VwGH 2008/18/0249

VwGH2008/18/024921.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des N J in W, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. März 2008, Zl. SD 2341/05, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei erstmalig mit einem vom 29. November 2003 bis zum 28. Februar 2004 gültigen Schengenvisum nach Österreich eingereist, zuletzt sei dies auf Grund eines von der österreichischen Botschaft in Belgrad ausgestellten Aufenthaltsvisums D mit Gültigkeit vom 3. März 2004 bis zum 4. Juni 2004 erfolgt. Am 22. April 2004 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck der Familiengemeinschaft gemäß § 20 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG mit dem Zusatzantrag Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen gestellt. Nach Ablehnung des Zusatzantrages sei eine diesbezügliche Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof noch nicht erledigt worden, über den Hauptantrag sei noch nicht abgesprochen worden.

Der Beschwerdeführer verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu einem Kind ohne gültigen Aufenthaltstitel sowie zu seiner Ehegattin und zwei weiteren gemeinsamen Kindern, welche bis 13. September 2008 gültige Aufenthaltstitel besäßen.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, durch die Ausweisung werde in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen, was jedoch zulässig sei, weil dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:

zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Gegen dieses - hoch zu veranschlagende - öffentliche Interesse verstoße der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt im Anschluss an ein abgelaufenes Visum und ein negativ beschiedenes Aufenthaltstitelverfahren gravierend. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, seinen Aufenthalt in Österreich vom Inland aus zu legalisieren. Solcherart sei die Ausweisung auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.

Abgesehen davon, dass bereits "das Bundesministerium für Inneres das Vorliegen von humanitären Gründen nicht angenommen" habe, sei auch der belangten Behörde nicht ersichtlich, weshalb nicht andere Familienmitglieder oder Personen Hilfe bei der Erziehung und Pflege des gemeinsamen Kindes leisten könnten, was die anderen Familienangehörigen hindere, den Beschwerdeführer in das Ausland zu begleiten und die medizinische Behandlung dort durchführen zu lassen oder den Beschwerdeführer im Ausland zumindest zu besuchen. Es bestehe daher mangels besonderer, zugunsten des Berufungswerbers sprechender Umstände keine Veranlassung, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer seit Ablauf seines Aufenthaltsvisums D am 4. Juni 2004 nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist. Im Hinblick darauf begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor allem unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung vor und begehrt die Bedachtnahme darauf, dass er sich nie etwas zu Schulden habe kommen lassen, über gute Deutschkenntnisse verfüge sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis erworben habe, in W gemeldet und krankenversichert sei. Der Beschwerdeführer verlangt vor allem die Berücksichtigung, dass sein jüngerer Sohn an einer bestimmten Krankheit leide und schwer psychomotorisch retardiert sei, ständig und bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei, wofür er nicht nur seine Mutter, sondern auch seinen Vater, den Beschwerdeführer, benötige, und dass eine entsprechende Behandlung und Therapie in S keinesfalls möglich sei.

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG darf eine Ausweisung jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn deren Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Bereits im Administrativverfahren behauptete der Beschwerdeführer, sein Sohn leide an Arthrogrypnose bei kongenialem Dysmorphiesyndrom und sei schwer psychomotorisch retardiert. Nach Befund der behandelnden Ärzte sei das Kind ständig und bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen, sodass er nicht nur seine Mutter, sondern auch seinen Vater, den Beschwerdeführer, und seine Geschwister unbedingt benötige. Eine entsprechende Behandlung und Therapie wäre in S keinesfalls möglich (Aktenseiten 11 verso und 13).

Der Bescheid erster Instanz enthält zwar eine Wiedergabe dieses Vorbringens, doch wurden dazu keine Feststellungen getroffen. In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, es sei ordnungsgemäß berücksichtigt worden, dass der Sohn des Beschwerdeführers auf Grund seiner Krankheit Pflege benötige, ohne diese Aspekte konkret darzustellen.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer über die bisherigen Angaben zur Krankheit und zum Pflegebedarf seines Sohnes hinausgehend aus, sein Kind bedürfe komplizierter und äußerst schmerzhafter Operationen, die Behandlung wäre durch ungeklärte Fieberschübe immens erschwert. Unter Berufung auf ein ärztliches Attest verwies er darauf, dass sein Sohn nach wie vor bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei. Durch die Operationen und das Anlegen einer Gipshose sei eine Mobilisierung lediglich mittels eines Buggy möglich und nicht damit zu rechnen, dass er sich demnächst selbständig fortbewegen könne. Während der zahlreichen Krankenhausaufenthalte des Sohnes sei die Anwesenheit eines Elternteils im Spital sowie des anderen Elternteils bei den anderen beiden Kindern unbedingt erforderlich. In jenen Zeiten, zu denen der kranke Sohn zu Hause sei, wäre die Mutter mit der Pflege des Kindes alleine bei weitem überfordert.

Sowohl die Behörde erster Instanz als auch die belangte Behörde gingen davon aus, dass der Sohn des Beschwerdeführers auf Grund seiner Krankheit Pflege benötige, ohne jedoch konkrete Feststellungen über die Leiden des Kindes des Beschwerdeführers und den damit verbundenen Pflegeaufwand zu treffen. Dazu liegen - wenn auch nur rudimentäre - Ermittlungsergebnisse vor, als sich aus der Aussage des Beschwerdeführers (Aktenseite 19) ergibt, dass seine Gattin für den kranken Sohn Pflegegeld beziehe und sie wegen der durch die Krankheit des Sohnes erforderlichen Pflege nicht mehr arbeiten könne.

Ohne konkrete Feststellungen zum Gesundheitszustand des Sohnes des Beschwerdeführers und des damit verbundenen Pflegeaufwandes lässt sich nicht beurteilen, wie sich die Ausweisung des Beschwerdeführers auf die Lebenssituation seiner Familie, insbesondere seines kranken und pflegebedürftigen Sohnes, der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war, auswirken würde. Insofern kann nicht geprüft werden, ob die Betreuung des kranken Kindes und auch der anderen Kinder von seiner Mutter allein erfolgen kann oder ob es dafür der Unterstützung des Beschwerdeführers bedarf und wo eine medizinische Behandlung und Therapie des Kindes überhaupt möglich ist.

3. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei vollständiger Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG oder der Ermessensübung gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. dazu auch das ebenfalls den Beschwerdeführer betreffende, die Verweigerung eines Aufenthaltstitels zum Gegenstand habende hg. Erkenntnis vom 28. August 2008, Zlen. 2008/22/0164, 0165).

4. Auf Grund dieser Feststellungs- und Begründungsmängel ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 21. Juli 2011

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