Normen
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 sowie § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am 17. September 2005 in Serbien den österreichischen Staatsbürger M. geheiratet und - auf diese Ehe gestützt - einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann erhalten, der auch verlängert worden sei. Seit 1. Dezember 2005 sei die Beschwerdeführerin in Österreich gemeldet, wobei als eheliche Wohnung jene der Eltern von M. in W 18 angegeben worden sei. In der zweiten Hälfte des Jahres 2006 habe die Beschwerdeführerin auch ihre beiden Töchter nach Österreich geholt, die - gemeinsam mit den Eltern von M., diesem und der Beschwerdeführerin - in der genannten Wohnung gewohnt hätten. Im selben Jahr habe M. eine Wohnung in W 11 angemietet. Diese sei zunächst mangels einer Möblierung kaum bewohnbar gewesen. Nach Angaben von M. sei er mit der Beschwerdeführerin und deren Kindern "nicht richtig" in diese Wohnung eingezogen und habe jedenfalls nicht ständig dort gewohnt.
Im August 2008 habe sich das Ehepaar getrennt, im September 2009 sei die Ehe geschieden worden.
In der Folge führte die belangte Behörde mehrere Widersprüche in den Aussagen des Ehepaares sowie Zeugenaussagen (u.a. der Schwiegereltern und der Tochter der Beschwerdeführerin) an, aus denen sie schloss, dass eine Aufenthaltsehe vorliege. In rechtlicher Hinsicht begründete sie dies einerseits damit, dass "viele gewichtige Indizien" (wie etwa der Altersunterschied von zehn Jahren, die unterschiedliche Religion der Eheleute, der Umstand, dass sich das Ehepaar vor der Hochzeit nicht persönlich gekannt, sondern über das Internet kennengelernt und nach nur drei Monaten beschlossen habe, zu heiraten, dass der Ehemann bereits am Tag nach der Hochzeit wieder nach Österreich gereist sei, sowie die Widersprüche in den Angaben der Eheleute) auf das Vorliegen einer Aufenthaltsehe hindeuteten. Andererseits sei zwar glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in der Wohnung dessen Eltern in W 18 zusammengelebt hätten, von einem Zusammenleben in der Wohnung in W 11 sei jedoch nicht auszugehen. Auch stelle das "Zusammenleben" in der Wohnung in W 18 noch lange kein "Familienleben" im Sinn des Art. 8 EMRK dar. Das Ehepaar habe kaum etwas gemeinsam unternommen. Aus den Verfahrensergebnissen sei vielmehr auf eine "Zweckgemeinschaft ohne Liebesbezug" zu schließen, "allenfalls mit reinem Sexualbezug von Seiten des Herrn M., der die BW vom Äußeren her sehr ansehnlich empfand". Darüber hinaus sei er an der Beschwerdeführerin desinteressiert gewesen.
Die Indizienkette werde auch durch die behördlichen Erhebungen in den beiden Wohnhäusern geschlossen. Bei zahlreichen Erhebungen zwischen November 2007 und Jänner 2008 in W 11 habe das Ehepaar nie angetroffen werden können. Wohnungsnachbarn hätten seit mindestens drei Monaten niemandem mehr in der Wohnung gesehen. Der Hausbesorgerin und einer Nachbarin der Wohnung in W 18 sei das Ehepaar durchaus bekannt gewesen, sie hätten jedoch bezweifelt oder sogar ausgeschlossen, dass ein gemeinsames Zusammenleben stattgefunden habe.
