VwGH 2009/11/0195

VwGH2009/11/019520.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des M S in T, vertreten durch Dr. Heinrich Schellhorn, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 27. Mai 2009, Zl. BMASK- 41.550/397-IV/9/2006, betreffend Entschädigung nach dem Impfschadengesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

HVG §2 Abs1;
HVG §2;
ImpfSchG §1;
ImpfSchG §3 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
HVG §2 Abs1;
HVG §2;
ImpfSchG §1;
ImpfSchG §3 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 29. November 2004 stellte der am 16. Juli 1984 geborene Beschwerdeführer einen Antrag auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz. Nach jeder von drei am 30. Oktober 1984, am 5. Dezember 1984 und am 10. Jänner 1985 verabreichten Diphterie-Pertussis-Tetanus-Teilimpfungen sei der Beschwerdeführer für Stunden auffallend ruhig gewesen. Im Jänner 1985, ein bis zwei Wochen nach der am 10. Jänner 1985 erfolgten dritten Teilimpfung, habe der Beschwerdeführer einen (ersten) zerebralen Krampfanfall erlitten, auf den weitere gefolgt seien. Der Beschwerdeführer leide deshalb an bleibenden geistigen Schäden. Aus den vom Beschwerdeführer zu dem Antrag vorgelegten Unterlagen - insbesondere der Landeskrankenanstalt Salzburg, Kinderspital, vom 22. August 1984 - ist ersichtlich, dass er bei seiner fünf Wochen zu früh erfolgten Geburt an einem Atemnotsyndrom gelitten hatte, fünf Tage lang künstlich beatmet worden und insgesamt fünf Wochen in Spitalsbehandlung verblieben war. Nach dem Ende der zweiten Woche war "praktisch keine pulmonale Symptomatik mehr" feststellbar gewesen, die Entwicklung des Beschwerdeführers war "sehr zufriedenstellend" verlaufen und er war am 18. August 1984 "in intern und neurolog. unauffälligem Allgemeinzustand" entlassen worden.

Das Bundessozialamt, Landesstelle Kärnten, wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 20. März 2006 ab und folgte in der Begründung im Wesentlichen den eingeholten fachärztlichen Gutachten, welche die schwere Beeinträchtigung der Hirnleistungsfunktion auf die Geburtskomplikationen zurückgeführt und eine Kausalität der Impfung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen hatten.

Im Berufungsverfahren holte die belangte Behörde zunächst ein Gutachten von Univ.Prof. Dr. S. vom 21. August 2006 ein, in welchem der Gutachter aufgrund der ihm vorgelegten umfangreichen Dokumentation davon ausging, dass der Beschwerdeführer "möglicherweise ein Problemkind hinsichtlich seiner Neonatalperiode und allenfalls schon beginnend bezüglich seiner neurologischen Entwicklung, die allerdings im Mutter-Kind-Pass als unauffällig dargestellt wurde", gewesen sei, "jedoch war er kein Problemkind hinsichtlich einer genetischen Störung oder einer genetisch bedingten Störung des Encephalon oder einer schweren Hirnschädigung mit Anfällen. Aus diesen Gründen war er zum damaligen Zeitpunkt keinesfalls von den empfohlenen Impfungen ausgeschlossen und wurde bei solchen Kindern damals auch nicht empfohlen, Impfungen zu unterlassen". Zum Zeitpunkt der Entlassung aus der fünfwöchigen Spitalsbetreuung nach der Geburt sei "kein Hinweis auf eine Erkrankung des (Beschwerdeführers) vorgelegen …, weil diese Erkrankung erst später aufgetreten ist." Aufgrund des "alleinigen zeitlichen Zusammenhangs" mit der Impfung könne nicht auf einen Kausalzusammenhang geschlossen werden, da eine Vielzahl solcher Erkrankungen im ersten Lebensjahr beginne. Zusammenfassend sah der Gutachter - unter der Annahme, der Beschwerdeführer sei mit einem azellulären Pertussis-Impfstoff geimpft worden - einen derartigen Kausalzusammenhang als "wenig wahrscheinlich" an. In einer aufgrund von (unter anderem) zur Art des Impfstoffes erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers erstatteten Ergänzung zu seinem Gutachten führte Prof. Dr. S. am 28. Juni 2007 aus, "dass bei dem damaligen zellulären Impfstoff bisweilen cerebrale Erkrankungen aufgetreten sind, weswegen die damaligen Impfempfehlungen der alten Art enthielten, dass Kinder mit einer cerebralen Vorschädigung nicht zu impfen wären". Zur Klärung eines möglichen Zusammenhangs empfahl der Gutachter die Beiziehung von Univ.Prof. Dr. M.

