Normen
32008L0115 Rückführungs-RL Art13;
32008L0115 Rückführungs-RL Art20 Abs1;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z4;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z6;
32008L0115 Rückführungs-RL Art6 Abs6;
32008L0115 Rückführungs-RL;
61985CJ0384 Borrie Clarke VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1a idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z2;
32008L0115 Rückführungs-RL Art13;
32008L0115 Rückführungs-RL Art20 Abs1;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z4;
32008L0115 Rückführungs-RL Art3 Z6;
32008L0115 Rückführungs-RL Art6 Abs6;
32008L0115 Rückführungs-RL;
61985CJ0384 Borrie Clarke VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §86;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1a idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes Aufenthaltsverbot, das sie mit den Verurteilungen und dem der zeitlich letzten Verurteilung zugrunde liegenden Fehlverhalten des im Jahr 1989 in Österreich eingewanderten und seither hier rechtmäßig aufhältigen Beschwerdeführers begründete.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, über seine Berufung hätte der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol zu entscheiden gehabt. Die belangte Behörde habe über keine Zuständigkeit verfügt, weil die Sicherheitsdirektionen weisungsgebunden und kein Tribunal seien. Dieses Vorbringen ist berechtigt.
Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, 1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und 2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.
Mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 (FrÄG 2011), BGBl. I Nr. 38/2011, wurde im neu eingefügten § 9 Abs. 1a FPG festgelegt, dass ab 1. Juli 2011 über Berufungen gegen Rückkehrentscheidungen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu entscheiden haben. Als dafür maßgeblich wurde in der im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (1160 BlgNR 24. GP, 7) wiedergegebenen Begründung des diesbezüglichen Abänderungsantrages wörtlich ausgeführt:
"Weiters wird mit dem neuen Abs. 1a in § 9 definiert, dass die unabhängigen Verwaltungssenate der Länder Berufungsinstanz gegen die neue fremdenpolizeiliche Maßnahme der Rückkehrentscheidung sind. Diese neue Zuständigkeitsregelung in Abweichung zu Abs. 1 ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da, wie auch schon der Verfassungsgerichtshof judiziert hat (vgl. auch Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu G 26/06 vom 13.10.2006), der Vorbehalt des Abs. 1 dazu dient, unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht und anderen in Verfassungsrang stehenden Bestimmungen Vorrang einzuräumen. So spiegelt der neue Abs. 1a den Art. 13 Abs. 1 der RückführungsRL wider, der im Lichte der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes auszulegen und insbesondere in einer Zusammenschau mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2010 C 83, 389 zu sehen ist."
Aus diesen Erläuterungen geht hervor, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG (im Weiteren: Rückführungsrichtlinie) in Umsetzung der darin vorgesehenen Rechtsschutzgarantien die unabhängigen Verwaltungssenate als Berufungsinstanz festlegen wollte. Ist dies unionsrechtlich geboten - wovon auch der Gesetzgeber ausgeht -, so ist aber festzuhalten, dass auf diese unionsrechtlichen Vorgaben unabhängig vom Datum des In-Kraft-Tretens des FrÄG 2011 bereits ab Ablauf der Umsetzungsfrist - nach Art. 20 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie war von den Mitgliedstaaten der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie durch Erlassung der erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften (von einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme abgesehen) bis spätestens zum 24. Dezember 2010 nachzukommen - Bedacht zu nehmen war (vgl. Husmann, Die Richtlinien der Europäischen Union, 655 ff, hier 660, und das Urteil des EuGH vom 24. Juni 1987, C-384/85 , Clarke).
Es ist daher davon auszugehen, dass schon seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist die Einrichtung der Sicherheitsdirektionen als Berufungsinstanz in dem von der Rückführungsrichtlinie erfassten Bereich den unionsrechtlich gebotenen Verfahrensgarantien nicht ausreichend Rechnung trägt und es an deren Stelle auf der Basis unmittelbar anwendbaren Unionsrechtes, dem Vorrang zukommt, der Einschaltung von Tribunalen bedarf.
