VwGH 2011/22/0078

VwGH2011/22/007813.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch die Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Universitätsring 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 12. November 2010, Zl. 156.420/2-III/4/10, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §50;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/029;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/122;
NAG 2005 §72;
FrPolG 2005 §50;
NAG 2005 §21 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/029;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/122;
NAG 2005 §72;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 18. März 2010 eingebrachten Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des Studiums gemäß § 21 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2002 mit einem bis 9. März 2003 gültigen Visum "C" in das österreichische Bundesgebiet eingereist und nach Ablauf des Visums hier geblieben sei. Erst sieben Jahre nach Einreise in das Bundesgebiet habe er einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte er aber den Antrag bei der örtlich für ihn zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung über den Antrag im Ausland abwarten müssen. Somit stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des Antrags entgegen.

§ 21 Abs. 3 NAG ermögliche nunmehr die Zulassung der Antragstellung im Inland in taxativ aufgezählten Fällen, wenn die Ausreise des Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Der Beschwerdeführer habe am 18. März 2010 (auch) einen Antrag auf Zulassung der Antragstellung im Inland gemäß § 21 Abs. 3 NAG eingebracht. Er habe angegeben, dass er nicht verheiratet wäre, in Nigeria keine Probleme mit der Politik, sondern wirtschaftliche Schwierigkeiten gehabt hätte, im Heimatland Eltern, Schwester und vier Brüder lebten und er an der Universität und in der Folge an der Fachhochschule W studiert hätte. Geld hätte er aus Arbeiten als Computertechniker bei Freunden erhalten und er wäre krankenversichert.

Durch den langjährigen, jedoch nicht rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich und den Besuch des Fernlehrinstitutes "H" seit 1. März 2010 bestünden - so die weitere Bescheidbegründung - unbestritten private Interessen des Beschwerdeführers. Sein Privatleben sei jedoch in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich des unsicheren Aufenthaltsstatus zweifelsfrei bewusst gewesen sei. Ein Familienleben in Österreich bestehe nicht; der Beschwerdeführer habe durch Eltern und Geschwister jedenfalls Bindungen zum Heimatstaat.

Das Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei höher zu bewerten als die privaten Interessen des Beschwerdeführers, der es in Kauf genommen habe, nach Ablauf des Visums unerlaubt im Bundesgebiet zu bleiben.

Ein Fall des § 69a NAG liege nicht vor, zumal der Beschwerdeführer selbst angegeben habe, aus wirtschaftlichen Überlegungen zum Zweck des Studierens nach Österreich gekommen zu sein und in seinem Heimatland keine politischen Probleme gehabt zu haben. Er habe auch keinerlei Antrag "auf Asyl bzw. internationalen Schutz" gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides am 15. November 2010 die Bestimmungen des NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind und sich nachfolgende Zitierungen - soweit nichts Gegenteiliges angeführt wird - auf diese Rechtslage beziehen.

In der Beschwerde wird der Schwerpunkt darauf gelegt, dass dem Beschwerdeführer die Auslandsantragstellung wegen eines realen Risikos schwerwiegender Rechtsgutbeeinträchtigungen im Sinn des § 50 Fremdenpolizeigesetz (FPG) unzumutbar sei. Dies wird inhaltlich mit einer Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer Gruppe verfolgter Evangelikaler Christen in Nigeria begründet. Rechtlich meint die Beschwerde mit näheren Ausführungen, dass dieser Umstand in die Interessenabwägung nach § 21 Abs. 3 NAG hätte einfließen müssen.

Dieser Ansicht ist nicht beizupflichten.

§ 72 NAG sah in der Stammfassung die amtswegige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen vor, wobei insbesondere auf eine Gefahr gemäß § 50 FPG hingewiesen wurde.

§ 50 FPG enthält das Verbot der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung im Fall einer Gefährdung im Heimatland. Gemäß § 74 NAG konnte die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt waren.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war aber ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG vorlagen. Die Zulassung konnte im Rechtsweg erzwungen werden. § 72 NAG stellte auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass gaben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Es lagen aber besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) bestand (vgl. für viele das Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Mit Erkenntnis vom 27. Juni 2008, G 246/07 u.a., hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "von Amts wegen" in § 72 Abs. 1 und § 73 Abs. 2 und 3 NAG als verfassungswidrig auf, wobei die Aufhebungen mit Ablauf des 31. März 2009 in Kraft traten. § 21 Abs. 3 NAG in der Fassung der mit 1. April 2009 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 29 ermöglicht die Zulassung der Antragstellung im Inland in taxativ aufgezählten Fällen, wenn die Ausreise des Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Es war die Absicht des Gesetzgebers, die bisher in § 74 NAG vorgesehene, ausschließlich amtswegige Möglichkeit, aus humanitären Gründen Mängel zu heilen und eine Inlandsantragstellung zuzulassen, durch Novellierungen der §§ 19 und 21 NAG in das Regelverfahren einzugliedern (88 BlgNR 24. GP 2).