Das von der belangten Behörde daraufhin eingeholte Gutachten von Univ.Prof. Dr. M. vom 20. Oktober 2007, der den Beschwerdeführer am Vortag untersucht hatte, lautet auszugsweise wie folgt:

"Zum Zeitpunkt der Impfung in den Jahren 1984/85 waren in Österreich nur Kombinationsimpfstoffe mit der Pertussis-Ganzkeim-Komponente (whole cell pertussis vaccine, wcP) in Verwendung, weshalb sich die folgenden Ausführungen nur auf diesen Impfstoff und nicht auf die seit 1996 auch in Österreich verfügbaren azellulären Pertussis-Impfstoffe (aP) beziehen.

Die Pertussis-Ganzkeim-Kombinationsimpfstoffe hatten als Nebenwirkung u.a. Fieberreaktionen und auch Krampfanfälle (Fieberkrämpfe bis 0-1 % der Fälle bzw. 1 pro 1,750 Dosen) zur Folge, welche innerhalb von 48 - 72 Stunden nach der Impfung auftreten konnten. Fieberkrämpfe nach Impfungen (DPT = Diphtherie-Pertussis-tetanus, MMR = Masern-Mumps-Röteln o.a.) sind nicht mit neurologischen Langzeitfolgen vergesellschaftet; normalerweise erleiden 3 % aller Kinder in den ersten fünf Lebensjahren einen Fieberkrampf - ebenfalls ohne Langzeitfolgen.

Das Auftreten einer Gehirnhautentzündung (Enzephalitis) nach einer DPT-Impfung wurde früher mit 1-30 pro Million Impfungen angegeben, ist aber nach heutigen Erkenntnissen mit einer Häufigkeit von 0-10,5 Episoden pro 1 Million Impfungen angegeben. Dementsprechend sind neurologische Langzeitschädigungen nach DPT-Impfung fast nie die Folge der Impfung, sondern zeitgleiches Auftreten von neurologischen Krankheiten in dieser Altersgruppe, welche sich bei zunehmend genauer Untersuchung meist anderen Grunderkrankungen zuordnen lassen.

In Großbritannien wurde 1976 eine eigene Studie zur Klärung der Kausalität zwischen DPT-Impfung und neurologischen Folgezuständen gestartet (= Nationale kindliche Enzephalopathie-Studie 1976-1979). Die Schlussfolgerung dieser Studie war, dass die Diphterie-Tetanus-Pertussis Impfung in seltenen Fällen mit schweren akuten neurologischen Erkrankungen, welche schwere bleibende Folgen haben können, vergesellschaftet sein kann. Manche dieser Fälle ereignen sich zufällig oder haben andere Ursachen. Die Rolle des Keuchhusten-Impfstoffes als auslösender oder begleitender Faktor für die Ursache dieser Erkrankungen kann im einzelnen Fall nicht festgestellt werden.

