Normen
Auswertung in Arbeit!
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Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 5. Juli 2010 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe als verantwortlicher Beauftragter der B Aktiengesellschaft (Abteilung P) zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Unternehmerin im Sinne des § 21 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (LMSVG) in einer näher genannten Filiale in Wien am 11. November 2009 um 8.45 Uhr Lebensmittel, nämlich "Bauchfleisch mariniert", als Originalpackung im Verkaufsraum in der Kühlvitrine zum Verkauf an Kunden bereitgehalten und dadurch in Verkehr gebracht habe, welche laut Gutachten der MA 38 - Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien folgende Beschaffenheit aufgewiesen hätten und die somit für den menschlichen Verzehr ungeeignet gewesen seien und deren bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gegeben gewesen sei (Unterstreichungen im Original):
"Bei Probeneinbringung: Untersuchung der Packung B:
Aussehen: unauffällig; Geruch roh sowie Geruch und Geschmack erhitzt: arteigen, ohne Abweichung; Lagerung der Packungen A + B bei + 4 Grad Celsius bis 16.11.2009;
Untersuchung nach Lagerung: Verpackung: Beschaffenheit wie vor Lagerung (intakt); Inhalt: Auss(e)hen: unauffällig;
Geruch roh sowie Geruch und Geschmack erhitzt: deutlich nach Gewürz, sonst arteigen, ohne Abweichung, PH-Wert: 5,7- 5,8; Der Keimgehalt ist überhöht: Die bei Probeneinbringung durchgeführte bakteriologische Untersuchung ergab einen überhöhten Gehalt an spezifischen Fleischverderbniskeimen (Brochothrix thermosphacta, Pseudomonas sp. und Laktobazillen). Dieser bakteriologische Befund weist darauf hin, dass an der Ware bereits bakteriell bedingter Verderb eingesetzt hat. Der Verderb eines Lebensmittels kann durch eine Würzung verdeckt werden und somit organoleptisch unerkannt bleiben. Durch Verwendung von entsprechend frischem und bakteriologisch unbelastetem Ausgangsmaterial für die Herstellung des Lebensmittels sowie entsprechende Kühllagerung hätte der Verderb des Lebensmittels verhindert werden können; (…)"
Der Mitbeteiligte habe dadurch § 90 Abs. 1 Z. 1 iVm § 21 LMSVG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 90 Abs. 1 zweiter Strafsatz LMSVG eine Geldstrafe von EUR 700,--, für den Fall der Nichteinbringung eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen und 20 Stunden, verhängt werde. Weiters habe der Mitbeteiligte gemäß § 64 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von EUR 70,-- zu leisten sowie die im Strafverfahren entstandenen Barauslagen in der Höhe von EUR 241,25 zu ersetzen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge, behob das erstinstanzliche Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG ein. Weiters sprach sie aus, dass der Mitbeteiligte daher gemäß § 65 VStG keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten habe.
Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, dem organoleptischen Befund des amtlichen Untersuchungszeugnisses der Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien sei zu entnehmen, dass das Aussehen der Ware unauffällig, der Geruch arteigen, ohne Abweichung, gewesen sei. Da der Mitbeteiligte weder dazu verpflichtet noch in der Lage sei, an jedem Lebensmittel eine bakteriologische Untersuchung vorzunehmen, habe es für ihn nicht erkennbar sein können, dass die Ware für den menschlichen Verzehr nicht geeignet gewesen sei. Es sei somit gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG vorzugehen gewesen, wonach von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen ist, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.
Dagegen richtet sich die vom Landeshauptmann von Wien gemäß § 94 LMSVG erhobene Amtsbeschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid als rechtswidrig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte - unter Verzicht auf die Erstattung einer Gegenschrift - die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift und beantragte ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des LMSVG lauten:
"Lebensmittel
Allgemeine Anforderungen
§ 5. (1) Es ist verboten, Lebensmittel, die
1. nicht sicher gemäß Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind, d.h. gesundheitsschädlich oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind, (…)
2. …
in Verkehr zu bringen.
