VwGH 2010/16/0304

VwGH2010/16/03045.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde von 1. J B in P, 2. B B in V,

3. M B in P, 4. H B in D, 5. M Br in T, 6. J Br in H, 7. J Bs in L, 8. C GmbH in K, 9. M E in W, 10. E E in Z, 11. G F in E,

  1. 12. A F in M, 13. F GmbH in W, 14. T G in W, 15. J G in K,
  2. 16. J Gr in H, 17. G G in K, 18. D G in T, 19. S B in L, 20. A H in L, 21. K H in L, 22. G H in W, 23. S H in I, 24. I H in N,

    25. J H in K, 26. M H in S, 27. M J in T, 28. E K in D, 29. K K in L, 30. A K in H, 31. T K in S, 32. A M in V, 33. Mag. D M in L,

  1. 34. W M in D, 35. Mag. C M in W, 36. C N in S, 37. D O in L,
  2. 38. A O in S, 39. M P in P, 40. K P in Z, 41. Mag. H P in W,
  3. 42. A P in S, 43. E P in J, 44. P R in S, 45. S R in S, 46. S Ra in S, 47. C R in S, 48. M R in R, 49. A R in M, 50. L S in O,

    51. E S in H, 52. K S in H, 53. R S in J, 54. C S in J, 55. A S in H, 56. A Sc in L, 57. J S in S, 58. M S in S, 59. MMag. S S in S, 60. A Sc in S, 61. G S in T, 62. C S in T, 63. W S in L,

    64. S Se in W, 65. Ing. J S in R, 66. J S sen. in K, 67. J S jun. in K, 68. M St in K, 69. L S in K, 70. S St in K, 71. M M S in P,

  1. 72. S S in P, 73. Si St in P, 74. Ing. K S in W, 75. B T in A,
  2. 76. C U in S, 77. A V in T, 78. A W in K, 79. H W in M, 80. I W in M, 81. M W in M, 82. P F in L, 83. F K in M und 84. H H in S, alle vertreten durch Dr. Herwig Mayrhofer, Dr. Karl-Heinz Plankel und Mag. Stefan Ganahl, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Am Rathauspark, gegen den Bescheid des Präsidenten des Handelsgerichts Wien vom 10. November 2010, Jv 4369/10h-33, betreffend Gerichtsgebühren, zu Recht erkannt:

Normen

GGG 1984 §19a idF 1996/201;
RAT §15;
ZPO §11;
ZPO §12;
ZPO §13;
ZPO §14;
ZPO §15;
GGG 1984 §19a idF 1996/201;
RAT §15;
ZPO §11;
ZPO §12;
ZPO §13;
ZPO §14;
ZPO §15;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In ihrem Schriftsatz vom 25. August 2010 erhoben die Beschwerdeführer beim Handelsgericht Wien Klage gegen die A GmbH, in der sie jeweils Zahlung unterschiedlicher Beträge in der Höhe von EUR 2.220,-- bis EUR 376.250,-- samt Zinsen, in eventu Feststellung der Haftung der Beklagten gegenüber der jeweiligen klagenden Partei begehrten. Die Klage beziffert den "Gesamtstreitwert" mit EUR 2.239.354,80 und bringt zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unter anderem vor, die Ansprüche der Kläger insbesondere auf Schadenersatz wegen Fehlberatung durch die Beklagte seien gleichartig und beruhten auf einen im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund im Sinn des § 11 Abs. 1 Z. 2 ZPO. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei für jeden Kläger sowohl in sachlicher als auch in örtlicher Hinsicht begründet. Die Kläger träten daher als "formelle Streitgenossen im Sinne des § 11 Abs. 1 Z. 2 ZPO auf".

Unbestritten ist, dass für die Einbringung dieser Klage Gerichtsgebühren nach Tarifpost 1 GGG in der Höhe von EUR 42.940,50 - 1,2 v.H. des Gesamtstreitwertes von EUR 2.239.354,80 zuzüglich eines fünfzigprozentigen Streitgenossenzuschlages - eingezogen wurden.

In einem weiteren Schriftsatz vom 14. Oktober 2010 begehrten die Beschwerdeführer die Rückzahlung eines Betrages von EUR 14.314,20. Nach ihrer Auffassung machten sie nicht "gemeinsam einen Anspruch" gerichtlich geltend, wie dies in § 19a GGG gefordert sei, sondern jeweils selbständige Ansprüche. Die Gerichtsgebühr wäre daher richtigerweise mit EUR 28.626,30 festzusetzen gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab der Präsident des Handelsgerichts Wien (die belangte Behörde) diesem Rückzahlungsantrag nicht statt. Dieser Antrag sei - so die wesentliche Begründung - aus nachstehenden Gründen nicht berechtigt:

"Nach § 15 Abs 2 GGG

Die Ansprüche sind zusammenzurechnen, ohne dass zwischen materieller und formeller Streitgenossenschaft unterschieden wird.