Da sich ein eindeutiger ursächlicher Zusammenhang zwischen der DPT-Impfung und akuten sowie bleibenden neurologischen Schäden wegen der Seltenheit solcher Ereignisse nicht hat nachweisen lassen, hat das IOM (Institute of Medicine) im Jahr 1994 nach eingehenden Untersuchungen festgestellt, dass nach angemessener Beweiswürdigung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der DPT-Impfung und einer neurologischen Langzeitschädigung dann angenommen werden kann, wenn eine schwere akute neurologische Erkrankung binnen 7 Tagen nach der DPT-Impfung auftritt. In dieser Untersuchung war es dem IOM aber nicht möglich zu klären, ob die Impfung gegen Keuchhusten zu einer erhöhten Zahl von neurologischen Langzeitstörungen bei Kindern führte oder ob die Keuchhusten Impfung nur als auslösendes Ereignis für neurologische Erkrankungen wirkte, welche zufolge bestehender Veränderungen im Gehirn oder im Stoffwechsel ohnedies einmal zum Ausbruch gekommen wären.

Auch andere Autoren fordern für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Impfung und neurologischer Schädigung eine zeitliche Nähe zwischen Impfung und neurologischer Reaktion des Organismus und stellen fest, dass eine neurologische Langzeitschädigung in den seltenen Ausnahmefällen dann angenommen werden kann, wenn die neurologische Symptomatik in zeitlichem Zusammenhang d.h. innerhalb von 3 Tagen nach der Impfung beobachtet wird. Die Wahrscheinlichkeit einer zeitlich assoziierten neurologischen Erkrankung ist bei Kindern mit zugrundeliegender Gehirnerkrankung oder Stoffwechselerkrankungen, welche für sich zu neurologischen Leiden führen können, möglicherweise größer.

o Miller D, Madge N, Diamond J, Wadsworth J, Ross E. Pertussis immunisation and serious acute neurological illnesses in childeren. BMJ. 1993 nor 6; 307(6913): 1171-6.

o Vgl. Quast U, W Thilo, R Fescharek: "Impfreaktionen" Hippokrates Verlag, Stuttgart, 1993

o DPT Vaccine and Chronic Nervous System Dysfunction: A New Analysis. Institute of Medicine, Washington, DC, National Academy Press, 1994.

o Update: Vaccine Side Effects, Adverse Reactions, Contraindications, an Precautions MMWR Sept 6, 1996, Vol. 45, No. RR-12

Bei M (Beschwerdeführer) ist die Möglichkeit einer bleibenden neurologischen Schädigung durch die schwere Geburt und die schwere Neugeborenenperiode gegeben. Gleicherweise unbestritten ist ein neurologisches Krankheitsbild mit Anfällen in zeitlichem Zusammenhang von 1-3 Wochen nach der 3. DPT-Impfung aufgetreten.

Einige Fakten sprechen allerdings gegen eine hauptursächliche Wirkung der Impfung für das derzeitige Krankheitsbild:

o Vorschädigung durch die Frühgeburtlichkeit mit peripartaler Asphyxie und beatmungspflichtiger Lungenerkrankung

o Impfreaktion ohne Fieber und ohne Krampfanfälle innerhalb der ersten Tage nach der Impfung

o Auftreten der Krampfanfälle höchstwahrscheinlich mehr als eine Woche nach der Impfung

o Kein Hinweis auf entzündliche Gehirnerkrankung im EEG Umstände, welche einen ursächlichen Zusammenhang zwischen

Impfung und nachfolgender Erkrankung begründen könnten, sind:

o Auffälliges Verhaltensmuster innerhalb von Stunden nach der Impfung mit spät nachfolgender Anfallssymptomatik

o Theoretische Möglichkeit, dass bei latent vorliegender Grunderkrankung die Impfung eine auslösende Wirkung für neurologische Erkrankung haben kann, welche vielleicht auch sonst zu diesem oder einem späteren Zeitpunkt aufgetreten wäre.

Eine eindeutige Klärung des Zusammenhanges zwischen Impfung und möglicher neurologischer Schädigung ist oft auch bei sofortiger ausführlicher Untersuchung mit allen Methoden der Medizin nicht mit Sicherheit möglich; ebenso wenig ist eine solche Klärung ohne Vorhandensein einer fachlichen Befund-Dokumentation aus der kritischen Zeit (zirka eine Woche nach der Impfung) im Nachhinein (Ereignis vor 22 Jahren!) möglich.

