VwGH 2010/21/0240

VwGH2010/21/024015.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der F, vertreten durch Mag. Heimo Lindner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 35B, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 26. Mai 2010, Zl. 153.362/14- III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist tunesische Staatsangehörige und mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Unter Bezugnahme auf diese Ehe beantragte sie am 1. Juli 2008 bei der österreichischen Botschaft in Tunis die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 26. Mai 2010 wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ab. Der zusammenführende Ehemann der Beschwerdeführerin verfüge - so die wesentliche Bescheidbegründung - lediglich über ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 1.540,-, wovon ihm unter Berücksichtigung von Sorgepflichten für zwei nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder im Umfang von insgesamt EUR 400,- und Kreditaufwendungen von insgesamt EUR 290,- lediglich ein Betrag von monatlich EUR 850,- verbleibe. Dem stehe nach den maßgeblichen Richtsätzen des § 293 ASVG ein Bedarf von EUR 1.175,-

gegenüber, der sich im Hinblick auf das gemeinsame (damals) noch nicht geborene Kind um ca. EUR 80,- auf EUR 1.255,- erhöhe. Da das Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin unter diesem Betrag liege, habe somit nicht nachgewiesen werden können, dass die erforderlichen Unterhaltsmittel gedeckt seien. Es sei daher sehr wahrscheinlich, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen werde.

Unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 3 NAG und die nach dieser Bestimmung erforderliche Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, durch den Aufenthalt des Ehemannes der Beschwerdeführerin bestünden zwar familiäre Bindungen in Österreich, jedoch stelle die Sicherung des Lebensunterhaltes im NAG eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels dar, wofür von der Beschwerdeführerin kein ausreichender Nachweis erbracht worden sei. Die Abwägung der "gegenüberstehenden Interessenslagen" gehe daher zu Lasten der Beschwerdeführerin, weil das öffentliche Interesse an der Einhaltung einschlägiger Zuwanderungsbestimmungen das persönliche Interesse der Beschwerdeführerin überwiege. Abschließend hielt die belangte Behörde - nach allgemeinen Ausführungen, dass Art. 8 EMRK nicht das Recht beinhalte, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen - noch fest, dass dem geordneten Zuwanderungswesen eine hohe Bedeutung zukomme, weshalb von besonderer Wichtigkeit sei, dass die diesbezüglichen Rechtsnormen eingehalten werden. Der Antrag sei daher abzuweisen, weil - so wiederholte die belangte Behörde - auch die Sicherung des Lebensunterhaltes im NAG eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass auf die in der Beschwerde ins Treffen geführte, vom 7. Juli 2010 datierende Einstellungszusage für die Beschwerdeführerin als unzulässige Neuerung nicht weiter einzugehen ist. Auf die im Administrativverfahren vorgelegte Einstellungszusage eines anderen Unternehmens vom 19. August 2008, die von der belangten Behörde für nicht ausreichend konkretisiert erachtet wurde, kommt die Beschwerde aber nicht mehr zurück.

Die Einbeziehung der monatlichen Kreditraten begründete die belangte Behörde damit, dass der Abstattungskredit vom 6. August 1999 der O-bank von EUR 87.207,- und der Abstattungskredit vom 14. März 2002 der V-bank von EUR 1.574,- in einem aktuellen Auszug des Kreditschutzverbandes (KSV) vom 22. April 2010 - entgegen dem Vorbringen in der Berufung, dass beide Kredite zurückgezahlt seien - immer noch aufscheine.

In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang kritisiert, die belangte Behörde habe übersehen, dass sich aus dem vorgelegten Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 19. Jänner 2009 ergebe, aus der Versteigerung einer Liegenschaft sei zugunsten der betreibenden O-bank ein Erlös von EUR 124.000,- erzielt worden. Dieser Betrag habe der Abdeckung des erwähnten Kredites gedient, sodass der KSV-Auszug offensichtlich "nicht aktuell" sei. Da aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Urkunden hervorgehe, dass der von der belangten Behörde berücksichtigte Kredit bereits getilgt sei, hätte sie entsprechende Feststellungen zu treffen gehabt.

Damit zeigt die Beschwerdeführerin insofern einen wesentlichen Begründungsmangel auf, als sich die belangte Behörde in ihren beweiswürdigenden Überlegungen nur auf die Auskunft des KSV ohne Bedachtnahme auf die aus dem Anhang ersichtlichen Löschungsfristen gestützt, sich mit dem Inhalt der von der Beschwerdeführerin für die Kredittilgung ins Treffen geführten Beweismittel nicht auseinandergesetzt und dazu allfällig erforderliche ergänzende Ermittlungen unterlassen hat. Dem kommt aber Relevanz zu, weil bei einem Wegfall der Kreditraten die Differenz zu dem von der belangten Behörde als erforderlich ermittelten Betrag - dabei hat sie, anders als die Beschwerde meint, zu Recht auch den entsprechenden ASVG-Richtsatz für das (damals noch ungeborene) gemeinsame Kind, das die Beschwerdeführerin nach Österreich begleiten wird, berücksichtigt -

nicht mehr etwa EUR 400,-, sondern nur noch etwa EUR 100,-

betragen hätte.

Davon ausgehend wäre das von der belangten Behörde in den Vordergrund gestellte öffentliche Interesse an der Unterbindung der angestrebten Familienzusammenführung im Hinblick auf die Gefahr einer finanziellen Belastung iSd § 11 Abs. 2 Z 4 NAG erheblich gemindert. Diesem Interesse käme aber - anders als die belangte Behörde meint - auch bei den von ihr angenommenen finanziellen Prämissen nicht die ihm zugesonnene, die familiären Interessen der Beschwerdeführerin jedenfalls überragende Bedeutung zu (vgl. zur Pflicht einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung auch bei Unterschreitung der maßgeblichen Richtsätze das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0002, mwH). Während die belangte Behörde bei der Ermittlung des finanziellen Bedarfs nämlich darauf Bedacht nahm, dass die Beschwerdeführerin schwanger war, hat sie den Umstand, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann ein Kind erwartete, das die österreichische Staatsbürgerschaft haben werde, trotz eines entsprechenden Vorbringens in der Berufung bei der gemäß § 11 Abs. 3 NAG (idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) vorzunehmenden Interessenabwägung nicht einmal erwähnt.

Angesichts dieser Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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