Normen
FrG 1997 §36 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1979 geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik. Im Rahmen der Familienzusammenführung reiste er im Februar 1995 zu seiner Mutter nach Österreich, die hier seit 9. April 1994 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist und der mit Wirkung vom 26. Februar 1998 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.
Dem Beschwerdeführer wurden entsprechende Aufenthaltstitel erteilt, zuletzt verfügte er über eine bis 2. November 2006 gültige Niederlassungsbewilligung "Begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Ein Verlängerungsantrag vom 27. Oktober 2006 war nicht erfolgreich.
Der Beschwerdeführer ist seit 19. Dezember 2009 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet; ein gemeinsames Kind, gleichfalls österreichischer Staatsbürger, wurde am 24. November 2008 geboren.
Der Beschwerdeführer wurde insgesamt fünfmal strafgerichtlich verurteilt. Zwei Verurteilungen (Dezember 2001 und März 2007) erfolgten jeweils wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung), und zwar zu einer einmonatigen Freiheitsstrafe und zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe, jeweils bedingt nachgesehen.
Eine weitere Verurteilung wegen §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 erster Fall StGB (schwerer gewerbsmäßiger Betrug) datiert vom 7. April 2005. Dabei wurde über den Beschwerdeführer eine teilbedingte zwölfmonatige Freiheitsstrafe (unbedingter Strafteil zwei Monate) verhängt.
Mit Urteil vom 19. März 2007 wurde der Beschwerdeführer der Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG sowie der Vergehen nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall sowie Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG - teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB - für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt. Schließlich erging noch am 25. September 2009 wegen § 27 Abs. 1 Z. 1 SMG eine Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen dreimonatigen Freiheitsstrafe.
Unter Bezugnahme auf die dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers erließ die Bundespolizeidirektion Graz gegen ihn, noch vor seiner Eheschließung, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG und § 63 Abs. 1 FPG ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 9. Juni 2010 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) die dagegen erhobene Berufung mit der Maßgabe ab, dass das Aufenthaltsverbot nach § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und § 66 Abs. 1 sowie gemäß §§ 86 Abs. 1 und 87 FPG erlassen werde. Begründend verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass dem Beschwerdeführer bereits nach seiner Verurteilung vom 7. April 2005 zur Kenntnis gebracht worden sei, er müsse im Falle einer weiteren strafgerichtlichen Verurteilung mit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen rechnen. Trotzdem sei er weiter straffällig geworden und habe (insbesondere) das der Verurteilung vom 19. März 2007 zugrunde liegende Fehlverhalten gesetzt. Dem Urteil sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer, ausgehend von seiner angespannten finanziellen Situation, von Anfang 2006 bis 20. Dezember 2006 in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt habe, indem er mindestens 70 Gramm Kokain und mindestens 5000 Gramm Cannabiskraut gewinnbringend verkauft sowie zum gewinnbringenden Verkauf unbekannter Mengen Kokain durch andere Personen durch die Vermittlung von Abnehmern beigetragen habe. Weiters sei er für schuldig erkannt worden, unbekannte Mengen Cannabiskraut und Kokain von spätestens Anfang 2005 bis 20. Dezember 2006 erworben und bis zum Konsum bzw. bis zur Sicherstellung besessen zu haben.
Da der Beschwerdeführer mit einer Österreicherin verheiratet sei, kämen in seinem Fall - so die belangte Behörde weiter - bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen die Bestimmungen der §§ 87 und 86 Abs. 1 und 3 FPG zur Anwendung. Vorliegend sei im Hinblick auf die Verurteilung zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe der Tatbestand "des § 60 Ziffer 1" erfüllt. Die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten ließen ein Charakterbild erkennen, das zweifelsohne den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit anderer Personen bzw. der Volksgesundheit erlassenen Vorschriften bzw. gegenüber der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt und bilde solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Es sei eine negative Zukunftsprognose zu stellen, wobei im Rahmen dieser zu treffenden Gefährlichkeitsprognose im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers in Betracht zu ziehen sei. Von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes könne nicht Abstand genommen werden, weil der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers nach § 60 Abs. 1 FPG komme nicht in Betracht.
Im Rahmen des von der belangten Behörde ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, einen "aktuellen Suchtgift-Therapiebericht" vorzulegen. Dem sei der Beschwerdeführer im Februar 2010 nachgekommen. Er habe ein Schreiben der Drogenberatung des Landes Steiermark präsentiert, wonach er sich seit 28. August 2009 in ambulanter Suchttherapie befinde. (Dieses Schreiben schließt, wie von der belangten Behörde auch wiedergegeben, damit, dass "von einer erfolgreichen Therapie im Sinne der Abstinenz und Perspektivenentwicklung gesprochen werden" könne.)
