VwGH 2009/08/0111

VwGH2009/08/01117.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des H T in Wien, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 17/16, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. März 2009, Zl. 2008-0566-9-003640, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gemäß § 10 iVm § 38 AlVG den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den Zeitraum vom 25. November 2008 bis 5. Jänner 2009 ausgesprochen und keine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit. gewährt.

In ihrer Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer seit 2. April 2001 mit Unterbrechungen Notstandshilfe beziehen würde und bei allen für die Beantragung dieser Leistungsansprüche vom Beschwerdeführer unterschriebenen bundeseinheitlichen Anträgen auf Seite vier angeführt gewesen sei, dass bei Nichtannahme einer vermittelten zumutbaren Beschäftigung das Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) entzogen werde. Am 25. November 2008 sei dem Beschwerdeführer eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft vom Dienstgeber Firma I zugewiesen worden. Das Dienstverhältnis sei nicht zustande gekommen. Bei einer am 25. November 2008 mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift habe dieser zur Stellungnahme des Dienstgebers I, wonach der Beschwerdeführer das Dienstverhältnis abgelehnt habe, ausgeführt, dass dies nicht seine Schuld gewesen sei. Nach einer am 26. Februar 2009 von der Firma I der belangten Behörde übermittelten Stellungnahme habe eine ausführliche Aufklärung bezüglich eines Dienstvertrages stattgefunden, der Beschwerdeführer habe jedoch keinerlei Interesse gezeigt. Am 17. März 2009 habe der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde niederschriftlich angegeben, dass ihm zwar ein Dienstvertrag angeboten worden sei; er habe dann gefragt, ob er den Dienstvertrag unterschreiben müsse, woraufhin ihm gesagt worden sei, dass er dies nicht müsse. Deswegen habe er den Vertrag nicht unterschrieben.

Zur Erfüllung des Tatbestandes der Weigerung der Annahme einer Beschäftigung iSd § 10 Abs. 1 AlVG durch den Beschwerdeführer führte die belangte Behörde neben auszugsweiser Zitierung von § 9 AlVG im Wesentlichen aus, dass die vom Dienstgeber I als vom Arbeitsmarktservice beauftragten Arbeitsvermittler zugewiesene Beschäftigung als Transitarbeitskraft dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen sei. Dem Berufungseinwand, es sei dem Beschwerdeführer nicht gesagt worden, dass er "den Kurs fortsetzen" müsse, würden die Stellungnahme der Firma I vom 26. Februar 2009 und seine Angaben in der Niederschrift vom 17. März 2009 entgegenstehen, wonach ihm "sehr wohl ein Dienstvertrag angeboten worden" sei. Es "bleibe dem Beschwerdeführer unbenommen", dass er diesen Dienstvertrag nicht angenommen habe, "da ihm gesagt worden sei, dass er dies nicht müsse". Er sei aber auf Grund seiner seit 2. April 2001 erfolgten Antragstellung ausreichend darüber informiert gewesen, dass bei Nichtannahme einer vermittelten zumutbaren Beschäftigung das Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) entzogen werde. Die in der Berufung angeführten finanziellen Belastungen würden keine berücksichtigungswürdigenden Umstände iSd § 10 Abs. 3 AlVG darstellen, da (nach dem dazu zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0150) den Arbeitslosen die Sorgepflichten für seine Familienangehörigen nicht härter treffen als andere Arbeitslose, die ebenfalls eine Familie zu versorgen haben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die §§ 9 und 10 AlVG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lauten (auszugsweise) wie folgt:

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

(2) Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung. Die zumutbare tägliche Wegzeit für Hin- und Rückweg beträgt jedenfalls eineinhalb Stunden und bei einer Vollzeitbeschäftigung jedenfalls zwei Stunden. Wesentlich darüber liegende Wegzeiten sind nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn am Wohnort lebende Personen üblicher Weise eine längere Wegzeit zum Arbeitsplatz zurückzulegen haben oder besonders günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, zumutbar.

...

(7) Als Beschäftigung gilt, unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall, auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP), soweit dieses den arbeitsrechtlichen Vorschriften und den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards entspricht. Im Rahmen dieser Qualitätsstandards ist jedenfalls die gegebenenfalls erforderliche sozialpädagogische Betreuung, die Zielsetzung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen theoretischen und praktischen Ausbildung sowie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung das zulässige Ausmaß überlassungsfreier Zeiten und die Verwendung überlassungsfreier Zeiten zu Ausbildungs- und Betreuungszwecken festzulegen.

...

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, ...

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

... (3) Der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie zB bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."

Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

In der Beschwerde wird moniert, die belangte Behörde habe zu Unrecht den Tatbestand des § 10 Abs.1 AlVG als erfüllt angesehen und keine Nachsicht iSv Abs. 3 dieser Bestimmung gewährt.

Soweit der Beschwerdeführer dazu (unter Hinweis auf ältere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor der Rechtslagenänderung zum 1. Jänner 2008) vorbringt, dass ein "Transitarbeitsplatz" keine am allgemeinen Arbeitsmarkt angebotene versicherungspflichtige Beschäftigung darstelle, übersieht er, dass durch die mit BGBl. I Nr. 2007/104 (mit Wirkung vom 1. Jänner 2008) angefügte Zumutbarkeitsregelung in § 9 Abs. 7 AlVG ausdrücklich auch "ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)" als (zumutbare) Beschäftigung erklärt wurde. Da es sich bei der Firma I unbestrittenermaßen um einen im § 9 AlVG genannten Sozialökonomischen Betrieb handelt, kann somit ein Verhalten im Sinne von § 10 Abs. 1 AlVG zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen.

Die belangte Behörde hat aber ihren Bescheid im Wesentlichen (lediglich) darauf gestützt, dass dem Beschwerdeführer auf seine Frage, ob er zur Unterfertigung des ihm vorgelegten Vertrages verpflichtet sei, die - angesichts der Verpflichtung, wie sich aus § 9 AlVG ergibt - unrichtige Antwort gegeben wurde, dass er dazu nicht verpflichtet sei. Damit kann dem Beschwerdeführer kein Verhalten vorgeworfen werden, dass eine Weigerung iSd § 10 Abs. 1 AlVG auch in subjektiver Hinsicht darzustellen vermag.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl.II Nr. 455/2008.

Wien, am 7. September 2011

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