Aus den genannten Tatsachen, Umständen und Indizien habe die belangte Behörde den Schluss gezogen, dass ein gemeinsames Familienleben (nicht "Zusammenleben") der Beschwerdeführerin mit ihrem geschiedenen Ehemann im Sinn des Art. 8 EMRK nie stattgefunden habe und eine reine Aufenthaltsehe vorgelegen sei. Soweit das Ehepaar und allenfalls die Kinder der Beschwerdeführerin in seltenen Fällen gemeinsam gesehen worden seien, werde vom Zweck des Vortäuschens einer "echten" Ehe ausgegangen. Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei somit erfüllt, und die Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes sei auch im Grunde des § 66 FPG zulässig.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde richtet sich im Wesentlichen gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde auf Grund folgender Erwägungen zum Erfolg:
Die belangte Behörde geht selbst davon aus, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem damaligen Ehemann in W 18 zusammengelebt hat und allenfalls auch ein "Sexualbezug" gegeben war. Laut Aussagen der Schwiegermutter der Beschwerdeführerin hat dieses Zusammenleben in der Wohnung der Schwiegereltern etwa eineinhalb Jahre gedauert. Übereinstimmenden Angaben mehrerer Zeugen (der Schwiegermutter, des Schwiegervaters und der Tochter der Beschwerdeführerin) zufolge schlief das Ehepaar während dieser Zeit im Schlafzimmer der Wohnung, die übrige Familie im Wohnzimmer. Dennoch beurteilte die belangte Behörde das "Zusammenleben" nicht als "Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK" und begründete dies damit, dass das Ehepaar kaum etwas gemeinsam unternommen habe und vielmehr auf eine "Zweckgemeinschaft ohne Liebesbezug" zu schließen sei.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass eine Zweckgemeinschaft nicht notwendigerweise eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sein muss. Es kommt auch nicht auf die zur Ehe führenden Beweggründe des "österreichischen Teils" an, sondern allein auf die Absicht des Fremden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. April 2010, Zl. 2010/18/0095, mwN). Auch wenn der Ehemann nur ein sexuelles Interesse an der Beschwerdeführerin gehabt hätte, ist dies - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - kein Hinweis für das Bestehen einer Aufenthaltsehe. Im Hinblick auf die - nach Angaben mehrerer Zeugen - etwa eineinhalb Jahre dauernde Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft des Ehepaares, wovon die belangte Behörde offenbar ausgeht, lässt sie eine nachvollziehbare Begründung vermissen, warum dennoch kein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK vorgelegen sei. Dass das Ehepaar kaum etwas gemeinsam unternommen hat, reicht dafür nicht aus, zumal die Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin ausgesagt hat, M. habe nie viel Freizeit gehabt; er habe von früh bis abends und auch samstags gearbeitet.
Die belangte Behörde stützt ihre Beweiswürdigung erkennbar auch auf eine am 7. September 2009 in der Wohnung in W 18 erfolgte Hauserhebung, bei der die Hausbesorgerin und eine Nachbarin angegeben hätten, das Ehepaar durchaus zu kennen, jedoch bezweifelt oder sogar ausgeschlossen hätten, dass ein "gemeinsames Zusammenleben" stattfinde. Weder dem angefochtenen Bescheid noch dem diesem zu Grunde liegenden Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 30. September 2009 über die Hauserhebung ist zu entnehmen, worauf die Einschätzungen der befragten Personen basieren. Diese Aussagen sind somit nicht nachvollziehbar und die darauf bezugnehmende Beweiswürdigung widersprüchlich, zumal die belangte Behörde selbst vom "Zusammenleben" der Beschwerdeführerin und M. zumindest in der Wohnung in W 18 ausgeht.
Darüber hinaus bringt die Beschwerde vor, die Beschwerdeführerin habe mit Schriftsatz vom 13. Februar 2009 die Vernehmung einer näher genannten Zeugin beantragt und als Beweisthema ausgeführt, diese sei eine gemeinsame Bekannte, die auf Grund ihrer eigenen Wahrnehmungen bestätigen könne, dass das Ehepaar ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führe, weil sie u. a. die Eheleute regelmäßig besucht habe. Die Zeugin könne daher bestätigen, dass ein Zusammenleben bestanden und sie den Eindruck habe, es handle sich um ein "normales" Ehepaar. In der Stellungnahme vom 26. März 2010 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass eine der im Verfahren beantragten Zeugen noch nicht befragt worden sei.
Auch diese Mängelrüge ist berechtigt. Die Behörde darf angebotene Beweismittel nur dann ablehnen, wenn diese an sich, also objektiv nicht geeignet sind, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen (vgl. die in Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45 Rz 19 zitierte hg. Judikatur). Da dem angesprochenen Beweisthema nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden kann und auch nicht davon auszugehen ist, dass die behauptete Tatsache mit dem angebotenen Beweis nicht festgestellt werden kann, die belangte Behörde dieses Beweisanbot im angefochtenen Bescheid jedoch ignoriert hat, hat sie diesen mit einem Verfahrensmangel belastet.
Im Hinblick auf das unvollständige Ermittlungsverfahren sowie die zum Teil widersprüchliche und mangelhafte Beweiswürdigung, die der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Prüfung nicht standhalten kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 15. Dezember 2011
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