Der hier gegenständliche Bescheid erging nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Rückführungsrichtlinie. Wie bereits der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Oktober 2006, G 26/06 ua., ausgeführt hat - auch der Bericht des Ausschusses für Innere Angelegenheiten nimmt darauf ausdrücklich Bezug - dient der im in Verfassungsrang stehenden § 9 Abs. 1 FPG enthaltene Vorbehalt "sofern nichts anderes bestimmt ist" dazu, unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (nunmehr: Unionsrecht) und anderen im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen Vorrang einzuräumen. Diese Wendung kann dann, wenn im Bereich des FPG unionsrechtlichen Verpflichtungen zu Verfahrensgarantien wie der hier in Rede stehenden nachgekommen werden muss, nur so verstanden werden, dass die unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Rechtsmittel nach dem FPG nicht nur hinsichtlich des im § 9 Abs. 1 Z 1 FPG ausdrücklich angeführten Personenkreises zuständig sind, sondern auch in jenen Fällen, die von den unionsrechtlichen Verpflichtungen erfasst werden (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes G 26/06 ua.). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist nun davon auszugehen, dass infolge der zitierten Wendung in § 9 Abs. 1 FPG seit Ablauf der Umsetzungsfrist der Rückführungsrichtlinie in deren Anwendungsbereich der Instanzenzug nicht (mehr) zur örtlich zuständigen Sicherheitsdirektion, sondern zum örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat festgelegt ist.
Es bleibt im vorliegenden Fall daher die Frage zu klären, ob es sich bei der hier gegenständlichen Entscheidung um eine solche handelt, die in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie findet diese Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Art. 3 Z 2 Rückführungsrichtlinie definiert den illegalen Aufenthalt als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen. Eine Rückkehrentscheidung stellt nach Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird, dar. Art. 3 Z 6 der Richtlinie definiert ein Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Art. 6 Absatz 1 der Richtlinie legt fest, dass, unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5, die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist ein Verfahren anhängig, in dem über die Verlängerung des Aufenthaltstitels oder einer anderen Aufenthaltsberechtigung von illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältigen Drittstaatsangehörigen entschieden wird, so prüft gemäß Art. 6 Absatz 5 Rückführungsrichtlinie dieser Mitgliedstaat unbeschadet des Absatzes 6, ob er vom Erlass einer Rückkehrentscheidung absieht, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Art. 6 Absatz 6 Rückführungsrichtlinie legt ausdrücklich fest, dass durch diese Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden sollen, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien, mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.
Nach den hier maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften wird mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen für dessen Zulässigkeit nach § 60, § 56 oder § 86 FPG zu prüfen sind - im Falle des rechtmäßigen Aufenthalts eines Fremden sowohl über die Beendigung des Aufenthaltsrechts entschieden (vgl. § 10 Abs. 1 NAG) als auch dem nicht mehr länger zum Aufenthalt berechtigten Drittstaatsangehörigen die Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes, sohin eine Rückkehrverpflichtung im Sinn der Rückführungsrichtlinie, auferlegt sowie der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet für einen bestimmten Zeitraum oder für unbefristete Zeit untersagt, sohin auch ein Einreiseverbot im Sinn der Rückführungsrichtlinie ausgesprochen. Diese Vorgangsweise, nämlich mit einer einzigen Entscheidung das Aufenthaltsrecht zu beenden sowie unter einem die Rückkehr des Drittstaatsangehörigen anzuordnen und ihm den künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verbieten, stellt sich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 6 Rückführungsrichtlinie als zulässig dar. Ungeachtet dessen sind dabei nach dieser Bestimmung die Verfahrensgarantien des Kapitels III der Rückführungsrichtlinie einzuhalten.
Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es sohin als nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (unabhängig von der Benennung des innerstaatlich festgelegten Rechtsinstituts) um eine Rückkehrentscheidung im Sinn des Art. 3 Z 4 Rückführungsrichtlinie und ein Einreiseverbot im Sinn des Art. 3 Z 6 dieser Richtlinie handelt, bei deren Erlassung die in der Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien einzuhalten sind. Daraus folgt aber nach dem oben Gesagten, dass für die Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung seit Ablauf der Frist zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie der örtlich zuständige unabhängige Verwaltungssenat zuständig ist.
Im vorliegenden Fall hätte somit über die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, das sich inhaltlich als Rückkehrentscheidung und Entscheidung, ein Einreiseverbot zu erlassen, im Sinn der Rückführungsrichtlinie darstellt, der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol zu entscheiden gehabt, an den die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 AVG weiterzuleiten gehabt hätte.
Sohin erweist sich der angefochtene Bescheid, mit dem die belangte Behörde inhaltlich über die Berufung abgesprochen hat, als mit Rechtswidrigkeit infolge ihrer Unzuständigkeit belastet. Er war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 31. Mai 2011
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