VwGH 2010/21/0517

VwGH2010/21/051728.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Mag. Christina Drösler, Rechtsanwältin in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen den Bescheid des Unabhängigen

Verwaltungssenates Wien vom 6. Oktober 2010, Zl. UVS- 01/39/9092/2010-3, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der bekämpfte Bescheid wird insoweit, als er die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft ab 30. August 2010 für rechtmäßig erklärt und feststellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen, sowie im Kostenpunkt, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im übrigen Umfang der Anfechtung (Schubhaftbescheid) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, gemäß seinen Angaben ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, wurde am 30. August 2010 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am Wiener Westbahnhof festgenommen. Bei seiner nachfolgenden Einvernahme gab er an, sich seit 1. März 2010 unangemeldet in Österreich zu befinden und hier an unbekannter Adresse in Wien "Unterkunft genommen" zu haben.

Mit der Erlassung fremdenpolizeilicher Maßnahmen konfrontiert deponierte der Beschwerdeführer weiter, nicht "nach China" zurück zu wollen.

Mit Bescheid vom 30. August 2010 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien daraufhin gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gegen den Beschwerdeführer Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sowie der Abschiebung. Dabei führte sie ua. aus, dass der Beschwerdeführer den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermöge, weshalb - so sinngemäß der Schubhaftbescheid - der Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 7 FPG erfüllt sei.

Am 7. September 2010 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit am 17. September 2010 zugestelltem Bescheid des Bundesasylamtes abgewiesen, außerdem wurde der Beschwerdeführer in die Volksrepublik China ausgewiesen und einer Beschwerde gemäß § 38 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Mit Schriftsatz vom 29. September 2010 erhob der Beschwerdeführer gegen seine Festnahme, die Schubhaftverhängung und die weitere Anhaltung in Schubhaft Beschwerde gemäß § 82 FPG. In dieser brachte er insbesondere vor, es sei notorisch,

"dass in großer Zahl chinesische Staatsbürger, die nicht rückkehrwillig sind und über kein Personaldokument verfügen (weder im Original noch in Kopie), in Schubhaft genommen werden und mangels Beschaffbarkeit eines Heimreisezertifikates nach mehreren Monaten bzw. bei Erreichung der gesetzlichen Höchstdauer der Schubhaft wieder aus dieser entlassen werden".

In diesem Zusammenhang wurde der Antrag gestellt, an die chinesische Botschaft in Wien und an das Bundesministerium für Inneres je eine Anfrage zu richten, ob für chinesische Staatsangehörige, die - wie der Beschwerdeführer - nicht nach China zurückkehren wollen und die über kein Reisedokument verfügen, ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde bzw. ob bezüglich solcher Personen "im Jahr 2010 bis dato" eine Abschiebung nach China habe bewerkstelligt werden können.

In ihrer Stellungnahme zur Schubhaftbeschwerde erwiderte die Bundespolizeidirektion Wien hierauf, die Behauptung, dass kein Heimreisezertifikat erwirkt werden könne, werde "durch keine Beweise gestützt". Aus der Sicht der Bundespolizeidirektion Wien bestünde "zum gegebenen Zeitpunkt" kein Hinweis, dass konkret der Beschwerdeführer kein Heimreisezertifikat erhalten würde.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 6. Oktober 2010 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) die Administrativbeschwerde gemäß § 83 FPG iVm § 67c AVG zur Gänze ab und erklärte die Festnahme des Beschwerdeführers und dessen bisherige Anhaltung in Schubhaft für rechtmäßig. Außerdem stellte die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vorlägen. Bezugnehmend auf das dargestellte Vorbringen in der Administrativbeschwerde führte die belangte Behörde aus, dass die Bundespolizeidirektion Wien "glaubwürdig und auch durch den Akteninhalt gestützt" angegeben habe, bereits an die Botschaft der Volksrepublik China wegen Ausstellung eines Heimreisezertifikates herangetreten zu sein. Diesbezüglich werde der Standpunkt der Bundespolizeidirektion Wien geteilt, dass "auch hier eine individuelle Fallprüfung seitens der VR China vorgenommen werden wird". Vor diesem Hintergrund sei es jedoch berechtigt, die weitere Vorgangsweise der Botschaft der Volksrepublik China in konkretem Fall abzuwarten. Folglich sei auch den Beweisanträgen zur "amtlichen Erhebung" der überwiegenden chinesischen Praxis nicht nachgekommen worden, da daraus für den Fall des Beschwerdeführers noch nichts Ausreichendes ableitbar gewesen wäre. Eine länger dauernde Erfolglosigkeit der Bemühungen zur Erwirkung eines Heimreisezertifikates würde aber - so die belangte Behörde abschließend in diesem Zusammenhang - dazu führen, dass die Schubhaft nicht länger aufrechterhalten werden dürfe.

