerin verfügte unstrittig über einen (zuletzt bis zum 1. April 2007 verlängerten) Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums und hielt sich während eines - über ihren rechtzeitigen Antrag eingeleiteten - Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet auf. Sie konnte daher gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 FPG ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund im Sinn des Fehlens einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 1 oder 2 NAG entgegenstand (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0188, und jüngst das Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0293, jeweils mwN).

Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin die Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG, wonach der Aufenthaltstitel des Fremden nicht öffentlichen Interessen (iSd § 11 Abs. 4 Z 1 NAG) widerstreiten dürfe, nicht erfülle, weil sie sich seit Herbst 2000 ausschließlich zu Studienzwecken im Bundesgebiet aufgehalten, aber in den letzten beiden Studienjahren (nämlich 2005/2006 und 2006/2007) keine einzige Prüfung erfolgreich abgelegt habe.

Diese Ansicht kann nicht als rechtswidrig erkannt werden:

Gemäß § 64 Abs. 3 NAG (der für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für Studierende die Erbringung eines Studienerfolgsnachweises nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften verlangt) iVm § 75 Abs. 6 des Universitätsgesetzes 2002 - UG wäre für einen ausreichenden Studienerfolg der Nachweis der positiven Beurteilung von Prüfungen im Umfang von mindestens 16 ECTS-Anrechnungspunkten (8 Semesterstunden) während des vorausgegangenen Studienjahres erforderlich gewesen. Auch die Beschwerdeführerin behauptet aber nicht, in den Studienjahren 2005/2006 bzw. 2006/2007 (auch nur) eine für den erfolgreichen Abschluss des Studiums erforderliche Prüfung positiv abgelegt zu haben. Am Fehlen jeglichen Prüfungserfolgs in den beiden der Bescheiderlassung vorausgegangenen Studienjahren ändert auch nichts, dass die Beschwerdeführerin davor - nämlich im Studienjahr 2004/2005 - den geforderten Studienerfolg erbracht hat. Schließlich tritt die Beschwerdeführerin auch der Feststellung der belangten Behörde nicht entgegen, dass sie bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 13. Dezember 2007 keine Zeugnisse über allfällige im Wintersemester 2007/2008 abgelegte Prüfungen beigebracht habe, obwohl dies in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid in Aussicht gestellt worden sei. Soweit die Beschwerdeführerin in mehreren Stellungnahmen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf ihre ab Juni 2008 abgelegten Prüfungen hinweist, stellt dies eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung dar (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).

Die Beschwerdeführerin bringt allerdings wie schon im Verwaltungsverfahren vor, dass sie auf Grund psychologischer Probleme und Stress ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen habe müssen und wegen dieser gesundheitlichen Belastung nicht imstande gewesen sei, Prüfungen abzulegen. Diese therapiebedürftige Erkrankung sei unvorhergesehen, nicht selbst verschuldet und daher unabwendbar. Damit spricht sie inhaltlich die Bestimmung des § 64 Abs. 3 zweiter Satz NAG an, wonach eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende trotz Fehlens eines Studienerfolgsnachweises verlängert werden kann, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Die belangte Behörde hat im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren psychischen Problemen und das von ihr vorgelegte privatärztliche Gutachten ein polizeichefärztliches Gutachten eingeholt, dem zufolge die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten medizinischen Gründe nicht für so schwerwiegend zu beurteilen seien, dass ihr das Lernen für Prüfungen und deren Ablegung nicht zumutbar bzw. möglich gewesen wären. Es ist nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde dieses Gutachten als schlüssig angesehen und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Auffassung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe den polizeichefärztlichen Feststellungen im Verwaltungsverfahren nur unsubstanziiert widersprochen, tritt die Beschwerde nicht entgegen. Die belangte Behörde durfte auch davon ausgehen, dass der bloße Umstand einer (jedenfalls seit November 2007 erfolgenden) psychotherapeutischen Behandlung für sich allein nicht dazu führt, dass vom Vorliegen eines Grundes im Sinn des § 64 Abs. 3 zweiter Satz NAG auszugehen war, zumal die Beschwerdeführerin bereits ab Sommer 2005 keinen Studienerfolg mehr nachweisen konnte.

Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang auch, die belangte Behörde hätte Art, Schwere und Auswirkungen ihrer Erkrankung nicht selbst beurteilen dürfen, sondern sie hätte einen "unabhängigen, fachärztlichen Gutachter" bestellen müssen. Dem ist zu erwidern, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung ohnehin auf ein ärztliches Gutachten gestützt hat; ein Anspruch auf Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung besteht hingegen nicht (vgl. das Erkenntnis vom 19. März 2009, Zl. 2009/18/0067, mwN).

Darüber hinaus ist dem Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend ihren Gesundheitszustand zu entgegnen, dass § 64 Abs. 3 zweiter Satz NAG nicht dazu führt, dass das Fehlen eines ausreichenden Studienerfolges in solchen Fällen unter keinen Umständen eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellen kann. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit dieser Bestimmung einem Fremden, dessen bisheriges Verhalten über (hier: mehr als zweieinhalb) Jahre gezeigt hat, dass er - aus welchem Grund auch immer - nicht in der Lage ist, einen Studienerfolg iSd § 75 Abs. 6 UG zu erbringen und bei dem auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine baldige Änderung dieser Situation vorliegen, die Möglichkeit verschaffen wollte, sich weiterhin zum ausschließlichen Zweck des Studiums in Österreich aufzuhalten (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0188, mwN).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde im Aufenthalt der Beschwerdeführerin zum ausschließlichen Zweck des Studiums, ohne dass sie in den beiden vorausgegangenen Studienjahren einen Studienerfolg aufweisen konnte, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- (und Studien-)wesens iSd § 11 Abs. 4 Z 1 NAG gesehen hat. Die belangte Behörde ist somit zu Recht vom Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG und von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 54 Abs. 1 Z 2 FPG ausgegangen.

Die Beschwerde wendet sich schließlich gegen die gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung der belangten Behörde. Sie verweist diesbezüglich auf ihren siebenjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, auf ihre Sprachkompetenz, auf die fehlenden Bindungen zu ihrem Heimatstaat und vor allem darauf, dass sie bei ihren Eltern lebe und von diesen erhalten werde.

Die belangte Behörde hat den ca. siebenjährigen Aufenthalt der ledigen und volljährigen Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und die familiären Bindungen zu ihren Eltern und ihrem Bruder bei ihrer Interessenabwägung ausreichend berücksichtigt. Sie ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass die daraus ableitbaren persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich in ihrem Gewicht dadurch entscheidend gemindert werden, dass ihr Aufenthalt bisher nur für den - vorübergehenden - Zweck des Studiums berechtigt war, sie aber in den beiden vorausgegangenen Studienjahren keinen Studienerfolg vorzuweisen hatte. Angesichts dessen führen weder das Vorbringen der Beschwerdeführerin, durch die fortgesetzte Inskription und die Entrichtung der Studienbeiträge werde ihre Verbundenheit mit der Universität dokumentiert, noch die von ihr geltend gemachte Sprachkompetenz und die fehlenden Bindungen zu ihrem Heimatstaat zu einer entscheidungserheblichen Verstärkung ihrer persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet. Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin steht das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremden- und Studienwesens gegenüber. Die Ansicht der belangten Behörde, die Ausweisung sei zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), ist nicht als rechtswidrig zu erkennen. Soweit die Beschwerdeführerin auf den mit ihrer Ausweisung verbundenen Abbruch ihrer Therapie verweist, behauptet sie damit nicht, dass eine Behandlung ihrer gesundheitlichen Probleme nur in Österreich möglich sei.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist auch die von der belangten Behörde zuungunsten der Beschwerdeführerin vorgenommene Ermessensübung nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2012

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