VwGH 2010/21/0228

VwGH2010/21/022815.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde 1. der K, geboren 1979, 2. des A, geboren 2002, und

3. des S, geboren 2006, alle vertreten durch Dr. Michael Axmann, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 10/I, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 29. Jänner 2010,

  1. 1.) Zl. 154.744/2-III/4/09, 2.) Zl. 154.744/4-III/4/09,
  2. 3.) Zl. 154.744/3-III/4/09, jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
AVG §68 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in Höhe von EUR 172,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen Bescheiden bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 22. September 2009, mit dem Anträge der beschwerdeführenden Parteien, armenischer Staatsangehöriger, vom 28. April 2009 auf Erteilung jeweils einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurückgewiesen worden waren.

Begründend führte sie in den im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden aus, dass die Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer, ihrem Sohn, am 18. Februar 2005 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt habe. Für den Drittbeschwerdeführer, den in Österreich geborenen jüngeren Sohn, habe die Erstbeschwerdeführerin am 30. Juni 2006 einen "Asylantrag" gestellt. Diese Anträge seien vom unabhängigen Bundesasylsenat in zweiter Instanz mit Bescheid vom 7. März 2007 (rechtskräftig am 12. März 2007) abgewiesen worden. Zugleich sei die "Durchsetzbarkeit der Ausweisung" rechtskräftig "bestätigt" worden. Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG seien Anträge nach den §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, sofern kein Fall des § 44a NAG vorliege, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen worden sei. Dieser Fall liege hier aufgrund der vom unabhängigen Bundesasylsenat vorgenommenen rechtskräftigen Ausweisung vom 7. März 2007 vor. Im Rahmen der Ausweisungsentscheidung sei bereits eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt worden, woran die "NAG-Behörden" gebunden seien.

Die beschwerdeführenden Parteien hätten vorgebracht, dass es für sie unvorstellbar wäre, anderswo als in Österreich ihre Heimat zu haben. Insbesondere für den Zweitbeschwerdeführer, der sich in einem die Entwicklung seiner Persönlichkeit prägenden Alter befände, würde es eine unzumutbare, schwerwiegende Beeinträchtigung seiner weiteren Entwicklung darstellen, würde er aus seiner mittlerweile seit vier Jahren gewohnten Umgebung gerissen werden. Zusätzlich habe sich die Erstbeschwerdeführerin in Unfrieden von ihrem Lebensgefährten, dem Vater des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers, getrennt, weshalb sie im Falle der Rückkehr nach Armenien fürchten müsste, keinen Schutz vor ihm und seinen Verwandten zu haben. Der armenischen Tradition zufolge hätten die Kinder nach der Trennung der Eltern beim Vater zu bleiben, weshalb es nicht akzeptiert würde, dass die Kinder alleine von der Mutter aufgezogen würden. Mangels einer Beschäftigungsbewilligung wäre die Erstbeschwerdeführerin bisher nicht in der Lage gewesen, einer "ordentlichen Beschäftigung" nachzugehen. Das Vorliegen von guten Kenntnissen der deutschen Sprache bei der Erstbeschwerdeführerin und ihrem älteren Sohn sowie ihre intensive Teilnahme am sozialen Leben wären Aspekte, die für die Integration der beschwerdeführenden Parteien sprächen. Zur Aufrechterhaltung des Familien- und Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK wäre in ihrem Fall die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 NAG geboten.

In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, dass es sich bei den von den beschwerdeführenden Parteien geltend gemachten Gründen hinsichtlich ihrer Integration und wirtschaftlichen Situation vorwiegend um solche handle, die schon im "Asyl- und Ausweisungsverfahren" bekannt gewesen und somit bereits geprüft und gewürdigt worden seien. In der Wiederholung dieser Gründe seien keine konkreten Angaben zu sehen, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt seit 12. März 2007 darzutun, der gemäß § 11 Abs. 3 NAG aber erforderlich wäre.