Über die gegen diesen Bescheid - erkennbar nur insoweit, als er über die Schubhaft abspricht - erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Die gegenständliche Schubhaft war zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung verhängt worden.

Zunächst stand freilich nur die Erlassung der erstgenannten fremdenpolizeilichen Maßnahme im Raum. Unter diesem Blickwinkel war der Schubhaftbescheid als solcher aber nicht zu beanstanden, weil einerseits - wie im Schubhaftbescheid vom 30. August 2010 angeführt - offenkundig der Aufenthaltsverbotstatbestand nach § 60 Abs. 2 Z 7 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) vorlag und weil andererseits ein Sicherungsbedürfnis angesichts der eigenen Angaben des Beschwerdeführers (siehe oben) nicht zweifelhaft sein konnte. Die vorliegende Beschwerde vermag dagegen nichts Substanzielles vorzubringen und war daher, soweit sie sich auch gegen den Schubhaftbescheid richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Was die dann auf den Schubhaftbescheid gegründete Anhaltung des Beschwerdeführers anlangt, so hat die belangte Behörde allerdings nicht dargelegt, welche Schritte zur gebotenen alsbaldigen Erlassung eines Aufenthaltsverbotsbescheides (bzw. der Entscheidung, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abzusehen) gesetzt wurden. Insoweit bleibt offen, inwieweit und wie lange die zunächst rite zur Verfahrenssicherung verhängte Schubhaft zweckentsprechend war.

Ab Erlassung des eingangs genannten Bescheides des Bundesasylamtes mit 17. September 2010 existierte allerdings eine durchsetzbare Ausweisung. Ab diesem Zeitpunkt konnte die Schubhaft daher jedenfalls (auch) der Sicherung der Abschiebung dienen. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist - wenn sich das erst später herausstellt - umgehend zu beenden (vgl. zuletzt mit Hinweisen auf die Vorjudikatur das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2009/21/0047).

Schon in der Administrativbeschwerde wurde der Sache nach geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei nicht abschiebbar, weil für Personen in seiner Situation von der Botschaft der Volksrepublik China kein Heimreisezertifikat erwirkt werden könne. In diesem Zusammenhang wurden, wenngleich in Form eines Erkundungsbeweises gekleidet, Anträge gestellt, diesbezüglich Anfragen an die Botschaft der Volksrepublik China und an das Bundesministerium für Inneres zu richten.

Die Bundespolizeidirektion Wien beschränkte sich in ihrer zur Administrativbeschwerde erstatteten Stellungnahme auf die bloße Gegenbehauptung, es bestünde kein Hinweis, dass konkret für den Beschwerdeführer kein Heimreisezertifikat erlangt werden könne. Dass in der Vergangenheit für andere chinesische Staatsangehörige Ersatzreisepapiere ausgestellt worden wären, brachte sie aber nicht vor.

Bei dieser Ausgangslage durfte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres unterstellen, es werde "auch hier eine individuelle Fallprüfung seitens der VR China vorgenommen werden", und es sei die weitere Vorgangsweise der Botschaft abzuwarten. Richtig verstanden hat der Beschwerdeführer nämlich im Ergebnis gerade die Vornahme von "individuellen Fallprüfungen" seitens der chinesischen Botschaft in Abrede gestellt und vorgebracht, diese verweigere in Fällen wie dem seinen standardmäßig die Ausstellung eines Heimreisezertifikates.

Dem wäre näher nachzugehen gewesen, wobei etwa - im Rahmen der einwöchigen Entscheidungsfrist nach § 83 Abs. 2 Z 2 FPG - eine dann in der beantragten mündlichen Verhandlung zu erörternde telefonische Nachfrage bei der Bundespolizeidirektion Wien oder beim Bundesministerium für Inneres in Betracht gekommen wäre. Die ohne nähere Ermittlungen begründungslos aufgestellte Behauptung, es werde "eine individuelle Fallprüfung seitens der VR China vorgenommen werden", erweist sich dagegen als nicht ausreichend. Insofern hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt und ihren Bescheid nicht ordnungsgemäß begründet, weshalb der bekämpfte Bescheid letztlich insgesamt in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Da die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach dieser Verordnung bereits enthalten ist, war das auf den Ersatz derselben gerichtete Kostenmehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 28. August 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte