VwGH 2009/18/0023

VwGH2009/18/002315.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der D D in W, vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Straße 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Dezember 2008, Zl. E1/355.468/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 und § 87 iVm § 86 Abs. 2 FPG des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei zu einem der belangten Behörde unbekannten Zeitpunkt unerlaubt nach Österreich eingereist. Im Juni 2006 habe die österreichische Botschaft in Belgrad die Ausstellung eines Visums verweigert, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung für die Republik Österreich führen könnte. Am 7. Jänner 2008 habe die Beschwerdeführerin erstmals im Bundesgebiet ihren Hauptwohnsitz gemeldet. Seitdem sei sie durchgehend hier gemeldet, ohne über eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu verfügen. Am 10. Juli 2008 habe sie den österreichischen Staatsbürger Z D. geheiratet und am 29. Juli 2008 sei ihr gemeinsames Kind auf die Welt gekommen, das ebenfalls über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge.

Da die Beschwerdeführerin zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal nach Österreich gelangt sei und seither über keinen Aufenthaltstitel verfüge, seien die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung (gemäß § 53 Abs. 1 FPG) gegeben.

Die Beschwerdeführerin sei seit 7. Jänner 2008 im Bundesgebiet hauptgemeldet, mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und nunmehr Mutter eines (ehelichen) Kindes. Es sei daher von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dass sie illegal nach Österreich gekommen und ihr Aufenthalt seither unrechtmäßig sei, wirke "wesentlich interessenmindernd". Ihre Ehe sei zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, als den Beteiligten der unsichere Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen. Die aus der Eheschließung ableitbaren Interessen seien daher relativiert. Es sei davon auszugehen, dass ein gemeinsames Familienleben vorliege. Die Beschwerdeführerin möge "durchaus ein inniges Verhältnis zu ihrem Ehemann und ihrem Kind haben", sie habe jedoch wohl den größten Teil ihres Lebens in ihrer Heimat bzw. nicht in Österreich verbracht. Im Juni 2006 habe sie noch versucht, auf legalem Wege nach Österreich zu gelangen. Als ihr Antrag auf einen Sichtvermerk abgelehnt worden sei, habe sie bewusst den illegalen Weg gewählt und sei unerlaubt nach Österreich gekommen. "Mit Ausnahme der (recht kurzfristigen) familiären Bindungen zu Mann und Kind" verfüge die Beschwerdeführerin "über keinerlei Integration im Bundesgebiet", auch nicht in den Arbeitsmarkt. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin keine strafrechtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verurteilungen aufweise, vermöge ihr Interesse am Verbleib im Bundesgebiet nicht zu verstärken. Besondere Umstände, die es der Beschwerdeführerin im Hinblick auf Art. 8 EMRK unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsbewilligungsverfahrens in ihr Heimatland zurückzukehren, lägen nicht vor. Es sei der Beschwerdeführerin zuzumuten, gemeinsam mit dem Kind auszureisen und vom Ausland aus einen entsprechenden Antrag auf Niederlassung einzubringen bzw. ein entsprechendes Verfahren abzuwarten. Den relativierten und nicht sonderlich ausgeprägten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet stünden erhebliche öffentliche Interessen gegenüber. Eine entsprechende Interessenabwägung habe kein Überwiegen der persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthaltes ergeben. Die Ausweisung sei dringend geboten und zulässig iSd § 66 Abs. 1 FPG.

Es seien auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die die Behörde zu einer Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen des ihr gemäß § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens veranlassen müssten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid u.a. unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG und macht das Überwiegen ihrer privaten Interessen geltend. Ohne ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben, gehe die belangte Behörde davon aus, es sei ihr zuzumuten, gemeinsam mit ihrem minderjährigen Kind auszureisen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zum Erreichen der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Auch eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG darf im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn deren Auswirkungen auf die Situation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2011, Zl. 2009/18/0040, mwN).

Bei ihrer Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung nach § 66 FPG hat die belangte Behörde zwar die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind, die beide die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, berücksichtigt, jedoch kein Überwiegen der persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthaltes angenommen und die Erlassung der Ausweisung als dringend geboten erachtet. Damit verkannte die belangte Behörde, dass es bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Ausweisung nicht nur auf die Lebenssituation des Fremden, sondern auch auf jene seiner Familie ankommt. Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass die belangte Behörde ausreichende Feststellungen insbesondere dazu hätte treffen müssen, welche Auswirkungen die Ausweisung der Beschwerdeführerin auf die Lebenssituation ihrer - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vier Monate alten, die österreichische Staatsbürgerschaft innehabende - Tochter hätte und ob es dieser, im Falle ihres Angewiesenseins auf die Betreuung ihrer Mutter, zugemutet werden könne, ihre Mutter in das Ausland zu begleiten (vgl. das in Auslegung des § 66 FPG zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ergangene hg. Erkenntnis vom 12. April 2011, Zl. 2008/18/0704, sowie nochmals das hg. Erkenntnis vom 21. November 2011).

Da die belangte Behörde in Verkennung der oben dargestellten Rechtslage entscheidungswesentliche Feststellungen zu der Lebenssituation der Familienangehörigen der Beschwerdeführerin nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG schon deswegen - ohne dass hier auf unionsrechtliche Fragen eingegangen werden musste (vgl. das Urteil des EuGH vom 15. November 2011, C-256/11 , Rs Dereci u.a.) - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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