VwGH 2010/21/0441

VwGH2010/21/044128.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des T in S, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 7. September 2010, Zl. UVS 25.20-3/2010-18, betreffend Festnahme und Anhaltung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §120;
FrPolG 2005 §39 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §120;
FrPolG 2005 §39 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, wurde am 21. März 2010 um 22:10 Uhr bei einer fremdenpolizeilichen Überprüfung in einem Reisezug im Raum Kapfenberg gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen. Er hatte sich nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde mit einem gambischen Reisepass ohne Sichtvermerk ausgewiesen und auf ausdrückliche Nachfrage angegeben, keine "Asylkarte" zu haben. Eine im Zug durchgeführte EKIS-Abfrage hatte ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer ergeben, und auf telefonische Anfrage bei der Dienststelle war den Beamten mitgeteilt worden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers "gegenstandslos" sei, ein Aufenthaltsverbot bestehe und ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt worden sei.

Der Beschwerdeführer wurde sodann zur Polizeiinspektion Mürzzuschlag gebracht, wo ermittelt wurde, dass der Beschwerdeführer aufrecht gemeldet war. Außerdem wurde - fälschlich - festgestellt, dass der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel verfüge. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer um 23:10 Uhr aus der Anhaltung entlassen.

Mit Schriftsatz vom 31. März 2010 erhob er Administrativbeschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung. Er machte geltend, dass er am 1. Jänner 2006 - wenn auch unter einer anderen Identität - Asylwerber gewesen sei und gegen ihn daher kein Aufenthaltsverbot, sondern allenfalls ein Rückkehrverbot bestehe. Als Asylwerber genieße er gemäß § 12 AsylG 2005 Abschiebeschutz. Bei richtiger Eintragung im Fremdeninformationssystem wäre er vermutlich nicht festgenommen worden. Die einschreitenden Beamten hätten außerdem telefonisch eine genauere Priorierung durchführen können und müssen, zumal ihnen bewusst sein musste, dass er bei einer Festnahme nur durch Inkaufnahme hoher Taxikosten seine Reise am selben Tag würde fortsetzen können.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Administrativbeschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung kostenpflichtig als unbegründet ab.

Sie stellte fest, der Beschwerdeführer sei am 2. Juni 2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe unter der Identität J. C. einen Asylantrag gestellt. Noch am 2. Juni 2004 sei ihm eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 15. Februar 2005 sei er wegen Erwerbs, Besitzes und Überlassung von Suchtgift zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden. Auf Grund dieser Verurteilung sei von der Bezirkshauptmannschaft Mödling mit Bescheid vom 14. April 2005 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Am 30. August 2005 habe der Beschwerdeführer auch unter dem Namen T. B. einen Asylantrag gestellt, der am 25. Oktober 2005 "gegenstandslos" geworden sei.

Am 21. Oktober 2005 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, mit der er ein gemeinsames, am 14. November 2005 geborenes Kind habe. Auf Grund von Übergriffen gegen seine Ehefrau und deren Bruder sei am 13. Juni 2006 ein Betretungsverbot für die gemeinsame Wohnung ausgesprochen worden.

Am 30. Mai 2006 sei der Asylantrag für die Identität J. C. in erster Instanz negativ erledigt worden; dagegen sei am 6. Juli 2006 Berufung erhoben worden.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Juli 2007 sei der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in zweiter Instanz abgewiesen worden.

