VwGH 2008/21/0126

VwGH2008/21/01265.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 14. Jänner 2008, Zl. Fr 185/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §65;
VwRallg;
FrPolG 2005 §65;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste mit einem vom 17. bis 24. September 2001 befristeten Visum "C" in das Bundesgebiet ein und verblieb hier auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer. Er stellte am 9. Oktober 2001 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Student, der mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden (BH) vom 30. Dezember 2003 gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 FrG 1997 wegen des Bestehens eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes abgewiesen wurde. Gegen den Beschwerdeführer war nämlich bereits davor mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid der BH vom 24. Juli 2003 ein auf § 36 Abs. 1 und 2 Z 6 FrG 1997 gestütztes, mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, weil er gefälschte Studienunterlagen vorgelegt habe, um sich auf diese Weise einen Aufenthaltstitel zu verschaffen.

Am 9. April 2004 stellte der - seit 22. Jänner 2004 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratete - Beschwerdeführer sodann einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG", der nach dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) mit 1. Jänner 2006 als Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gewertet wurde. Dieser Antrag wurde (im 2. Rechtsgang) mit Bescheid der BH vom 6. April 2006 gemäß § 11 Abs. 1 Z 1 NAG, wonach Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden dürfen, wenn gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot besteht, abgewiesen. Auch dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Der Beschwerdeführer hatte bereits mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2004 einen Antrag auf Aufhebung des erwähnten Aufenthaltsverbotes gestellt, der mit Bescheid der BH vom 22. Dezember 2005 gemäß § 44 FrG 1997 abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich mit Bescheid vom 7. Juli 2006 Folge und sie hob das Aufenthaltsverbot auf.

Darauf gründete der Beschwerdeführer einen mit Schriftsatz vom 3. November 2006 gestellten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger", der mit Bescheid der BH vom 20. Dezember 2006 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 24. August 2007 ab. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos (siehe dazu das Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0383).

Bereits mit Schreiben vom 28. August 2006 hatte die BH den Beschwerdeführer von der im Hinblick auf seinen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung in Kenntnis gesetzt. In der hierauf ergangenen Stellungnahme verwies der Beschwerdeführer vor allem auf die mittlerweile erfolgte Aufhebung des Aufenthaltsverbotes. Die Ausweisung stelle einen unzulässigen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar, weil er mit einer Österreicherin verheiratet sei, mit dieser ein geregeltes Familienleben führe und zu deren Kindern ein gutes und herzliches Verhältnis habe.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der BH vom 8. August 2007 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 14. Jänner 2008 keine Folge gegeben.

In der Begründung ging die belangte Behörde nach Darstellung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes davon aus, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhalte und daher seine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG zulässig sei. Der Beschwerdeführer befinde sich zwar seit September 2001 in Österreich und gehe seit Jänner 2005 durchgehend einer Erwerbstätigkeit als Arbeiter in einer Gärtnerei nach, doch habe er nach Ablauf der Gültigkeit des Visums noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt. Die Ausweisung sei das gelindeste Mittel, um den gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes komme den Normen, welche die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse habe der Beschwerdeführer durch seinen illegalen Aufenthalt erheblich beeinträchtigt. Zudem bestehe keine Möglichkeit, den Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren.

In Bezug auf das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich berücksichtigte die belangte Behörde neben seinem mittlerweile mehr als sechsjährigen Aufenthalt und seiner über drei Jahre ausgeübten Berufstätigkeit auch dessen Unbescholtenheit. Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer behaupteten geregelten Familienlebens ging die belangte Behörde jedoch davon aus, dass es faktisch nicht bestehe. Dafür spreche vor allem die (im angefochtenen Bescheid im Einzelnen wiedergegebene) Aussage seiner Ehefrau gegenüber der Polizeiinspektion Eisenstadt vom 31. Jänner 2006, wonach sie und der Beschwerdeführer im Anschluss an die Heirat (im Jänner 2004) nur drei Monate gemeinsam in Wien gelebt hätten und der Beschwerdeführer danach den gemeinsamen Wohnsitz ohne Angabe von Gründen verlassen habe. Weiters führte die belangte Behörde dazu den Umstand ins Treffen, dass der Beschwerdeführer auch nach den Meldeauskünften seit Oktober 2006 nicht mehr über einen gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Ehefrau verfüge. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Ausweisung schwerwiegend in das Familienleben eingreife, wurde daher als unglaubwürdig gewertet. Außerdem hätte sich der Beschwerdeführer mangels Aufenthaltstitels über die Unsicherheit seines "weiteren rechtlichen Schicksals" bewusst sein müssen. Angesichts des mehrjährigen unrechtmäßigen Aufenthalts kam die belangte Behörde sodann unter Bedachtnahme auf die genannten Umstände zu dem Ergebnis, die Interessenabwägung und die Ermessensübung hätten nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers vorgenommen werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

In der Beschwerde wird zugestanden, dass sich der Beschwerdeführer "aus formellen Gründen" nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, doch habe die belangte Behörde diesem Umstand ein zu großes Gewicht beigemessen. Sie habe nicht berücksichtigt, dass der rechtswidrige Aufenthalt nur deshalb entstanden sei, weil gegen den Beschwerdeführer in "rechtsirriger Weise" ein Aufenthaltsverbot verhängt, aber erst im Jahr 2006 aufgehoben worden sei.

