VwGH 2008/23/0702

VwGH2008/23/070211.8.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des M H, geboren 1977, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Oktober 2007, Zl. 220.690/0/10E-VII/43/01, betreffend §§ 7, 8 Abs.1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 18. September 2000 einen Asylantrag, den er zusammengefasst damit begründete, dass er im Iran eine (auch) sexuelle Beziehung zu einer verheirateten Frau unterhalten habe. Als deren Ehemann, ein angesehener, höherrangiger Angehöriger der mit dem islamischen Komitee zusammenarbeitenden Sicherheitskräfte, die Beziehung entdeckt habe, sei der Beschwerdeführer vor diesem geflüchtet. Da ein derartiges Verhalten im Iran überdies mit Strafe bedroht sei, habe er das Land verlassen. Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer des Weiteren an, dass zwischenzeitig im Iran Ladungen an ihn ergangen seien, von welchen er drei als Faxkopien vorlegte.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. November 2000 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest.

Die belangte Behörde begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig dargetan habe, dass er in seinem Heimatstaat aus welchen Gründen immer in das Blickfeld von Behörden oder Sicherheitskräften geraten sei. Es könne ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Iran wegen einer außerehelichen sexuellen Beziehung von "uniformierten Männern" oder dem betrogenen Ehemann gesucht oder bedroht würde.

Die belangte Behörde stellte beweiswürdigend Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers dar und führte zu den vorgelegten Ladungen aus:

"Laut Bericht des deutschen auswärtigen Amtes hat eine inhaltliche Prüfung von Dokumenten in den meisten Fällen ergeben, dass Formulare und Stempel gestohlen bzw. gefälscht waren. Einfallsreichtum und technischen Möglichkeiten zur Fälschung von Dokumenten sind keine Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund sind dem Auswärtigen Amt Echtheitsüberprüfungen grundsätzlich nur bei Vorlage von Dokumenten im Original möglich.

(…)

Aufgrund des Umstandes, dass es sich (Anm.: bei den vorgelegten Ladungen) um Faxkopien handelt, sind diese auch keiner aussagekräftigen Echtheitsüberprüfung zugänglich. Im Übrigen wird auf die in den Länderfeststellungen enthaltenen Anmerkungen zu iranischen Dokumenten verwiesen".

Die Aufnahme weiterer Beweise sei wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde macht unter anderem geltend, dass die belangte Behörde die vorgelegten Ladungen nicht (ausreichend) bei ihrer Beweiswürdigung berücksichtigt habe, und zeigt damit einen relevanten Verfahrensmangel in Bezug auf den angefochtenen Bescheid auf.

Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen, ohne dass es dem Gerichtshof zukäme, die vorgenommene Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2010, Zl. 2008/19/0403, mwN).

Im Übrigen sind nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 17. März 2011, Zl. 2008/01/0055, mwN).

Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insofern nicht gerecht, als sich die belangte Behörde mit Echtheit und Inhalt der vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente nicht konkret auseinandergesetzt hat.

Allein der Umstand, dass sich (viele) in Asylverfahren vorgelegte behördliche Schriftstücke aus dem Iran bei einer Überprüfung als Fälschungen herausstellten, entbindet die belangte Behörde nicht, sich im konkreten Einzelfall mit der Echtheit und dem Inhalt von vorgelegten Urkunden auseinanderzusetzen. Selbst wenn eine Echtheitsüberprüfung an Hand von Faxkopien nicht möglich sein sollte - und Originale auch nach vorangegangener Aufforderung nicht beigebracht würden (solche wurden im konkreten Fall aber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt) - wäre der Inhalt der Urkunden zu übersetzen und gegebenenfalls mit geeigneten Erhebungen auf seine Richtigkeit zu überprüfen gewesen. Eine Beweiswürdigung, die dies unter Hinweis auf bloß allgemeine Erwägungen zur Fälschungswahrscheinlichkeit unterlässt, erweist sich als vorgreifend und ist damit unschlüssig.

Da die in den Aussagen des Beschwerdeführers im Übrigen aufgezeigten Widersprüche für sich genommen jedenfalls nicht dermaßen gravierend sind, dass eine Aufforderung zur Vorlage allenfalls erforderlicher Originale und eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der vorgelegten Urkunden hätte unterbleiben können, ist auch nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der Ladungen in ihrer Beweiswürdigung insgesamt zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch nicht von vornherein Asylrelevanz abzusprechen, hat der Verwaltungsgerichtshof doch in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion im Iran das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht. Eine völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorstellungen drohen, könnte nämlich darauf hindeuten, dass diese Maßnahmen an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zu Grunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpft (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0256, sowie vom 19. November 2010, Zl. 2008/19/0206).

Da die Beweiswürdigung der belangten Behörde somit ihre Einschätzung, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig, auch nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht trägt, und dem Fluchtvorbringen nicht von vornherein Asylrelevanz abgesprochen werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 11. August 2011

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