VwGH 2011/21/0259

VwGH2011/21/02592.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S in S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 3. Oktober 2011, Zl. UVS-5/14258/2-2011, betreffend Bestrafung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2 idF 2011/I/017;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
VStG §1 Abs2;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §22 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2 idF 2011/I/017;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
VStG §1 Abs2;
VStG §19 Abs1;
VStG §19;
VStG §22 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 1. Februar 2011 bestätigte die belangte Behörde das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 7. Oktober 2010, mit dem über den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt worden war, weil er sich als Fremder zumindest seit dem 11. Dezember 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 2011, G 53/10 u.a., kundgemacht am 4. April 2011 im BGBl. I Nr. 17/2011, hob dieser die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und die Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG in der von der belangten Behörde herangezogenen Fassung des FrÄG 2009 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.

Der Verwaltungsgerichtshof behob daraufhin mit Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2011/21/0056, den Bescheid der belangten Behörde vom 1. Februar 2011 hinsichtlich des Ausspruchs über die verhängte Strafe und die diesbezüglichen Kosten des Strafverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts; im Übrigen - also hinsichtlich des Schuldspruchs - wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Im fortgesetzten Verfahren wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Berufung hinsichtlich des Strafausspruchs als unbegründet ab und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass die Strafsanktionsnorm "§ 120 Abs. 1 Z 2 FPG i.d.F.

BGBl. I Nr. 17/2011" zu lauten habe.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde zunächst § 120 Abs. 1 Z 2 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 17/2011 sowie § 19 Abs. 1 und 2 VStG wieder. Sie verwies darauf, dass die in § 120 FPG bei Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses noch vorgesehene Mindeststrafe von EUR 1.000,-- durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden sei. Unabhängig von dieser Änderung werde der erstinstanzlich festgesetzte Strafbetrag in Höhe von EUR 1.000,-- weiterhin für angemessen erachtet. Der Einhaltung der Bestimmungen des Fremden- und Aufenthaltsrechts sei ein wesentliches und grundlegendes öffentliches Interesse beizumessen, einem diesbezüglichen Verstoß sei ein nicht unwesentlicher "verwaltungsstrafrechtlich pönalisierter Unwert" zu unterstellen. Dieser rechtfertige nach Ansicht der belangten Behörde "eine Straffestsetzung abseits der verwaltungsstrafsanktionellen Bagatellgrenze". Der Verfassungsgerichtshof habe bei seiner die Mindeststrafe aufhebenden Entscheidung ganz andere Sachverhalte vor Augen gehabt; hinsichtlich des unrechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden in Österreich über den Zeitraum von nahezu einem Jahr sei demgegenüber "keine Unsachlichkeit der Mindeststrafe" anzunehmen. Aus dem Berufungsvorbringen in Bezug auf das Vorliegen schuldausschließender Umstände im Hinblick auf den Antrag gemäß § 44 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG und die damit im Zusammenhang stehende Verpflichtung zum weiteren Aufenthalt im Inland ergebe sich kein Strafausschließungsgrund. Dem Beschwerdeführer sei zuzugestehen, dass sich "in der Zusammenschau der hiezu einschlägigen Bestimmungen aus dem Fremdenpolizeigesetz und dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz differente normative Verhaltensmuster auftun". Im vorliegenden Fall habe sich der Beschwerdeführer offenbar bewusst für seinen weiteren, unstrittig "konsenswidrigen" Aufenthalt in Österreich entschieden und damit die vorgeworfene Übertretung in Kauf genommen. So sei er im Rahmen einer fremdenpolizeibehördlichen Einvernahme am 1. April 2010 ausdrücklich auf den Umstand seines rechtswidrigen Aufenthalts in Österreich hingewiesen worden. Verschuldensmindernde Aspekte könnten angesichts dessen nicht ausgemacht werden. Einer Anwendung des § 21 VStG stehe der Unrechtsgehalt der Tat entgegen.

Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass sie zwar als unterdurchschnittlich anzunehmen seien - der Beschwerdeführer verfüge über ein monatliches Einkommen von rund 400,-- EUR -, doch könnten sie sich angesichts des Unrechtsgehaltes der vorliegenden Übertretung, insbesondere "aus der tatzeitlichen Dimension und der als nicht gering anzunehmenden Verschuldenslage nicht weiter reduzierend auf den im unteren Strafrahmensbereich festgesetzten Strafbetrag auswirken".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Hinsichtlich der Strafsanktionsnorm ist während des Tatzeitraums durch das Inkrafttreten des FrÄG 2009 mit 1. Jänner 2010 eine Änderung der Rechtslage eingetreten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in solchen Fällen bei Dauerdelikten in Bezug auf die anzuwendende Strafsanktionsnorm das Tatende entscheidend; liegt dieses nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes, so ist die Tat - selbst im Falle einer strengeren Regelung - nach dem neuen Recht zu beurteilen, weil das strafbare Verhalten in der Zeit der strengeren Strafdrohung fortgesetzt wurde (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. März 2000, Zl. 96/05/0107, und vom 2. Mai 2005, Zl. 2001/10/0183).