Dieses Vorbringen lässt einerseits außer Acht, dass sowohl die Erlassung des Aufenthaltsverbotes als auch die Abweisungen der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln vom Beschwerdeführer unbekämpft geblieben sind und die diesbezüglichen erstinstanzlichen Bescheide jeweils rechtskräftig wurden. Außerdem wurde das Aufenthaltsverbot mit Bescheid vom 7. Juli 2006 nur mit Wirkung "ex nunc" aufgehoben (siehe dazu das bereits genannte Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0383), und zwar - wie es auch in der Beschwerde heißt - lediglich deshalb, weil dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die mittlerweile erfolgte Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zugekommen war.

Soweit der Beschwerdeführer der Sache nach meint, bei einer früheren Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wäre ihm der Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen gewesen, kann ihm aber ebenfalls nicht gefolgt werden. In der Beschwerde bleibt nämlich die (auf die unbedenklichen Angaben der Ehefrau gestützte) Annahme der belangten Behörde, die eheliche Lebensgemeinschaft habe nur drei Monate (somit bis Ende April 2004) gedauert, unwidersprochen. Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich nach § 30 Abs. 1 NAG aber für die Erteilung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen. Davon ausgehend ist schon die dem Beschwerdevorbringen zugrundeliegende Prämisse verfehlt.

Die belangte Behörde hat somit den (bis zum Bescheiderlassungszeitpunkt schon mehr als sechs Jahre dauernden) unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers zutreffend als schwerwiegenden Verstoß gegen die Fremdenrechtsordnung gewertet. Sie hat aber auch zu Recht darauf hingewiesen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. zuletzt Punkt. 2.2.2. des Erkenntnisses vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0124, mwN). Dieses öffentliche Interesse hat der Beschwerdeführer aber maßgeblich beeinträchtigt, indem er zunächst nach Ablauf der Gültigkeit seines Visums, dann nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes und schließlich nach Ablehnung der Erteilung eines (auf die nicht mehr bestehende Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau gestützten) Aufenthaltstitels nicht wieder in sein Heimatland zurückgekehrt ist, sondern durch seinen unrechtmäßigen Verbleib versucht, "vollendete Tatsachen" zu schaffen.

Weiters wird in der Beschwerde die Auffassung vertreten, dem Beschwerdeführer käme (im Wege des § 87 FPG) die Rechtsstellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zu, der gemäß § 86 Abs. 2 FPG nur ausgewiesen werden dürfe, wenn eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit iSd § 55 Abs. 1 NAG vorliege. Mit diesen Voraussetzungen für eine Ausweisung des Beschwerdeführers habe sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.

Dem ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zur hier noch anzuwendenden Rechtslage - § 86 Abs. 2 iVm § 87 FPG in der Stammfassung - entgegen zu halten, dass Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommenen haben, nicht die erstgenannte Bestimmung, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (siehe dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0124, Punkt 1.2.2.).

In Bezug auf die Interessenabwägung nach § 66 FPG verweist der Beschwerdeführer nur auf die von der belangten Behörde ohnehin berücksichtigten Tatsachen - Dauer des Aufenthalts, Erwerbstätigkeit und Unbescholtenheit - und vermag damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Die geltend gemachten Umstände reichen nicht aus, dass der weitere Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK hätte akzeptiert und von einer Ausweisung Abstand genommen werden müssen. Bei der Bewertung des Interesses an einem weiteren Aufenthalt in Österreich durfte nämlich auch berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund der negativen Erledigungen seiner Anträge bisher nicht damit rechnen konnte, in Österreich verbleiben zu können. Deshalb ist das Gewicht der mittlerweile erlangten Integration dadurch gemindert, dass sich der Beschwerdeführer während der meisten Zeit seines Inlandsaufenthalts des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. auch dazu Punkt 2.2.2. des schon genannten Erkenntnisses vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0124).

Soweit vom Beschwerdeführer in der Beschwerde noch vorgebracht wird, in der Zwischenzeit (am 10. Jänner 2008) sei seine Tochter Zelwa I. - offenbar jedoch nicht von seiner Ehefrau -

in Österreich geboren worden, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung. Mit der Rüge, die belangte Behörde hätte sich durch die Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner österreichischen Ehefrau "ein Bild davon machen müssen, ob ein Familienleben besteht", wird kein wesentlicher Verfahrensmangel aufgezeigt. Einerseits besteht im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf, von der Behörde mündlich gehört zu werden (siehe unter vielen neuerlich das Erkenntnis Zl. 2008/21/0124, Punkt 2.1.2.). Andererseits werden vom Beschwerdeführer keine konkreten Tatsachen vorgebracht, die durch eine solche Einvernahme hätten bewiesen werden sollen und die die (auf die nicht konkret bestrittenen Angaben der Ehefrau vor der Polizeiinspektion Eisenstadt gestützte) Annahme der belangten Behörde zum Nichtbestehen einer familiären Gemeinschaft hätten widerlegen können, sodass es insoweit auch an einer ausreichenden Relevanzdarstellung mangelt.

Im Ergebnis ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig angesehen und die Ermessensübung nicht zu seinen Gunsten vorgenommen hat.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2011

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