VwGH 2011/23/0074

VwGH2011/23/007423.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der T D, geboren 1968, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Mai 2007, Zl. 246.635-3/2E-VI/17/07, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufung der Beschwerdeführerin gegen Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheids (betreffend Ausweisung) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss

gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Moldau russischer Volksgruppenzugehörigkeit. Sie reiste im November 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15. November 2002 einen Asylantrag. Dieser wurde letztlich (im dritten Rechtsgang) mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. März 2007 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nach "Moldawien" festgestellt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Moldawien" ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die Ausweisung begründete das Bundesasylamt fallbezogen mit fehlenden familiären Beziehungen der Beschwerdeführerin in Österreich, sowie damit, dass dieser bei ihrer Antragstellung klar habe sein müssen, dass ihr Aufenthalt in Österreich im Falle einer Abweisung des Asylantrags nur ein vorübergehender sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin "gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 AsylG" ab. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung der Ausweisungsentscheidung der Beurteilung des Bundesasylamtes an.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

Soweit die Beschwerde unterlassene Erhebungen und eine fehlende Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zu dem durch eine Ausweisung verursachten Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin rügt, zeigt sie einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Ausgehend von den im hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mit Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 17. März 2005, G 78/04 ua = VfSlg. 17.516, dargestellten Rechtsgrundsätzen haben die Asylbehörden gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ihre den Asylantrag abweisende und Refoulementschutz verneinende Entscheidung im Regelfall mit einer Ausweisung des Asylwerbers in den Herkunftsstaat zu verbinden.

Eine Ausweisung hat jedoch nicht zu erfolgen, wenn dadurch in unzulässiger Weise in die grundrechtliche Position des Asylwerbers eingegriffen wird. Dabei ist auf das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen. In diesem Zusammenhang erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und verlangt somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. auch hiezu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mwN).

In dem - zu einer Ausweisung nach dem Asylgesetz 2005 - ergangenen Erkenntnis vom 29. September 2007, B 1150/07 = VfSlg. 18.224, führte der Verfassungsgerichtshof aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht. Hiebei nennt der Verfassungsgerichtshof - jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR - die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft werde, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Letztlich hebt der Verfassungsgerichtshof hervor, dass auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. unter vielen die hg. Erkenntnisse vom 9. September 2010, Zl. 2006/20/0176, vom 21. Juni 2010, Zl. 2006/19/0451, sowie vom 21. Jänner 2010, Zl. 2008/01/0637, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zu den für die Frage der Ausweisung der Beschwerdeführerin in Betracht kommenden Kriterien keine ausreichenden Feststellungen getroffen und die erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen, was aber schon angesichts des im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa sechseinhalbjährigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich erforderlich gewesen wäre. Fallbezogen wären auch Feststellungen zur Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Integration in Österreich indiziert gewesen, stellt doch der Umstand des Entstehens von Privatund/oder Familienleben zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, nur eines von mehreren bei der Interessenabwägung zu beachtenden Kriterien dar (ebenso das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 2009, U 1104/08).

Soweit mit dem angefochtenen Bescheid die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung bestätigt wurde, ist er aus den vorstehend genannten Gründen daher mit Begründungsmängeln behaftet, sodass er in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich auf die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheids bezieht - keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerde sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abzulehnen.

Wien, am 23. Februar 2011

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