VwGH 2009/18/0040

VwGH2009/18/004021.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der K A in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Str. 49, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Dezember 2008, Zl. E1/524.601/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei im Februar 2003 illegal nach Österreich eingereist und habe am 25. Februar 2003 einen Asylantrag eingebracht, der am 15. September 2008 vom Asylgerichtshof rechtskräftig abgewiesen worden sei. Während des Asylverfahrens habe sie über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Vorschriften verfügt. Sie sei unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist, habe zu keiner Zeit über einen Aufenthaltstitel verfügt und sei nach Abschluss des Asylverfahrens im Bundesgebiet geblieben. Sie halte sich somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen. In einem solchen Fall könnten Fremde ausgewiesen werden, wenn der Ausweisung nicht die Bestimmung des § 66 FPG entgegenstehe.

Die Beschwerdeführerin verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu ihrem Ehemann (einem serbischen Staatsangehörigen) und ihren drei gemeinsamen Kindern (ebenfalls serbische Staatsangehörige). Mit der vorliegenden Maßnahme sei ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten.

Eine Legalisierung ihres Aufenthaltes könne die Beschwerdeführerin nur vom Ausland aus erwirken. Sie habe sich somit über die für sie maßgeblichen fremdenrechtlichen Bestimmungen hinweggesetzt. Die damit erfolgte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Dem genannten öffentlichen Interesse laufe es grob zuwider, wenn ein Fremder bloß aufgrund von Tatsachen, die von ihm geschaffen würden - so die Nichtausreise trotz Abweisung des Asylantrages -, den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet erzwingen könnte.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände könne ein weiterer Aufenthalt ihrer Person auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden. Dabei sei auch berücksichtigt worden, dass das jüngste Kind der Beschwerdeführerin erst wenige Monate alt sei. Es sei der Beschwerdeführerin trotzdem zuzumuten, die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland ("mit oder ohne dem jüngsten Kind") zu beantragen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, im Februar 2003 illegal nach Österreich eingereist zu sein, am 25. Februar 2003 einen Asylantrag eingebracht zu haben und sich seit dessen rechtskräftiger Abweisung durch den Asylgerichtshof am 15. September 2008 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufzuhalten. Gegen die Annahme der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, bestehen daher keine Bedenken.

2.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG und bringt vor, mit ihrem Ehegatten und ihren drei gemeinsamen Kindern, geboren am 13. Juli 2001, am 28. Juli 2005 und am 20. September 2008, zusammenzuleben. Durch den angefochtenen Bescheid werde die Familiengemeinschaft einer Jungfamilie mit drei minderjährigen Kindern zerstört. Bindungen zu ihrem Heimatstaat bestünden keine mehr. Im Zeitraum von Februar 2003 bis September 2008 habe sie sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufgehalten, und es sei "eine Familienintegration gemeinsam mit ihrem Ehegatten" erfolgt. Ihr Ehemann und zwei ihrer minderjährigen Kinder verfügten über unbefristete Aufenthaltsberechtigungen. Ein derartiges Verfahren bezüglich ihrer im September 2008 geborenen Tochter sei noch anhängig. Die Beschwerdeführerin sei gegenüber ihren Kindern unterhalts- und obsorgepflichtig. Dies sei beim Ermittlungsverfahren der belangten Behörde vollkommen vernachlässigt worden. Eine Interessenabwägung sei nicht erfolgt.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Auch eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG darf im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn deren Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2011, Zl. 2008/18/0249).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von sonstigen Nachzugsfällen darin, dass nicht die übrige Familie zu einem hier in Österreich lebenden und rechtmäßig aufhältigen Zusammenführenden nachkommen möchte, sondern der überwiegende Teil der Familie - insbesondere auch zwei minderjährige Kinder - der Beschwerdeführerin bereits rechtmäßig in Österreich lebt (vgl. zur Beurteilung einer ähnlichen Konstellation im Hinblick auf Art. 8 EMRK das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, Zl. 2008/22/0834).

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid zwar fest, dass die Beschwerdeführerin über familiäre Bindungen zu ihren drei Kindern und ihrem Ehemann verfügt. Sie traf jedoch infolge Verkennung der oben dargestellten Rechtslage keine Feststellungen zum Alter der Kinder und führte auch keine Ermittlungen durch, wer für die Kinder im Alter von siebeneinhalb und dreieinhalb Jahren bzw. etwa drei Monaten obsorgepflichtig ist und ob diese auf die Pflege und Fürsorge der Beschwerdeführerin angewiesen sind. Trifft es zu, dass alle drei Kinder der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren wurden und ihr gesamtes Leben in Österreich verbracht haben, zwei der Kinder wie auch der Ehemann der Beschwerdeführerin über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen (laut Beschwerde war das diesbezügliche Verfahren die jüngste Tochter betreffend noch anhängig), der Beschwerdeführerin zudem die Obsorge für ihre drei Kinder zukommt und diese auf die Pflege und Fürsorge ihrer Mutter angewiesen sind, stellte die Ausweisung unter dem Blickwinkel des Art. 8 Abs. 2 EMRK einen unzulässigen, weil nicht verhältnismäßigen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin und ihrer Familie dar.

3. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 21. November 2011

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