Hinsichtlich der Trennung der Erstbeschwerdeführerin von ihrem Lebensgefährten (der sich laut Angaben im Berufungsverfahren in Strafhaft befinde und dem die Abschiebung nach Armenien drohe) und der damit verbundenen Gefahr, dass im Falle der Außerlandesschaffung der geschilderte Eingriff in das Familienleben erfolgen könnte, habe von der belangten Behörde zum einen keineswegs ein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit 12. März 2007 erkannt werden können, zum anderen stehe auch gar nicht fest, dass dieser Fall auch tatsächlich eintrete. Vielmehr handle es sich dabei lediglich um eine Annahme der beschwerdeführenden Parteien. Dies könne seitens der belangten Behörde weder als besonders berücksichtigungswürdiger Grund noch als maßgebliche Änderung des Sachverhaltes eingestuft werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die beschwerdeführenden Parteien lassen unbestritten, dass sie vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheiden vom 7. März 2007 rechtskräftig ausgewiesen wurden. Ihre Anträge nach § 44 Abs. 3 NAG waren daher gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen seit den ergangenen Ausweisungen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0127, mwN). Zur Frage, wann ein maßgebliche Sachverhaltsänderung vorliegt, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. September 2011, Zl. 2011/22/0035 bis 0039, näher geäußert; auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird insofern gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Unter diesem Gesichtspunkt bringen die beschwerdeführenden Parteien vor, dass die drohende Zerstörung der Familie zweifelsohne einen geänderten Sachverhalt seit Ergehen der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung darstelle. Auch aus der gesteigerten Integration der beschwerdeführenden Parteien seit der Ausweisung ergebe sich eine Sachverhaltsänderung, zumal der Zweitbeschwerdeführer die Volksschule besuche und die Erstbeschwerdeführerin ihr Engagement im Rahmen der Caritas fortgesetzt habe.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass allein in einem Zeitablauf von zweieinhalb Jahren zwischen der rechtskräftigen Erlassung der Ausweisungsentscheidung und der - in diesem Zusammenhang maßgeblichen -erstinstanzlichen Antragszurückweisung noch keine Sachverhaltsänderung liegt, die gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 iVm § 11 Abs. 3 NAG eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK gebieten würde, mag diese Zeit auch für eine gewisse weitere Integration - im Beschwerdefall insbesondere auf Grund des Schulbesuchs des Zweitbeschwerdeführers und der Tätigkeit der Erstbeschwerdeführerin bei der Caritas - genützt worden sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, Zl. 2011/22/0138 bis 0141, wo ein Zeitablauf von zwei Jahren in Verbindung mit einer bestandenen Sprachprüfung und einem abgeschlossenen Dienstvorvertrag nicht als ausreichend erachtet wurde). In erster Linie stützen sich die beschwerdeführenden Parteien zur Begründung einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung aber ohnedies darauf, dass ihr Familienleben bei einer Rückkehr nach Armenien nicht fortgesetzt werden könne, weil der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer dort auf Grund der "armenischen Tradition" bei ihrem Vater (bzw. dessen Familie) leben müssten, von dem ihre Mutter (die Erstbeschwerdeführerin) sich nach Rechtskraft der Ausweisung getrennt habe. Die Sachverhaltsänderung wird also im Wesentlichen in der Trennung vom Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Kinder (den die Erstbeschwerdeführerin im Asylverfahren im Übrigen noch als ihren Ehemann bezeichnet hatte) in Verbindung mit den bei einer Rückkehr nach Armenien befürchteten Folgen für das Zusammenleben der Kinder mit ihrer Mutter erblickt. Hier kann der belangten Behörde aber im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie das diesbezügliche Vorbringen als zu wenig konkret erachtet hat, wurde doch sowohl in der schriftlichen Antragsbegründung als auch anlässlich einer Vernehmung durch die Erstbehörde bloß vage auf eine "armenische Tradition" verwiesen; es wurde weder dargelegt, wie sich diese Tradition im Einzelnen auf das Familienleben der Erstbeschwerdeführerin mit ihren Söhnen - insbesondere auf die wechselseitigen Kontaktmöglichkeiten - auswirken würde, noch, dass die beschwerdeführenden Parteien nicht die Möglichkeit hätten, sich der Tradition zu entziehen.

Die Beurteilung durch die belangte Behörde, dass im maßgeblichen Zeitraum zwischen der Rechtskraft der Ausweisungen und der erstinstanzlichen Zurückweisung der Anträge keine Sachverhaltsänderung eingetreten ist, die geeignet wäre, im Hinblick auf die nach Art. 8 EMRK vorzunehmende Beurteilung in Bezug auf die beschwerdeführenden Parteien zu einem anderen Ergebnis zu führen, ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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