Nach § 19a GGG (erster Satz) …

§ 19a GGG wurde durch Art 73 Z 2 der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 geschaffen und hat nach den Materialien den Zweck, darauf Bedacht zu nehmen, dass Verfahren, die Ansprüche zum Gegenstand haben, die mehr als zwei Personen betreffen, einen höheren Aufwand erfordern.

Unter das erklärte Ziel der Novelle, in Verfahren, die mehr als zwei Prozessparteien betreffen, den damit verbundenen erhöhten Verfahrensaufwand durch einen Streitgenossenzuschlag auszugleichen, fällt somit auch ein Verfahren, in dem auf einer Seite bloß formelle Streitgenossen auftreten. Auch ihr Vorhandensein erzeugt jenen Mehraufwand, den die Novelle durch die Einführung des Zuschlages auffangen wollte. Die von § 19a GGG gebrauchte Wendung 'gemeinsam einen Anspruch gerichtlich geltend machen' ist daher bei richtigem Verständnis der erklärten Absicht des Gesetzgebers nicht so auszulegen, dass nur materielle Streitgenossen erfasst wären.

Im Übrigen vermeidet gerade die Einbeziehung auch der formellen Streitgenossenschaft in den Anwendungsbereich des § 19a GGG im Vergleich mit § 15 Abs 1 GGG eine Ungleichbehandlung. Es wäre nicht einzusehen, wieso im Anwendungsbereich des § 15 Abs 2 GGG, betreffend die Zusammenrechnung der Ansprüche, zwischen formeller und materieller Streitgenossenschaft nicht zu unterscheiden ist, hingegen bei § 19a GGG schon. Die von den Rückzahlungswerbern angeführte Differenzierung würde daher eine Ungleichheit herbeiführen.

…"

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Festsetzung der Gerichtsgebühr gemäß TP 1 GGG bzw. Nichtfestsetzung des Streitgenossenzuschlags gemäß § 19a GGG verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet unter Zuerkennung von Aufwandersatz beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides - so wie die Rechtswidrigkeit des Gebühreneinzugs im Verwaltungsverfahren - im Wesentlichen darin, die Einhebung eines Streitgenossenzuschlags sei gemäß § 19a GGG dann zulässig, wenn - als hier einzig relevante Alternative - mehrere Kläger "gemeinsam einen Anspruch" gerichtlich geltend machten. Im vorliegenden Fall erscheine diese Voraussetzung nicht erfüllt. Sämtliche klagende Parteien machten jeweils gestützt auf eine eigene Klagserzählung samt Klagsgrund ein gesondertes Rechtschutzbegehren geltend. Sie träten insofern "gemeinsam" auf, als sie ihre Ansprüche im Rahmen einer einzigen Klage erhoben hätten. Hingegen sei nicht davon auszugehen, dass sie derart gemeinsam "einen Anspruch" geltend gemacht hätten, sondern eine entsprechende Vielzahl von Ansprüchen. Der Verweis der belangten Behörde auf § 15 Abs. 2 GGG scheine eher den Standpunkt der Beschwerdeführer zu stützen, zumal dort explizit auf mehrere geltend gemachte Ansprüche Bezug genommen werde. Die ins Treffen geführte Ungleichbehandlung werde auch deshalb nicht schlagend, weil § 15 GGG Teil der Regelungen über die Bemessungsgrundlage bzw. die Bewertung des Streitgegenstandes sei, nicht jedoch § 19a GGG betreffend den Streitgenossenzuschlag. Die gesetzlichen Bestimmungen hätten daher unterschiedliche Regelungsinhalte, sodass der Hinweis der belangten Behörde ins Leere gehe.

Gemäß § 14 GGG ist Bemessungsgrundlage, soweit nicht im Folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN.

Mehrere in einem zivilgerichtlichen Verfahren von einer einzelnen Partei oder von Streitgenossen geltend gemachte Ansprüche sind nach § 15 Abs. 2 GGG zusammenzurechnen; die Summe der geltend gemachten Ansprüche bildet, soweit nicht im Folgenden etwas anderes bestimmt wird, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für das ganze Verfahren.

