VwGH 2011/16/0126

VwGH2011/16/012628.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 49, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 29. März 2011, GZ. RV/1317- W/10, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO idF vor 1. 7. 2010 §139;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
KO idF vor 1. 7. 2010 §139;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.211 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war vom 30. März 2004 bis zum 3. Mai 2006 als handelsrechtlicher Geschäftsführer der L. GesmbH im Firmenbuch eingetragen.

Über die L. GesmbH wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 16. März 2007 der Konkurs eröffnet.

Mit dem angefochtenen Bescheid zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer im Instanzenzug zur Haftung nach §§ 9 und 80 BAO für Abgabenschulden der L. GesmbH heran. Die Haftung betraf die Umsatzsteuer für September 2005 bis Jänner 2006 und die Lohnsteuer und den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen samt Zuschlag für 2004 und 2005 mit einem gesamten Haftungsbetrag von zusammen 65.527,65 EUR.

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, nach dem im Steuerakt erliegenden Firmenbuchauszug sei die L. GesmbH "nach Abschluss eines Konkursverfahrens (Aufhebung wegen Geringfügigkeit) am 11. Juni 2009 gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit gelöscht" worden. Eine Konkursquote sei nicht erzielt worden. Ein Zugriff auf Geldmittel der L. GesmbH sei somit nicht möglich, die Einbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten beim Primärschuldner sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer habe zwischen 9. März 2004 bis 21. März 2006 als handelsrechtlicher Geschäftsführer fungiert und sei daher grundsätzlich verpflichtet gewesen, für die Einhaltung der steuerlichen Vorschriften im Zeitraum seiner Geschäftsführerfunktion Sorge zu tragen. Für die Zeiträume September 2005 bis Jänner 2006 seien nach verspäteter Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen von der Abgabenbehörde Festsetzungen vorgenommen worden. Zu den Fälligkeitsterminen seien keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht und auch keine Vorauszahlungen entrichtet worden. Bei einer Lohnsteuerprüfung auf Grund eines Prüfungsauftrages vom 3. Oktober 2006 für den Zeitraum 2004 und 2005 habe V.L., die damalige Geschäftsführerin der L. GesmbH, eine Selbstanzeige erstattet, wonach Lohnabgaben in näher angeführter Höhe nicht entrichtet worden seien, und dies mit finanziellen Schwierigkeiten begründet. Festgestellte Abfuhrdifferenzen sowie die Privatnutzung arbeitgebereigener Kraftfahrzeuge der L. GesmbH hätten zur Vorschreibung von Nachforderungsbeträgen nach Abschluss der Prüfung im Jänner 2007 in der im Haftungsbescheid angeführten Höhe geführt. Die im Bescheid enthaltenen Lohnabgaben seien nicht im Sinn der abgabenrechtlichen Vorschriften gemeldet und entrichtet worden, weshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege.

Der Geschäftsführer hafte für nicht entrichtete Abgaben auch dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Schulden nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Schulden verwendet worden seien. Widrigenfalls hafte der Geschäftsführer für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten zur Gänze. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliege dem Vertreter. Die pauschale Behauptung einer Gleichbehandlung aller Gläubiger durch den Vertreter, dem dieser Nachweis obliege, reiche nicht aus.