"Aus dem vorangeführten Sachverhalt und unter Berücksichtigung des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens" komme die belangte Behörde zu dem Entschluss, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren jenem Zeitraum entspreche, innerhalb dessen ein allfälliger - derzeit schon in Ansätzen ersichtlicher - positiver Gesinnungswandel des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Einstellung zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne. Der festgestellte Sachverhalt rechtfertige (aber) die Annahme, dass der derzeitige weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" gefährden könnte. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei zum Schutz des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen geboten. Das Aufenthaltsverbot erweise sich auch im Hinblick auf § 66 FPG als zulässig.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der bekämpfte Bescheid auf Basis der bei seiner Erlassung geltenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist. Soweit im Folgenden von Bestimmungen des FPG die Rede ist, wird daher auf die im Juni 2010 gültige Fassung Bezug genommen.
Der Beschwerdeführer ist Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin. Davon ausgehend hatte die belangte Behörde gemäß § 87 FPG bei Verhängung eines Aufenthaltsverbotes den Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG heranzuziehen. Demnach ist das Aufenthaltsverbot (nur) zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Im Spruch ihres Bescheides hat die belangte Behörde § 86 Abs. 1 FPG angeführt. Sie hat in der Begründung auch - zutreffend -
darauf hingewiesen, dass diese Bestimmung angesichts der Ehe des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin bei Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zur Anwendung gelange. In der Folge hat sie nur mehr den ersten Satz des § 86 Abs. 1 FPG wiedergegeben. Vor allem ist ihren dann konkret angestellten Erwägungen zur Gefährlichkeit des Beschwerdeführers aber nicht zu entnehmen, dass sie diese an den Kriterien des § 86 Abs. 1 FPG gemessen hätte. Vielmehr wird im bekämpften Bescheid immer wieder auf § 60 Abs. 1 FPG Bezug genommen und - angepasst an den dort normierten geringeren Gefährdungsmaßstab und dem Wortlaut nach nach § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 folgend - formuliert, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde "die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" bzw. laufe anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (siehe auch die ausdrücklichen Überlegungen zur Ermessensübung nach § 60 Abs. 1 FPG). Letztlich hat die belangte Behörde damit nur scheinbar § 86 Abs. 1 FPG für ihre Beurteilung herangezogen, der Sache nach aber den Gefährdungsmaßstab nach § 60 Abs. 1 FPG zur Anwendung gebracht und insbesondere nicht dargelegt, inwieweit das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Im gegebenen Zusammenhang ist anzumerken, dass es bei der gebotenen Prognosebeurteilung in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das zugrunde liegende Verhalten ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu und zu den im FPG vorgesehenen Gefährdungsprognosen sowie deren "Rangordnung" das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nur das der Verurteilung vom 19. März 2007 zugrunde liegende strafrechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers näher - und damit einer Bewertung auf seine Gefährlichkeit hin zugänglich - dargestellt. Dazu hat der Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt, seine "Suchtgiftverurteilung" sei nur darauf zurückzuführen, dass er suchtgiftabhängig gewesen sei; bei der Straftat habe es sich um Beschaffungskriminalität gehandelt. Dem ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Vielmehr hat sie den Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens und unter erkennbarem Bezug auf seine weitere Behauptung, bis einschließlich Februar 2010 eine Suchtgifttherapie zu absolvieren, aufgefordert, schriftlich zu dokumentieren, inwieweit diese Therapie erfolgreich (gewesen) sei. Dieser Aufforderung ist der Beschwerdeführer durch Vorlage eines Therapieberichts vom 11. Februar 2010 nachgekommen. Im bekämpften Bescheid wird dieser Therapiebericht dann auch wiedergegeben. Wie der Beschwerdeführer mit Recht beanstandet, lässt der Bescheid aber eine Auseinandersetzung mit diesem Bericht vermissen. Insbesondere fehlen jegliche Überlegungen dazu, inwieweit trotz der - laut Bericht - erfolgreichen Therapie vom Beschwerdeführer weiterhin eine aktuelle Gefährdung, zumal nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, ausgeht. Wenn die belangte Behörde von einem derzeit schon in Ansätzen ersichtlichen positiven Gesinnungswandel spricht, scheint sie eher das Gegenteil zum Ausdruck zu bringen. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, hier insoweit eine fehlende Beurteilung durch die belangte Behörde zu ersetzen.
Eine ordnungsgemäße Prognose vor dem Hintergrund des § 86 Abs. 1 FPG hätte es auch erfordert, dass die belangte Behörde das der Verurteilung vom 19. März 2007 nachfolgende Geschehen mit in den Blick nimmt. Dazu ist anzumerken, dass sich den Verwaltungsakten entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer im November 2007, nach knapp elf Monaten, aus der Haft entlassen wurde und sich in der Folge einer (ersten) Suchtgifttherapie unterzog. Dazu und zur weiteren Entwicklung hat die belangte Behörde aber keine Feststellungen getroffen.
Nach dem zuvor Gesagten ist der bekämpfte Bescheid allerdings schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weil er - ungeachtet der formalen Bezugnahme auf § 86 Abs. 1 FPG - der Sache nach nur auf den Gefährdungsmaßstab nach § 60 Abs. 1 FPG abstellt. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z.1 VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2012
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)