Bei der fremdenpolizeilichen Kontrolle am 21. März 2010 habe sich der Beschwerdeführer mit einem auf den Namen B. T. lautenden Reisepass ohne Sichtvermerk ausgewiesen. Eine Abfrage im Fahndungs-Laptop habe das Bestehen eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ergeben; auf ausdrückliche Nachfrage habe er erklärt, keine "Asylkarte" zu haben. Die Dienststelle habe den einschreitenden Beamten telefonisch mitgeteilt, dass das Asylverfahren bezüglich B. T. "gegenstandslos" sei.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer zu Recht gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 FPG festgenommen worden sei, weil er keinen Sichtvermerk habe vorweisen können, ein aufrechtes Aufenthaltsverbot festgestellt worden sei und im EKIS vermerkt gewesen sei, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt worden sei. Das Aufenthaltsverbot der Bezirkshauptmannschaft Mödling sei rechtskräftig und es sei unerheblich, ob stattdessen ein Rückkehrverbot hätte "verhängt" werden müssen. Es sei im EKIS ersichtlich, dass das Asylverfahren unter der Identität B. T. "gegenstandslos" sei. Wenn auch ein Asylverfahren unter der Identität J. C. anhängig gewesen sei, so sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer durch mehrjährige Angabe der Aliasidentität J. C. "zu einer gewissen Verwirrung beigetragen" habe. Die Aliasidentität sei für die Beamten im Zug nicht ersichtlich gewesen, und der Beschwerdeführer habe auch nicht selbst darauf hingewiesen. Unerheblich sei, ob den Beamten bewusst sein musste, dass der Beschwerdeführer nur mit dem Taxi seine Reise nach Wien fortsetzen hätte können. § 39 FPG sehe die Festnahme zum Zweck einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde vor, ohne dass berücksichtigt werden müsste, ob dadurch Kosten entstünden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer bestreitet darin nicht die Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde, meint aber, dass er nicht festgenommen werden hätte dürfen, weil es Sache der Behörde sei, die Eintragungen im Computersystem so zu verfassen, dass der Betreffende nicht unnötig freiheitsentziehende Maßnahmen zu erdulden habe. Außerdem hätten die Beamten auf seine Reisepläne Rücksicht nehmen müssen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und einen als "Gegenschrift" bezeichneten Schriftsatz erstattet, der neben dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde nur die Aussage enthält, dass nach Ansicht der belangten Behörde anlässlich der fremdenpolizeilichen Kontrolle des Beschwerdeführers zu Recht die Annahme eines unrechtmäßigen Aufenthaltes bestanden habe, sodass die Festnahme und Anhaltung bis zur Abklärung der Umstände vor der Behörde rechtmäßig gewesen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerlässlichen Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn sie ihn bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 auf frischer Tat betreten.

Gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Es ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer sowohl am 1. Jänner 2006 als auch zum Zeitpunkt der Festnahme Asylwerber war. Das bedeutet einerseits, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 125 Abs. 3 zweiter Satz FPG mit dem Inkrafttreten des FPG als Rückkehrverbot weitergalt, und andererseits, dass der Tatbestand des § 120 Abs. 1 Z 2 FPG nicht erfüllt war.

Der Festnahmetatbestand des § 39 Abs. 1 Z 1 FPG liegt aber schon dann vor, wenn das einschreitende Sicherheitsorgan ein Verhalten unmittelbar selbst wahrnimmt, das es zumindest vertretbarerweise als eine Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG qualifizieren kann, wenn also das Organ mit gutem Grund annehmen konnte, dass eine Verwaltungsübertretung begangen wird (vgl. - zu § 110 Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 - das hg. Erkenntnis vom 26. September 2006, Zl. 2004/21/0285, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur, etwa das hg. Erkenntnis vom 5. September 2002, Zl. 2000/02/0037; siehe zur "Betretung auf frischer Tat" iSd § 35 VStG etwa auch Stöger in Raschauer/Wessely, VStG, Anm. 7 zu § 35, mit Hinweisen auf die Judikatur des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes).

Im Beschwerdefall konnten die einschreitenden Beamten im Hinblick darauf, dass der ihnen ausgehändigte Reisepass keinen österreichischen Sichtvermerk enthielt und sich aus der vor Ort durchgeführten elektronischen und telefonischen Abklärung keine Aufenthaltsberechtigung, sondern - im Gegenteil - ein Aufenthaltsverbot ergab, mit gutem Grund davon ausgehen, dass sie ein als Übertretung des § 120 Abs. 1 Z 2 FPG zu qualifizierendes Verhalten wahrgenommen hatten; dass der Beschwerdeführer Asylwerber war, war für die Beamten auf Grund der im Asylverfahren verwendeten Aliasidentität - die der Beschwerdeführer aus Anlass der Kontrolle nicht offenlegte - nicht erkennbar. Die gegebene Sachlage rechtfertigte auch die Annahme, dass die Vorführung des Beschwerdeführers vor die Behörde für die Sicherung des Strafverfahrens, insbesondere zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns, unerlässlich war. Ausgehend davon hat auch der Umstand, dass eine Weiterreise mit dem Zug am selben Abend nicht mehr möglich sein würde, die Festnahme nicht unverhältnismäßig gemacht.

Da die behauptete Rechtsverletzung somit nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, wobei der belangten Behörde, die einen allgemeinen Kostenantrag gestellt hatte, kein Schriftsatzaufwand zuzuerkennen war, weil der erstattete Schriftsatz ungeachtet seiner Bezeichnung nicht als Gegenschrift zu qualifizieren war.

Wien, am 28. August 2012

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