VwGH 2009/06/0116

VwGH2009/06/011622.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der Bundesministerin für Justiz gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Wien vom 24. April 2009, Zl. 2 Vk 25/09, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde (mitbeteiligte Partei: ST in S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §6;
AVG §63;
StVG §116;
StVG §11g;
StVG §120 Abs2;
StVG §120;
StVG §121;
AVG §6;
AVG §63;
StVG §116;
StVG §11g;
StVG §120 Abs2;
StVG §120;
StVG §121;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Leiters der Justizanstalt S vom 17. März 2009 wurde ausgesprochen, dass die mitbeteiligte Partei eine Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 9 Strafvollzugsgesetz (StVG) begangen habe. Hiefür wurde sie mit einer Ordnungsstrafe in Form einer Geldbuße in der Höhe von EUR 20,-- bestraft. Ferner wurde ihr ein Kostenbeitrag zum Verfahren in der Höhe von EUR 2,-- auferlegt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 31. März 2009, eingelangt in der Vollzugsstelle der Justizanstalt S am 1. April 2009, Beschwerde, die sprachlich an den Leiter der Justizanstalt gerichtet ist ("Sehr geehrter Herr X").

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerde gemäß §§ 120 Abs. 1 und 121 Abs. 2 StVG iVm §§ 32f und 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführerin sei eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses am 18. März 2009 überreicht worden. Die Beschwerdefrist gemäß § 120 Abs. 2 StVG habe am 1. April 2009 geendet. Die am 31. März 2009 verfasste Beschwerde habe die unzuständige Anstaltsleitung am 1. April 2009 erreicht, von wo sie, datiert mit 2. April 2009 (das Datum der Postaufgabe sei nicht vorhanden) an die Vollzugskammer weitergeleitet worden sei. Das schließlich am 6. April 2009 im Präsidium des Oberlandesgerichtes Wien eingelangte Rechtsmittel erweise sich demgemäß als verspätet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, eine Beschwerde nach dem StVG sei grundsätzlich bei der Vollzugsbehörde erster Instanz einzubringen. Mit der Überreichung gelte die Beschwerde als eingebracht, und die Beschwerdefrist sei damit gegebenenfalls gewahrt. Lediglich wenn es sich um eine Beschwerde gegen den Anstaltsleiter handle, könne die Beschwerde unter Wahrung der Beschwerdefrist auch direkt bei der Vollzugskammer eingebracht werden. Eine Beschwerde gegen ein Ordnungsstraferkenntnis der Anstaltsleitung könne daher fristwahrend entweder bei der Vollzugsbehörde erster Instanz oder direkt bei der Vollzugskammer eingebracht werden. Da die Beschwerde am 1. April 2009 und somit innerhalb der Rechtsmittelfrist bei der Vollzugsbehörde erster Instanz eingebracht worden sei, sei die Zurückweisung wegen Verspätung zu Unrecht erfolgt. Insoweit im bekämpften Bescheid ausgeführt werde, dass das Rechtsmittel nicht an die zuständige Behörde gerichtet gewesen sei, sei hervorzuheben, dass es für die Wahrung der Rechtsmittelfrist nicht entscheidend sei, an wen das Rechtsmittel gerichtet sei, sondern ob es bei der für die Einbringung zuständigen Behörde eingebracht worden sei.

§ 11g des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl. Nr. 144/1969 idF BGBl. I Nr. 138/2000, lautet:

"§ 11g. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, haben die Vollzugskammern die Verwaltungsverfahrensgesetze sinngemäß anzuwenden, und zwar

1. im Beschwerdeverfahren außer dem Fall der Z 2 das AVG mit Ausnahme der §§ 2 bis 4, 12, 38, 40 bis 44g, 51, 55, 57, 63 bis 66 Abs. 1 und Abs. 3, 67a bis 67g, 73 Abs. 2 und 3 und 75 bis 80,

2. im Beschwerdeverfahren wegen eines Ordnungsstraferkenntnisses das AVG in dem in Z 1 genannten Umfang mit Ausnahme des § 11, sowie die §§ 1 bis 8, 19, 19a, 22, 25, 31, 32, 38, 44a Z 1 bis 3 und 5, 51 Abs. 6, 52 und 64 bis 66 VStG. "

§ 116 StVG idF BGBl. I Nr. 15/2004 lautet auszugsweise:

"Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten

§ 116. (1) Über die Verhängung von Ordnungsstrafen hat unbeschadet der Bestimmung des § 108 die Vollzugsbehörde erster Instanz zu entscheiden. Richtet sich die Ordnungswidrigkeit aber gegen die Person des Anstaltsleiters, so steht die Entscheidung der Vollzugskammer zu. Die Zuständigkeit bleibt auch erhalten, wenn der Strafgefangene während eines anhängigen Ordnungsstrafverfahrens in eine andere Anstalt überstellt wird.

