VwGH 2009/22/0300

VwGH2009/22/030026.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstern 2/1. DG, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 29. April 2009, Zl. 153.583/2-III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §60;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, mit dem österreichischen Staatsbürger S verheiratet zu sein. Im Zuge einer Überprüfung mit dem Antrag vorgelegter Dokumente habe "durch einen Vertrauensanwalt festgestellt werden" können, dass die Beschwerdeführerin eine "traditionell geschlossene Ehe" führe, die von ihren Eltern arrangiert und erzwungen worden sei. Sie lebe mit ihrem Ehemann D seit mindestens drei Jahren zusammen. Dieser Beziehung entstamme auch ein Kind. Es handle sich um eine gültige, nach traditionellen Riten geschlossene Ehe. Einen Nachweis über die Auflösung dieser Ehe gebe es nicht. Darüber hinaus seien auch die gesetzlichen Voraussetzungen für die behauptete Heirat (gemeint: mit S) nicht eingehalten worden. Es sei keine Bekanntmachung der Eheschließung mindestens 21 Tage vor der Heirat erfolgt.

Auf Grund "dieses Überprüfungsergebnisses durch den Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Abuja" sei der Antrag (in erster Instanz) abgewiesen worden. Soweit in der Berufung behauptet werde, dass der Vertrauensanwalt lediglich seine Unterschrift "unter die Überprüfung" gesetzt habe und die Überprüfung tatsächlich "von einer Firma" vorgenommen worden sei, werde festgehalten, dass die Behörde gemäß § 45 Abs. 2 AVG unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen habe, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht. Da es sich bei der Person, die den Abschlussbericht der Österreichischen Botschaft Abuja vorgelegt habe, um den Vertrauensanwalt dieser Botschaft gehandelt habe, werde davon ausgegangen, dass das Ermittlungsergebnis der Wahrheit entspreche.

Sohin könne nicht gesagt werden, die Beschwerdeführerin sei Familienangehörige eines österreichischen Staatsbürgers im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2009, B 699/09-3, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass hier im Hinblick auf den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides das NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 29/2009 maßgeblich ist.

§ 2 Abs. 1 Z 9 und § 47 Abs. 2 NAG (jeweils samt Überschrift) lauten:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

  1. 1. ...
  2. 9. Familienangehöriger: wer Ehegatte oder

    unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie), wobei die Ehegatten, ausgenommen Ehegatten von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben müssen; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;

    10. ... ."

    "Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger'

    und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. ...

(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.

..."

Die belangte Behörde, die sich insoweit im angefochtenen Bescheid nicht zweifelsfrei festlegt und darauf verweist, der Beschwerdeführerin könne kein Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 2 NAG ausgestellt werden, weil sie nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG anzusehen sei, geht entweder davon aus, die Beschwerdeführerin habe entgegen ihrem Vorbringen nicht rechtsgültig die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürgers S geschlossen oder es liege eine Mehrfachehe vor. Dabei beruft sie sich auf den vom Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Abuja unterfertigten Bericht.

Soweit nun die gegenständliche Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde kritisiert, ist sie im Recht.

Bereits im Verwaltungsverfahren hat die Beschwerdeführerin mit konkreten, auf das Ergebnis der Erhebungen bezugnehmenden Argumenten dargelegt, weshalb dieses nicht zutreffend sei. Damit hat sich die belangte Behörde aber überhaupt nicht auseinandergesetzt, sondern hinsichtlich der Richtigkeit des Erhebungsergebnisses allein darauf verwiesen, dass das Ermittlungsergebnis deshalb der Wahrheit entspreche, weil der Bericht über die Erhebungen vom Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Abuja vorgelegt worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Mai 2012, Zl. 2011/08/0389, mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053), dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit.

Ausgehend von dem der Beweiswürdigung zugrundeliegenden Argument der belangten Behörde kann aber nun nicht gesagt werden, ihre Beweiswürdigung stelle sich als schlüssig dar. Im Ergebnis vertritt sie nämlich die Auffassung, die Ausführungen im vom Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft Abuja vorgelegten Bericht seien deshalb zutreffend, weil dieser eben die genannte Stellung als Vertrauensanwalt innehabe. Die Auffassung, dass aber schon allein deswegen der Inhalt des Berichts den Tatsachen entspreche, lässt sich mit dem Gesetz nicht in Einklang bringen. Eine solcherart vorgenommene Beweiswürdigung vermag der Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof - selbst unter Berücksichtigung der insoweit dem Verwaltungsgerichtshof bloß eingeschränkt zukommenden Prüfbefugnis - nicht standzuhalten.

Sollte die belangte Behörde zudem vor Augen gehabt haben, dass die Beschwerdeführerin eine Mehrfachehe geschlossen hätte, so ist überdies darauf hinzuweisen, dass anhand der Feststellungen im angefochtenen Bescheid in keiner Weise erkennbar ist, dass der in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG enthaltene Tatbestand, wonach die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels sind, wenn im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet lebt, erfüllt wäre.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. Juni 2012

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