Der Beschwerdeführer sei mit Vorhalt vom 18. Jänner 2011 aufgefordert worden, eine Gleichbehandlung der Gläubiger bei Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlungen u.a. für September, Oktober, November und Dezember 2005 und für Jänner 2006 sowie der Dienstgeberbeiträge und der Zuschläge zu den Dienstgeberbeiträgen für 2004 und 2005 nachzuweisen und einen Liquiditätsstatus zu den angeführten Fälligkeitstagen vorzulegen. In einer dazu mit Schriftsatz vom 10. Februar 2011 erstatteten Stellungnahme habe er angeführt, dass zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2005 Einzahlungen in Höhe von 439.931,70 EUR erfolgt seien, dass darüber hinaus Zahlungen an die Wiener Gebietskrankenkasse für den Zeitraum Jänner 2006 bis März 2006 und weitere Ratenzahlungen an das Finanzamt für Jänner 2006 bis Dezember 2006 vorgenommen worden seien und dass die Gläubiger gemäß den gestellten Forderungen bedient worden seien, wobei primär keine Rückstände mehr hinsichtlich der Dienstnehmerforderungen bestanden hätten und die Forderungen der Wiener Gebietskrankenkassa sowie auch des Finanzamtes durch Teilzahlungen "reguliert" worden seien. Hinsichtlich des Restzeitraumes von Jänner bis 31. März 2006 befänden sich die Buchhaltungsunterlagen beim Masseverwalter. Die für Jänner 2005 bis Dezember 2006 in Frage stehenden Steuernachforderungen seien durch Ratenzahlungen zur Gänze bedient worden, wobei keine Besserstellung gegenüber anderen Forderungen erfolgt sei. Diesem Schriftsatz seien Tabellen angeschlossen, aus denen lediglich angefallene Aufwendungen der Jahre 2004 und 2005 ersichtlich seien. Eine abverlangte Aufstellung der Mittelverwendung bei Fälligkeit der im Haftungsbescheid angeführten Abgaben sei nicht vorgelegt worden. Dass jedoch generell selbst bei Fälligkeit der Umsatzsteuervoranmeldung für Jänner 2006 noch Geldmittel zur Verteilung vorhanden gewesen seien, zeigten saldowirksame Einzahlungen vom 1. März und 22. Mai 2006. Daher sei kein Nachweis zur Gleichbehandlung der Gläubiger erbracht worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer ersichtlich im Recht verletzt erachtet, als ehemaliger Geschäftsführer der L. GesmbH nicht für einen Betrag von 65.527,65 EUR zu haften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben nach § 80 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 21. März 2012, 2012/16/0048).

Der Vertreter haftet für nicht entrichtete Abgaben des Vertretenen auch dann, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten des Vertretenen nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat, als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Auf dem Vertreter lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (vgl. für viele das erwähnte hg. Erkenntnis vom 21. März 2012, mwN).

Den Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, hat der Vertreter auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel zu diesen Zeitpunkten andererseits bezogen zu führen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, 2011/16/0116).

Bei der Frage der Gleichbehandlung der Gläubiger kommt es darauf an, ob der Abgabengläubiger im Hinblick auf die vorhandenen liquiden Mittel des Abgabenschuldners dadurch benachteiligt wurde, dass die erfolgten Zahlungen an den Abgabengläubiger geringer ausgefallen sind, als sie bei Verwendung der liquiden Mittel und anteiliger Befriedigung des Abgabengläubigers ausgefallen wären (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, mwN).

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Beschwerdefall den Beschwerdeführer im Instanzenzug zur Haftung nach §§ 9 und 80 BAO für Abgabenschuldigkeiten der L. GesmbH herangezogen. Sie ist dabei von der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen.

Der Beschwerdeführer führt in Ausführung der Verfahrensrüge ins Treffen, entgegen der Darstellung der belangten Behörde sei der Konkurs über das Vermögen der L. GesmbH mit dem der Beschwerde in Ablichtung angeschlossenen Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 19. März 2009 nach Verteilung gemäß § 139 KO (nunmehr IO) aufgehoben worden. Mit dieser Rüge ist der Beschwerdeführer im Recht.

Die belangte Behörde traf die Feststellung, dass der in Rede stehende Konkurs über das Vermögen der L. GesmbH wegen Geringfügigkeit aufgehoben worden und eine Konkursquote nicht erzielt worden sei.

Damit unterlief der belangten Behörde eine Aktenwidrigkeit, ergibt sich doch aus dem in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Auszug aus dem Firmenbuch, dass der Konkurs über das Vermögen der L. GesmbH mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 19. März 2009 nach Schlussverteilung aufgehoben wurde.

Infolge dieser aktenwidrigen Sachverhaltsannahme, dass der Konkurs wegen Geringfügigkeit aufgehoben worden wäre, hat die belangte Behörde festgestellt, dass eine Konkursquote nicht erzielt worden sei. Eine bei der Schlussverteilung zu berücksichtigende Konkursquote wäre auf den Haftungsbetrag anzurechnen gewesen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2010, 2006/13/0071).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich (im Rahmen des gestellten Begehrens - § 59 Abs. 1 VwGG) auf die §§ 47 ff VwGG.

Wien, am 28. Juni 2012

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