Im Beschwerdefall, in dem der Tatzeitraum im Oktober 2010 endete, war daher für die Strafbemessung zunächst § 120 Abs. 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2009 anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat aber, wie erwähnt, mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10 u.a., unter anderem die in dieser Bestimmung enthaltene Mindeststrafe aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Auf Grund der durch diesen Ausspruch bewirkten Erstreckung der Anlassfallwirkung auf alle noch nicht entschiedenen Fälle war auch im Beschwerdefall § 120 Abs. 1 FPG in der Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 17/2011 anzuwenden.

Diese Bestimmung lautet in der genannten, von der belangten Behörde nach dem Gesagten richtigerweise herangezogenen Fassung auszugsweise wie folgt:

"§ 120. (1) Wer als Fremder

  1. 1. nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder
  2. 2. sich nicht recht(s)mäßig im Bundesgebiet aufhält,

    begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. …

    …"

    Die belangte Behörde ist daher entgegen dem Beschwerdevorbringen zu Recht von einem Strafrahmen von bis zu EUR 5.000,-- ausgegangen.

    Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

    Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Nach § 19 Abs. 2 VStG hat die belangte Behörde im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Weiters ist auf das Ausmaß des Verschuldens besonders Bedacht zu nehmen und sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sinngemäß anzuwenden. Bei der Bemessung von Geldstrafen sind darüber hinaus die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten zu berücksichtigen.

    Die Strafbemessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Ermessensentscheidung dar. Gemäß

    Artikel 130 Abs. 2 B-VG liegt im Bereich des verwaltungsbehördlichen Ermessensrechts Rechtswidrigkeit dann nicht vor, wenn die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch macht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es dabei Sache der Behörde, die für die Strafbemessung maßgebenden Erwägungen darzustellen, um so dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit zur Überprüfung zu eröffnen, ob vom Ermessen gesetzesgemäß Gebrauch gemacht worden ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. September 2011, Zl. 2009/09/0116, und vom 23. Mai 2012, Zl. 2010/11/0155).

    Die belangte Behörde hat zur Begründung der Strafbemessung in erster Linie das große öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften ins Treffen geführt. Entscheidend für die Beurteilung des Unrechtsgehaltes der Tat im Sinn des § 19 VStG ist aber (neben den "sonstigen nachteiligen Folgen") nicht die (abstrakte) Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes (diese findet ihren Ausdruck bereits in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens), sondern das Ausmaß, in dem dieses Rechtsgut durch die in Rede stehende Tat konkret beeinträchtigt wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 1991, Zl. 91/04/0102). Das hat die belangte Behörde verkannt. Der Tatzeitraum von rund zehn Monaten (die belangte Behörde spricht von "nahezu einem Jahr") ist zwar erheblich. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer von der Fremdenpolizeibehörde - wenn auch nach den Feststellungen der belangten Behörde erst am 1. April 2010, sohin rund dreieinhalb Monate nach Beginn des Tatzeitraums - ausdrücklich auf den Umstand seines rechtswidrigen Aufenthalts in Österreich hingewiesen worden ist und das strafbare Verhalten dennoch fortgesetzt hat, kommt grundsätzlich als Erschwerungsgrund in Betracht. Das reicht aber nicht aus, um - unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers, der nach den Feststellungen der belangten Behörde über EUR 400,-- monatlich verfügt hat - die Verhängung einer Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,--, also des Zweieinhalbfachen des Monatseinkommens, rechtfertigen zu können.

    Der belangten Behörde ist außerdem vorzuwerfen, dass sie es unterlassen hat, in nachvollziehbarer Weise das Vorliegen von zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Milderungsgründen zu prüfen und diese gegen die Erschwerungsgründe abzuwägen. Dazu wäre es auch erforderlich gewesen, sich mit den geltend gemachten Umständen, die den Beschwerdeführer zu seinem Verbleib in Österreich bewogen haben - etwa mit der in den Tatzeitraum fallenden Antragstellung nach dem NAG, aber auch seiner Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin - auseinanderzusetzen.

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

    Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 2. Oktober 2012

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