(2) …
(5) Lebensmittel sind
- 1. …
- 2. für den menschlichen Verzehr ungeeignet, wenn die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit nicht gewährleistet ist;
3. …
Verwaltungsstrafbestimmungen Tatbestände
§ 90. (1) Wer
1. Lebensmittel, die für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder mit irreführenden oder krankheitsbezogenen Angaben versehen sind, oder in irreführender oder krankheitsbezogener Aufmachung,
2. …
in Verkehr bringt, begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 40 000 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
(2) …"
Die Amtsbeschwerde bringt gegen den angefochtenen Bescheid zusammengefasst vor, bei einer Übertretung des § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt, weshalb ein fahrlässiges Verhalten des Mitbeteiligten im Sinn von § 5 Abs. 1 VStG (seitens der erstinstanzlichen Strafbehörde) nur dann zu Unrecht angenommen worden wäre, wenn dieser glaubhaft gemacht hätte, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. Dies sei dem Mitbeteiligten mit der ausschließlichen Berufung auf eine erfolgte organoleptische Untersuchung bzw. darauf, dass im Rahmen einer solchen (allenfalls sogar durch einen Sachverständigen) kein Verderb der Ware festgestellt worden sei, nicht gelungen, da zumindest ein noch nicht weit fortgeschrittener Verderb marinierten oder gewürzten Fleisches im Rahmen einer ausschließlich organoleptischen Untersuchung nicht feststellbar sei und zudem viele krankheitsverursachende Keime überhaupt nicht zu riechen seien. Eine organoleptische Untersuchung sei daher insbesondere nach dem Marinieren bzw. Würzen von Fleisch zur Beurteilung eines möglichen Verderbs nur bedingt geeignet, aussagekräftig sei vielmehr nur die bakteriologische Untersuchung der Ware. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass sich der Lebensmittelunternehmer, der durch das Marinieren bzw. Würzen die Verhinderung der Erkennbarkeit eines Verderbs herbeigeführt habe bzw. entsprechend vorgefertigte Ware anbiete, sich genau mit diesem Umstand "freibeweisen" können solle. Neben der organoleptischen Untersuchung bestünden für den Lebensmittelunternehmer weitere Möglichkeiten bzw. Vorschriften zur Beurteilung eines eventuellen Verderbs von Fleisch, die auch objektiviert werden könnten. So bestünden ausreichende und einer sachverständigen Person geläufige Erfahrungswerte im Hinblick auf die Höchstdauer des Zeitraumes zwischen der Schlachtung eines Tieres und dem Einsetzen eines Verderbs des Fleisches bei sachgerechter Lagerung. Die Stellung als verantwortlicher Beauftragter erfordere beim Beschuldigten entsprechenden Sachverstand im Hinblick auf die lebensmittelrechtlichen Bestimmungen und die vertriebenen Waren. Der Mitbeteiligte müsse somit in der Lage sein, die sachgerechte Schlacht-, Kühl- und Lagerungskette sowie die Einhaltung der entsprechenden (Erfahrungs-)Zeiträume konkret nachzuweisen, wobei sich dieser Nachweis auf die Einhaltung bis zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums und nicht nur bis zur Verpackung der Ware beziehen müsse. Schließlich wäre im vorliegenden Fall im Hinblick auf § 5 Abs. 1 VStG auch oder sogar primär auf Auffälligkeiten an der Ware vor dem Marinieren bzw. Würzen abzustellen gewesen. Dazu sei seitens der belangten Behörde keine Differenzierung erfolgt und seien dem Akt auch keine Ausführungen des Mitbeteiligten zu entnehmen.
Die Amtsbeschwerde ist berechtigt.
Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, genügt nach § 5 Abs. 1 VStG zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten, wobei Fahrlässigkeit bei Zuwiderhandlung gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen ist, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.
§ 90 Abs. 1 LMSVG enthält weder eine Bestimmung über das Verschulden, noch gehört zum Tatbestand des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, die für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind, der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr; es handelt sich somit um ein so genanntes Ungehorsamsdelikt. Eine Fahrlässigkeit des Mitbeteiligten wäre somit (nur) dann nicht anzunehmen, hätte er glaubhaft gemacht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2010, Zl. 2008/10/0169).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Beschuldigter im Hinblick auf das Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems, aufgrund dessen das Fehlen eines Verschuldens gemäß § 5 Abs. 1 VStG glaubhaft gemacht würde, gehalten darzutun, dass er solche Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen mit Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten ließen, und wie es trotz dieses Kontrollsystems zur Verwaltungsübertretung kommen konnte (vgl. W. Wessely in N. Raschauer/W. Wessely (Hg.), VStG, § 5 Rz 25 bis 29 und die dort zitierte hg. Judikatur).
Wenn die belangte Behörde ausführt, der Mitbeteiligte habe nicht erkennen können, dass die Ware für den menschlichen Verzehr nicht geeignet gewesen sei, da deren Aussehen unauffällig und ihr Geruch arteigen und ohne Abweichung gewesen sei und der Mitbeteiligte weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage sei, an jedem Lebensmittel eine bakteriologische Untersuchung vorzunehmen, geht sie (erkennbar) davon aus, dass ihn an der Übertretung des § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG kein Verschulden treffe.
Damit geht die belangte Behörde jedoch nicht auf die Vermutung der Fahrlässigkeit in § 5 Abs. 1 VStG und das sich daraus ergebende Erfordernis, den Mangel an Verschulden glaubhaft zu machen, ein. Vielmehr wäre ausgehend von der Begründung des angefochtenen Bescheides fahrlässiges Verhalten im Hinblick auf das Inverkehrbringen von für den menschlichen Verzehr ungeeigneten Lebensmitteln nach Ansicht der belangten Behörde immer schon dann auszuschließen, wenn diese Eigenschaft der Lebensmittel anhand ihres Aussehens und Geruchs nicht erkennbar ist. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, stellt der Straftatbestand des § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG doch allein auf die (fehlende) Eignung eines in Verkehr gebrachten Lebensmittels zum menschlichen Verzehr ab. Im Hinblick darauf ist der Mangel an Verschulden glaubhaft zu machen. Gerade für (hier zudem mariniertes) Fleisch liegt es auf der Hand, dass die Beurteilung, ob dieses für den menschlichen Verzehr geeignet ist, sich nicht allein auf Aussehen und Geruch beschränken kann. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde - die eine bakteriologische Untersuchung jedes einzelnen in Verkehr gebrachten Lebensmittels als einzige weitere Möglichkeit anzusehen scheint, Übertretungen wie die gegenständliche zu verhindern - sind zur Kontrolle der Unbedenklichkeit von Fleisch auch eine Reihe weiterer (zumutbarer) Maßnahmen denkbar, wie sie zum Teil in den lebensmittelrechtlichen Vorschriften vorgesehen sind und etwa auch in der vorliegenden Amtsbeschwerde aufgezeigt werden.
Zur konkreten Ausgestaltung der im Verantwortungsbereich des Mitbeteiligten zur Sicherstellung der Unbedenklichkeit des in Verkehr gebrachten Fleisches getroffenen Maßnahmen hat die belangte Behörde jedoch in Verkennung des Umfanges der den Mitbeteiligten im Hinblick auf § 90 Abs. 1 Z. 1 LMSVG iVm § 5 Abs. 1 VStG treffenden Verpflichtungen keine Feststellungen getroffen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 21. Mai 2012
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