Trotz mehrfacher Untersuchungen von namhaften Ärzten und Institutionen konnte keine eindeutige positive Diagnose zur Erklärung des im Jahr 1985 aufgetretenen Anfallsgeschehens und der schweren und praktisch kaum zu bessernden psycho-intellektuellen Langzeitschädigung gefunden werden.

Gutachterliche Beurteilung:

Das bei M (Beschwerdeführer) vorliegende Krankheitsbild einer schweren intellektuellen Minderbegabung und ausgeprägter (Autismus ähnlicher) Störungen mit 100 %iger Minderung der Erwerbsfähigkeit kann idiopathisch (ungeklärt) oder auch durch verschiedene Ursachen aus der persönlichen Vorgeschichte aufgetreten sein. Auf Grund der vorliegenden Informationen und Befunde ist unter Berücksichtigung der zeitlichen Zusammenhänge die Ursächlichkeit einer Schädigung durch die DPT-Impfung wenig wahrscheinlich, kann aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden."

Der Beschwerdeführer legte daraufhin ein Privatgutachten von Dr. H vom 23. März 2008 vor, in dem aufgrund zahlreicher Literaturnachweise aus den Jahren 1948 bis 2005 davon ausgegangen wird, dass im Fall des Beschwerdeführers ein Impfschaden wahrscheinlich sei. In Ermangelung einer konkreten Dokumentation des beim Beschwerdeführer verwendeten DPT-Impfstoffs und der Chargennummer befasste sich Dr. H in seinem Gutachten ausführlich mit den Inhaltsstoffen des 1984/85 in Deutschland am meisten verwendeten Produkts und wies darauf hin, dass in der dazu ausgegebenen Fachinformation "unter dem Punkt Nebenwirkungen explizit auf die Möglichkeit einer postvakzinalen Enzephalopathie durch die Impfung hingewiesen" worden sei. Alle in dieser Zeit zugelassenen DPT-Impfstoffe hätten überdies ein quecksilberhaltiges Konservierungsmittel enthalten, das neurotoxische Wirkungen habe. Der zeitliche Abstand von etwa einer Woche zwischen der Impfung des Beschwerdeführers und dem ersten Krampfanfall sei für ein allergisch-toxisches Geschehen plausibel. Andere Ursachen der Hirnentwicklungsstörung, insbesondere die Geburtskomplikationen, seien nach der Aktenlage beim Beschwerdeführer differentialdiagnostisch ausgeschlossen worden. Eine Hirnschädigung aufgrund der Atemstörung nach der Geburt "hätte bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit vor den Impfungen zu Auffälligkeiten der Entwicklung geführt und den Kinderarzt sicher veranlasst, gerade mit der Pertussis-Impfung zu warten".

In einer Stellungnahme vom 19. Juni 2008 kritisierte Univ.Prof. Dr. S dieses Gutachten und wies - ohne wissenschaftliche Belege - auf seiner Ansicht nach darin enthaltene Unschlüssigkeiten hin. Eine Auseinandersetzung mit den in Österreich zur Zeit der Impfung des Beschwerdeführers am meisten verwendeten DPT-Impfstoffen und deren Nebenwirkungen oder mit einschlägiger Literatur enthält diese Stellungnahme nicht. Abschließend wird - ohne weitere Erklärung - davon ausgegangen, es habe "sich ja im zeitlichen Zusammenhang keine impfbedingte Reaktion gezeigt". Auch sei "der differentialdiagnostische Ausschluss anderer Ursachen … eigentlich ganz gut gelungen" und weise "aufgrund des Computertomogramms und des unspezifischen EEG's darauf hin, dass es sich um eine Folgeerkrankung nach neonataler Intensivbehandlungsnotwendigkeit und Adaptionsstörung gehandelt hat". Eine nähere Erklärung dieser Annahme erfolgt nicht.

Univ.Prof. Dr. M teilte in einem kurzen Schreiben vom 30. Juni 2008 mit, er schließe sich der Stellungnahme Dris. S an und lege keine zusätzliche Stellungnahme vor.

