VwGH 2011/21/0097

VwGH2011/21/009713.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 22. März 2011, Zl. Senat-FR-11-0017, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §82 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §82 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §82 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §82 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §82 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §82 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er über die Festnahme des Beschwerdeführers abspricht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1972 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, reiste gemäß seinen eigenen Angaben im Oktober 2002 über Wien-Schwechat nach Österreich ein. Er stellte einen Asylantrag, der zunächst vom Bundesasylamt - in Verbindung mit einer Ausweisung - abgewiesen wurde. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Im November 2007 stellte der unabhängige Bundesasylsenat das Asylverfahren dann gemäß § 24 AsylG 2005 ein.

Mittlerweile war gegen den Beschwerdeführer mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. Juli 2005 im Hinblick auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen bzw. das diesen zugrunde liegende strafrechtliche Fehlverhalten ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Am 15. Februar 2011 stellte der zu diesem Zeitpunkt wieder in die Grundversorgung des Landes Wien aufgenommene und in einer Betreuungseinrichtung der Diakonie untergebrachte und gemeldete Beschwerdeführer in der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurde er festgenommen und der Bezirkshauptmannschaft Baden vorgeführt. Diese verhängte noch am selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG Schubhaft, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um die Abschiebung des Beschwerdeführers zu sichern. Im Schubhaftbescheid wurde insbesondere auf das zuvor genannte unbefristete Aufenthaltsverbot verwiesen und außerdem "festgestellt", dass Italien ebenfalls ein Einreise- /Aufenthaltsverbot erlassen habe. Es sei "daher" davon auszugehen, dass der Antrag auf internationalen Schutz "zurückgewiesen" werde.

Der am 21. Februar 2011 wegen Hungerstreiks aus der Schubhaft entlassene Beschwerdeführer erhob Beschwerde nach § 82 Abs. 1 FPG und beantragte, die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 22. März 2011 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) diese Beschwerde ab; es wurde festgestellt, dass die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 15. Februar bis zum 21. Februar 2011 nicht rechtswidrig gewesen seien. Im Schengener Informationssystem scheine - so die belangte Behörde im Rahmen ihrer Feststellungen - die Vormerkung "Italien-Einreise-/Aufenthaltsverbot im Schengener Gebiet", gültig bis 28. August 2012, auf. Im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung habe die Fremdenpolizeibehörde (daher) davon ausgehen müssen, dass ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot für den Schengenraum vorliege; außerdem sei zu diesem Zeitpunkt "bestenfalls antizipativ denkbar" gewesen, dass der neue Asylantrag "vom 21.2.2011" zugelassen werde. Zu einer derartigen Zulassung ist es dann, wie von der belangten Behörde gleichfalls (an anderer Stelle des Bescheides) festgestellt wurde, am 14. März 2011 gekommen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat auch über die der Schubhaftnahme vorangegangene Festnahme des Beschwerdeführers abgesprochen. Dazu war sie indes nicht befugt, weil diese Festnahme in der zugrunde liegenden Administrativbeschwerde nicht angefochten worden war. Insoweit (Feststellung, dass die Festnahme nicht rechtswidrig gewesen sei) war der bekämpfte Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Was die Schubhaft anlangt, so wurde diese auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt. Während die Bezirkshauptmannschaft Baden diesbezüglich vor allem auf das österreichische Aufenthaltsverbot rekurrierte, bezog sich die belangte Behörde erkennbar nur mehr auf das im Schengener Informationssystem ersichtliche italienische "Einreise-/Aufenthaltsverbot". Sie erkannte offenkundig, dass das inländische Aufenthaltsverbot aus dem Jahr 2005 gemäß § 125 Abs. 3 zweiter Satz FPG mit 1. Jänner 2006 zu einem Rückkehrverbot geworden war und dass der Bestand eines Rückkehrverbotes - nach der hier maßgeblichen, bis zum 1. Juli 2011 gültigen Rechtslage vor dem FrÄG 2011 - für die Erfüllung des Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nicht hinreichte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0035).

Zu der im Schubhaftbescheid erwähnten und von der belangten Behörde tragend ins Treffen geführten italienischen Maßnahme ist auszuführen, dass sie dann die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 3 FPG rechtfertigen könnte, wenn sie im Sinn des § 71 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) einer durchsetzbaren Ausweisung entspricht. Ob das der Fall ist, lässt sich auf Grund der im bekämpften Bescheid dazu allein getroffenen Feststellung, im Schengener Informationssystem scheine die Vormerkung "Italien-Einreise-/Aufenthaltsverbot im Schengener Gebiet" mit Gültigkeit bis 28. August 2012 auf, allerdings - ähnlich wie in der dem hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2007/21/0360, zugrunde liegenden Konstellation - nicht beurteilen. Wie im Fall des genannten Erkenntnisses war der bekämpfte Bescheid daher, soweit er über den Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft abspricht, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2, 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. Dezember 2012

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