(4) Ein Straferkenntnis hat, wenn sich die Ordnungswidrigkeit nicht gegen die Person des Anstaltsleiters gerichtet hat, dieser, sonst sein Stellvertreter dem Strafgefangenen zu verkünden. Zugleich ist der Strafgefangene über die Möglichkeit einer Beschwerde (§ 120) zu belehren. Auf sein Verlangen ist ihm eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Der wesentliche Inhalt des Erkenntnisses ist in den Personalakten des Strafgefangenen ersichtlich zu machen.

…"

§ 120 StVG idF BGBl. I Nr. 138/2000 lautet auszugsweise:

"Beschwerden

(2) Eine Beschwerde kann außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem dem Strafgefangenen der Beschwerdegrund bekanntgeworden ist. Richtet sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung, so kann sie außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden ist. Beschwerden sind schriftlich oder zu der vom Anstaltsleiter festzusetzenden Tageszeit mündlich bei dem hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten anzubringen. Richtet sich die Beschwerde gegen den Anstaltsleiter und wird sie innerhalb der Beschwerdefrist bei der zuständigen Vollzugskammer eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung. Die Vollzugskammer hat in diesem Fall die bei ihr eingebrachte Beschwerde unverzüglich an den Anstaltsleiter weiterzuleiten.

…"

Gemäß § 121 Abs. 5 dritter Satz StVG idF BGBl. I Nr. 109/2007 kann der Bundesminister für Justiz Amtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Vollzugskammer wegen Rechtswidrigkeit erheben.

Wie die belangte Behörde festgestellt hat, wurde der mitbeteiligten Partei das Straferkenntnis vom 17. März 2009 am 18. März 2009 in schriftlicher Form überreicht. Die Beschwerdefrist im Sinne des § 120 Abs. 2 StVG endete daher, wie die belangte Behörde zutreffend festgestellt hat, am 1. April 2009.

Gemäß § 120 Abs. 2 dritter Satz StVG sind Beschwerden schriftlich oder zu der vom Anstaltsleiter festzusetzenden Tageszeit mündlich bei dem hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten anzubringen. Im vierten Satz der genannten Bestimmung wird normiert, dass dann, wenn sich die Beschwerde gegen den Anstaltsleiter richtet und sie innerhalb der Beschwerdefrist bei der zuständigen Vollzugskammer eingebracht wird, dies als rechtzeitige Einbringung "gilt". Als Einbringungsstelle ist somit der zuständige Strafvollzugsbedienstete im § 120 Abs. 2 StVG eindeutig festgelegt. In der Vollzugsstelle der Justizanstalt ist die Beschwerde am 1. April 2009 eingelangt. Der vierte Satz des § 120 Abs. 2 StVG normiert lediglich einen weiteren (arg.: "gilt") Fall, in dem eine rechtzeitige Einbringung auch bei einer anderen Stelle als dem zuständigen Strafvollzugsbediensteten gegeben ist. Erfolgt eine Einbringung im Sinne des dritten Satzes des § 120 Abs. 2 VStG, ist diese gegebenenfalls rechtzeitig und kommt der vierte Satz der genannten Bestimmung, und zwar auch dann, wenn sich die Beschwerde gegen den Anstaltsleiter richtet, nicht mehr zum Tragen. Der rechtzeitigen Einbringung im Sinne des vierten Satzes bedarf es nicht, wenn bereits die generellen Einbringungskriterien des dritten Satzes erfüllt sind.

Wie in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wird, verschlägt es nichts, wenn die Beschwerde textlich an ein anderes Organ als an die Berufungsbehörde gerichtet ist. Auf die Rechtzeitigkeit der Beschwerde hat dies keinen Einfluss, es bedarf auch keiner Weiterleitung im Sinne des § 6 AVG, solange die Einbringungsstelle im Sinne des § 120 Abs. 2 dritter Satz StVG rechtzeitig erreicht wurde (vgl. dazu, dass die inhaltliche Adressierung in der Beschwerde an die richtige Behörde auch im Bereich des § 63 AVG bei Berufungen nicht essentiell ist, sofern die Berufung bei der richtigen Stelle eingebracht wird, Hengstschläger/Leeb, AVG III, S. 864 f Rz 110, mwN).

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die am 1. April 2009 in der Vollzugsstelle der Justizanstalt S eingelangte Beschwerde rechtzeitig war.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 22. Februar 2012

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