Der Beschwerdeführer ergänzte daraufhin seine Berufung insbesondere im Hinblick auf seiner Ansicht nach in den gutachterlichen Stellungnahmen Dris. S enthaltene Widersprüche und legte unter anderem einen Auszug aus dem deutschen Bundesgesundheitsblatt, 27. Nr., vom 4. April 1984 vor, in dem es in einem an Ärzte gerichteten Merkblatt zur Keuchhustenschutzimpfung unter anderem heißt, die Impfung sei "mit einer verhältnismäßig hohen Zahl an Impfkomplikationen belastet", und weiter: "Wegen der Möglichkeit latenter Hirnschäden ist bei Kindern nach Risikogeburten, Risikoschwangerschaften oder Frühgeburten Vorsicht geboten."

In der von Univ.Prof. Dr. S auf diese Einwendungen erstatteten Replik geht der Gutachter davon aus, der Beschwerdeführer möchte "das Impfschadensverfahren in die Länge ziehen", da sich in den Einwendungen "kein Novum" finde. Vom Beschwerdeführer angesprochene Ungereimtheiten wurden damit erklärt, "dass die Gutachten bereits einen derartigen Umfang angenommen haben, dass solche Widersprüche vorkommen können".

Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid. Begründend führte sie nach Wiedergabe der Gutachten der Universitätsprofessoren Dr. S und Dr. M sowie der Stellungnahmen Dris. S aus, diese legten nachvollziehbar dar, dass die Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die am 10. Jänner 1985 verabreichte Impfung zurückzuführen sei. Das - im angefochtenen Bescheid nicht zitierte - Privatgutachten Dris. H wird als "großteils nicht nachvollziehbar und schlüssig" bezeichnet. Die Kausalität der Erkrankung sei "nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit begründbar", weshalb ein Impfschaden nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit der Frage der Verursachung eines Schadens durch eine Impfung im Sinne des Impfschadengesetzes hat sich der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die auch im vorliegenden Fall anzuwendende Novelle BGBl. I Nr. 48/2005 in seinem Erkenntnis vom 17. November 2009, Zl. 2007/11/0005, auseinandergesetzt. Durch die genannte Novelle wurde § 3 Abs. 3 Impfschadengesetz dahin geändert, dass bei der Beurteilung eines Entschädigungsanspruches nach dem Impfschadengesetz § 2 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß § 2 Abs. 1 HVG kommt es darauf an, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung "zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das

schädigende Ereignis ... ursächlich zurückzuführen ist";

Abs. 2 leg. cit. normiert, dass die Glaubhaftmachung eines ursächlichen Zusammenhanges für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung genügt, wenn die obwaltenden Verhältnisse die Führung des Nachweises der Ursächlichkeit ausschließen.

Daraus folgt, dass nach der hier anzuwendenden Rechtslage der Anspruch auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz nicht nur bei einem "Kausalitätsnachweis", sondern schon im Falle der "Kausalitätswahrscheinlichkeit" besteht. Jedenfalls dann, wenn auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens anzunehmen ist, dass die drei nach dem hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2007, Zl. 2004/11/0153, maßgeblichen Kriterien - entsprechende Inkubationszeit, entsprechende Symptomatik, keine andere wahrscheinlichere Ursache - erfüllt sind, ist von der Wahrscheinlichkeit der Kausalität einer Impfung für die betreffende Gesundheitsschädigung im Sinne der §§ 1 und 3 Abs. 3 des Impfschadengesetzes iVm § 2 HVG auszugehen (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/11/0005, sowie die hg. Erkenntnisse vom 28. Juni 2011, Zl. 2007/11/0200, und vom 30. September 2011, Zl. 2009/11/0004). Anhand der genannten Kriterien ist zu überprüfen, ob die belangte Behörde ohne Rechtswidrigkeit zu dem Ergebnis gelangte, es sei im vorliegenden Fall nicht einmal die Wahrscheinlichkeit einer Kausalität der gegenständlichen Impfung für die Leiden des Beschwerdeführers anzunehmen.

2. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht.

2.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer am 30. Oktober 1984, am 5. Dezember 1984 und am 10. Jänner 1985 Diphterie-Pertussis-Tetanus-Teilimpfungen erhielt und danach jeweils einige Stunden lang auffallend ruhig war, weiters dass ein bis zwei Wochen nach der am 10. Jänner 1985 erfolgten dritten Teilimpfung ein (erster) zerebraler Krampfanfall auftrat, auf den weitere folgten, und dass der Beschwerdeführer an bleibenden geistigen Schäden leidet.

In keinem der vorliegenden Gutachten wird die Ansicht vertreten, die beim Beschwerdeführer vorliegende Symptomatik - Krampfanfälle mit folgender Hirnschädigung - würde nicht jener entsprechen, die Studien zufolge nach vergleichbaren DPT-Impfungen aufgetreten war. Sowohl im Gutachten von Univ.Prof. Dr. S. vom 21. August 2006 als auch im Privatgutachten Dris. H wird überdies von einem zeitlichen Zusammenhang der Impfung mit dem ersten Auftreten von Krampfanfällen ausgegangen. Auch Univ.Prof. Dr. M schließt in seinem Gutachten die Möglichkeit dieses Zusammenhangs nicht aus. Schließlich nennt Univ.Prof. Dr. M mehrere mögliche Ursachen der Erkrankung und bezeichnet die Kausalität der Impfung als wenig wahrscheinlich, ohne jedoch eine größere Wahrscheinlichkeit einer anderen Ursache darzulegen.

Das Privatgutachten Dris. H ging - ebenso wie das ursprüngliche Gutachten von Univ.Prof. Dr. S - vom Fehlen eines Hinweises auf eine Erkrankung des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Impfung aus und schloss daraus sowie aus dem zeitlichen Zusammenhang und der entsprechenden Symptomatik - anders als Univ.Prof. Dr. S - in Verbindung mit einer Analyse der Inhaltsstoffe von DPT-Impfstoffen der damaligen Zeit und der zu diesen Impfstoffen ergangenen Fachinformationen auf die Kausalitätswahrscheinlichkeit der Impfung.

Mit diesem Gutachten, das als einziges im angefochtenen Bescheid nicht wiedergegeben wurde, und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Fachinformation zur Pertussis-Impfung setzte sich die belangte Behörde nicht auseinander. Sie zitierte lediglich die zum Privatgutachten abgegebenen Stellungnahmen von Univ.Prof. Dr. S, in denen dem Gutachten Dris. H jedoch nicht mit gleichen wissenschaftlichen Mitteln begegnet wird (vgl. zum diesbezüglichen Erfordernis etwa das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/11/0005, in dem es ebenfalls um eine Impfung gegen u.a. Diphterie, Keuchhusten und Tetanus und um eine ähnliche Fachinformation ging; vgl. ebenfalls zu diesem Thema das hg. Erkenntnis vom 30. September 2011, Zl. 2011/11/0113). Abgesehen davon, dass eine Auseinandersetzung mit den in Österreich zur Zeit der Impfung des Beschwerdeführers am meisten verwendeten DPT-Impfstoffen und deren Nebenwirkungen oder mit einschlägiger Literatur darin fehlt, widersprechen die Stellungnahmen auch dem ursprünglichen Gutachten Dris. S hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs und des Vorliegens einer Erkrankung zum Zeitpunkt der Impfung. Eine schlüssige Erklärung für die vom Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren aufgezeigten Widersprüche bietet der Gutachter nicht an.

2.2. Vor diesem Hintergrund war aber eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Privatgutachten, das die Impfung als wahrscheinlichste von mehreren möglichen Ursachen qualifiziert hatte, entgegen der Ansicht der belangten Behörde erforderlich und es genügte nicht, dieses Gutachten lediglich aufgrund der genannten Stellungnahmen Dris. S als "großteils nicht nachvollziehbar und unschlüssig" zu bezeichnen.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. März 2012

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