§ 19a GGG, eingefügt durch Art. 73 Z. 2 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, lautet:

"§ 19a. Die in den Tarifposten 1 bis 4 angeführten Gebühren erhöhen sich, wenn in einer Rechtssache mehrere Personen gemeinsam einen Anspruch gerichtlich geltend machen oder gerichtlich in Anspruch genommen werden oder wenn mehrere Personen gemeinsam ein Rechtsmittel erheben oder wenn dem Rechtsmittelwerber mehrere Personen als Rechtsmittelgegner gegenüberstehen. Die Erhöhung beträgt 10 vH, wenn zumindest auf einer Seite zwei Streitgenossen (Antragsteller, Antragsgegner), Rechtsmittelwerber oder Rechtsmittelgegner vorhanden sind, und 5 vH für jeden weiteren Streitgenossen (Antragsteller, Antragsgegner), Rechtsmittelwerber oder Rechtsmittelgegner, jedoch nie mehr als insgesamt 50 vH; Erhöhungsbeträge, die nicht auf volle 10 Cent lauten, sind auf die nächsten vollen 10 Cent aufzurunden."

Die ErläutRV zum Strukturanpassungsgesetz, 72 BlgNR XX. GP 296, führen zu § 19a GGG aus, diese Bestimmungen seien dem § 15 des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) nachgebildet; sie nähmen darauf Bedacht, dass Verfahren, die Ansprüche zum Gegenstand hätten, die mehr als zwei Personen beträfen, einen höheren Aufwand erforderten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes knüpft die Gerichtsgebührenpflicht an formale äußere Tatbestände an, um eine möglichst einfache - und damit sichere - Handhabung des Gerichtsgebührengesetzes (auch durch den Kostenbeamten) zu gewährleisten (vgl. etwa die in Stabentheiner, MGA GGG9, unter E 8 zu § 1 GGG referierte Judikatur).

Da bekanntermaßen die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Arten der Streitgenossenschaft (formelle oder materielle bzw. einfache oder einheitliche) nicht immer einfach ist (vgl. die §§ 11 bis 15 ZPO und die zahlreiche dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur), hieße es, den mit der Vollziehung des Gerichtsgebührengesetzes betrauten Kostenbeamten zu überfordern, wenn er gehalten wäre, in Anwendung des § 19a GGG eine Unterscheidung dahin zu treffen, ob im jeweiligen Fall eine materielle oder eine formelle Streitgenossenschaft vorliegt. Unter das erklärte Ziel der Novelle durch das Strukturanpassungsgesetz, in Verfahren, die mehr als zwei Prozessparteien betreffen, den damit verbundenen erhöhten Verfahrensaufwand durch einen Streitgenossenzuschlag auszugleichen, fällt somit auch ein Verfahren, in dem auf einer Seite bloß formelle Streitgenossen auftreten. Auch ihr Vorhandensein erzeugt (insbesondere unter Berücksichtigung des vermehrten Zustellaufwandes bzw. der durch mehrere Parteien zwangsläufig bewirkten längeren Verfahrensdauer) jenen Mehraufwand, den die Novelle durch die Einführung des Zuschlages auffangen wollte. Die von § 19a GGG gebrauchte Wendung "gemeinsam einen Anspruch gerichtlich geltend machen" ist daher bei richtigem Verständnis der erklärten Absicht des Gesetzgebers nicht so auszulegen, dass davon nur materielle Streitgenossenschaften erfasst wären, sondern auch formelle Streitgenossenschaften erfasst sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Dezember 2000, Zl. 2000/16/0364, sowie vom 24. Februar 2005, Zl. 2004/16/0234, mwN).

Für dieses Auslegungsergebnis spricht auch, dass - wie die zitierten ErläutRV ausführen - die Bestimmung des § 19a GGG jener des § 15 RATG nachgebildet ist: Darnach gebührt dem Rechtsanwalt eine Erhöhung seiner Entlohnung, wenn er in einer Rechtssache mehrere Personen vertritt oder mehreren Personen gegenübersteht. Die Erhöhung beträgt

a) wenn nur auf einer Seite zwei vom Rechtsanwalt vertretene oder ihm gegenüberstehende Personen vorhanden sind 10 v.H.,

b) für jede weitere von ihm vertretene und für jede weitere ihm gegenüberstehende Person je 5 v.H.,

jedoch nie mehr als insgesamt 50 v.H. der Verdienstsumme einschließlich des Einheitssatzes.

Auf Grund des besagten Vorbildcharakters des § 15 RATG, der nicht nur auf das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft abstellt, sondern eine Erhöhung der Entlohnung des Rechtsanwaltes auch bei Vorliegen einer formellen Streitgenossenschaft vorsieht, ist § 19a GGG auch auf die formelle Streitgenossenschaft anwendbar.

Schließlich spricht auch das von der belangten Behörde abschließend ins Treffen geführte Argument der Vermeidung einer Ungleichbehandlung für das erzielte Auslegungsergebnis. Es wäre nämlich nicht einzusehen, weshalb im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 GGG (betreffend die Zusammenrechnung der Ansprüche) zwischen formeller und materieller Streitgenossenschaft nicht zu unterscheiden ist, in jenem des § 19a GGG hingegen schon (vgl. das zitierte Erkenntnis vom 7. Dezember 2000).

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 5. April 2011

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