VwGH 2010/21/0105

VwGH2010/21/010513.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des B in V, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 11. März 2010, Zl. E1/17195/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FSG 1997 §26;
SPG 1991 §81;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5;
StVO 1960 §99 Abs1b;
StVO 1960 §99;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FSG 1997 §26;
SPG 1991 §81;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5;
StVO 1960 §99 Abs1b;
StVO 1960 §99;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 6. März 2009 wurde gegen den aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführer, der seit Februar 2006 mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist, im Hinblick auf mehrfache Bestrafungen wegen Verwaltungsdelikten gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf drei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 17. April 2009 wurde der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung insoweit stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs Monate herabgesetzt wurde.

Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2009, Zl. 2009/21/0104, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit aufgehoben. Es lagen nämlich keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer (infolge Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch seine Ehefrau) als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sei und damit die Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 FPG für die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben gewesen wären.

Hierauf wurde die Berufung mit Beschluss des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 29. September 2009 der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gemäß § 6 Abs. 1 AVG weitergeleitet. Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid der genannten Sicherheitsdirektion (der belangten Behörde) vom 11. März 2010 wurde der Berufung nunmehr - mit der Maßgabe, dass das Aufenthaltsverbot auch auf § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG gestützt wurde - keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Der mit "Voraussetzungen für das Aufenthaltsverbot" überschriebene § 60 FPG (in der hier noch maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) lautete auszugsweise wie folgt:

"§ 60 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt

  1. 1. die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
  2. 2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

  1. 1.
  2. 2. mehr als einmal wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, i. V.m. § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1a, 1b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, oder gemäß den §§ 9 oder 14 in Verbindung mit § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Übertretung dieses Bundesgesetzes, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

    …"

    Der Beschwerdeführer ist im Hinblick auf die aufrechte Ehe Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Für diese Personengruppe gilt - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein (unionsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - überdies § 86 Abs. 1 FPG. Nach dieser Bestimmung (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

    In der Beschwerde wird unter anderem bemängelt, die belangte Behörde habe die Gefährdungsannahme im Sinne dieser Bestimmung nicht (ausreichend) begründet. Dem ist beizupflichten:

    Bei der Gefährdungsprognose nach den ersten beiden Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") kommt es wie bei der ein geringeres Maß verlangenden Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen und Bestrafungen wegen Verwaltungsdelikten letztlich immer auf das zugrundeliegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603, mit dem Hinweis auf Punkt 2. und 3. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197; siehe daran anschließend etwa auch das Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2009/21/0267, uva.).

    Diesen Anforderungen wurde die belangte Behörde schon deshalb nicht gerecht, weil sie die für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen nur (im Rahmen der Wiedergabe der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides) durch Nennung der Behörde, der Geschäftszahl und des Entscheidungsdatums sowie durch Anführung der Strafnormen individualisierte. Die unter dem Gesichtspunkt des § 86 Abs. 1 FPG getroffene generelle Aussage der belangten Behörde, gerade Übertretungen nach § 5 StVO (Lenken eine Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand) seien schwer zu gewichten und würden eine gegenwärtige und erhebliche Gefährdung für "Leib und Leben" darstellen, lässt somit einen nachvollziehbaren Bezug zum vorliegenden Einzelfall vermissen. Dafür hätte es konkreter Feststellungen zur Tatzeit, zum dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verhalten und zu den näheren Begleitumständen sowie zur verhängten Strafe bedurft. Hinsichtlich der Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Lenkens eines Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand wären aber vor allem auch Feststellungen zum Alkoholisierungsgrad zu treffen gewesen.

    In diesem Zusammenhang ist weiters anzumerken, dass der Beschwerdeführer offenbar nur einmal, nämlich am 22. April 2008, nach § 99 Abs. 1b StVO bestraft wurde; bei der unter Punkt 11. erwähnten "Bestrafung" vom 3. Februar 2009 "wegen § 5 Abs. 1 StVO", handelt es sich nämlich nach Ausweis der vorgelegten Akten in Wahrheit nicht um eine nach § 60 Abs. 2 Z 2 FPG relevante Bestrafung nach § 99 StVO, sondern um die administrativrechtliche Maßnahme des Führerscheinentzugs gemäß § 26 FSG. Es ist daher - wie die Beschwerde im Ergebnis zu Recht rügt - nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG ausging, obwohl der Beschwerdeführer offenbar jeweils nur einmal nach dort angeführten Bestimmungen, nämlich nach § 81 SPG und nach § 99 Abs. 1b StVO, bestraft worden sein dürfte. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 schon judiziert, eine Gefährdung, wie sie nunmehr in § 86 Abs. 1 FPG umschrieben ist, liege nicht vor, wenn der Fremde in zwei Fällen wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO rechtskräftig bestraft wurde und der Alkoholisierungsgrad nicht hoch war (vgl. das Erkenntnis vom 30. Mai 2001, Zl. 99/21/0310, und daran anschließend die Erkenntnisse vom 9. Oktober 2001, Zl. 99/21/0296, und vom 26. Juni 2002, Zl. 99/21/0143). Auch von daher hätte es der erwähnten ergänzenden Feststellungen zu den Verwaltungsstrafen des Beschwerdeführers bedurft.

    Der angefochtene Bescheid war somit schon im Hinblick auf die aufgezeigten Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

    Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 13. Dezember 2012

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