§ 21 Abs. 3 NAG lautet:

"Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren."

Der Beschwerdeführer meint nun zusammengefasst, dass in die Beurteilung nach § 21 Abs. 3 NAG auch der Fall einer Gefährdung im Sinn des § 50 FPG einzubeziehen sei, weil auch § 72 NAG in der Stammfassung auf diese Fälle Bedacht genommen habe und § 21 Abs. 3 NAG die Nachfolgebestimmung darstelle. Es könne dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, entgegen der früheren Rechtslage schwerste Menschenrechtsverletzungen als tauglichen Grund für die Unzumutbarkeit der Auslandsantragstellung streichen zu wollen. Folglich sei § 21 Abs. 3 NAG in verfassungskonformer Interpretation dahin auszulegen, dass die Auslandsantragstellung jedenfalls auch dann unzumutbar sei, wenn dem Antragsteller in seinem Herkunftsstaat schwere Rechtsgutsverletzungen im Sinn des § 50 FPG drohten.

Mit dieser Argumentation übersieht der Beschwerdeführer die ursprünglich mit der schon genannten Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 eingefügte Bestimmung des § 69a NAG und die in den Erläuterungen dazu dargelegte Absicht des Gesetzgebers.

§ 69a NAG hatte in seiner ursprünglichen Fassung auszugsweise folgenden Inhalt:

"§ 69a. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz zu erteilen:

1. wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt ist und ein Abschiebungsaufschub (§ 46 Abs. 3 FPG) bereits mehr als ein Mal und insgesamt mindestens für ein Jahr gewährt wurde;

2. ..."

Der Gesetzgeber stellte dazu klar (88 BlgNR 24. GP 13), dass § 69a Abs. 1 Z 1 und 2 NAG die bisher in § 72 Abs. 1 und 2 leg. cit. geregelten Fälle in die neue Rechtslage übernimmt. Dazu führte er ausdrücklich aus, dass Fremde, die einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt sind, künftig einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "besonderer Schutz" gemäß § 69a NAG stellen können (88 BlgNR 24. GP 2).

Dazu ist anzumerken, dass ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 69a NAG jedenfalls gestellt werden darf, wenn sich der Drittstaatsangehörige im Bundesgebiet aufhält (vgl. die Wortfolge "Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen …" im Eingangssatz des § 69a NAG).

Somit kann keine Rede davon sein, dass Drittstaatsangehörige keinen Aufenthaltstitel in Österreich beantragen können, wenn sie einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt sind. Es besteht daher keine Notwendigkeit, entgegen der zum Ausdruck gebrachten Absicht des Gesetzgebers Gründe des § 50 FPG in die Interessenabwägung nach § 21 Abs. 3 NAG einfließen zu lassen.

Der Vollständigkeit wegen sei bemerkt, dass § 69a NAG im hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auszugsweise lautet:

"(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 bis 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet gemäß § 46a Z 1 oder 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn der Fremde stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht;

2. …"

Den Erläuterungen zufolge (330 BlgNR 24. GP 54) handelte es sich bei der maßgeblich durch BGBl. I Nr. 122/2009 erfolgten Änderung um eine Anpassung im Hinblick auf den Entfall des Abschiebungsaufschubes gemäß § 46 Abs. 3 FPG. Die Nachfolgebestimmung der "Duldung" findet sich nunmehr in § 46a FPG.

Da durch die zuletzt genannte Novellierung des § 69a NAG an seinem Kernbereich nichts geändert wurde, gelten die oben dargelegten Erwägungen auch für die Rechtslage im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt.

Davon ausgehend erweist sich die Beschwerde als unberechtigt. Hinsichtlich des Beurteilungsmaßstabes nach Art. 8 EMRK verwies die belangte Behörde nämlich zutreffend darauf, dass sich der Beschwerdeführer zwar schon sehr lange Zeit im Bundesgebiet aufhält, jedoch nicht über familiäre Beziehungen in Österreich verfügt und auch bisher kein Studium abgeschlossen hat. Bedeutsam ist auch, dass sein Privatleben in Österreich in einer Zeit entstanden ist, in der er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus zweifellos bewusst war. Die vom Beschwerdeführer behaupteten starken privaten Bindungen zu seinen "Glaubensgeschwistern aus dem D Ministry", seine Sprachkenntnisse und seine Unbescholtenheit reichen nicht aus, dass seinen persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ein größeres Gewicht zukäme als dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen, dem aus dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt.

Der Mängelrüge des Beschwerdeführers, die belangte Behörde habe zur behaupteten Verfolgung aus religiösen Gründen keine Feststellungen getroffen, ist aus den oben aufgezeigten Erwägungen der Boden entzogen. Somit zeigt die Beschwerde auch keinen relevanten Verfahrensfehler auf.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. November 2012

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