VwGH 2008/16/0104

VwGH2008/16/010429.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des Mag. B in W, vertreten durch die Arnold Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 12. Dezember 2007, GZ. RV/1689-W/03, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens in einer Angelegenheit der Erbschaftssteuer, zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer war im Testament des G.R. vom 30. Mai 1986 ein lebenslanges Wohnrecht an einer bestimmten Wohnung und der Fruchtgenuss in Form jährlicher Einnahmen aus einem "Eigentumsgeschäftslokal" und einer "Mietzinseigentumswohnung" vermacht worden.

G.R. verstarb am 1. Oktober 1993. Der Beschwerdeführer nahm in einer vor dem öffentlichen Notar Dr. H. aufgenommene Niederschrift vom 13. Dezember 1993 die ausgesetzten Vermächtnisse an.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. Jänner 1994 wurde der Erbe nach G. R. in den Nachlass eingeantwortet und gleichzeitig angeordnet, dass ob einer näher genannten Liegenschaft im Lastenblatt die Dienstbarkeit des lebenslänglichen, höchstpersönlich und unentgeltlichen Wohnungsrechtes zu Gunsten des Beschwerdeführers hinsichtlich einer näher genannten Wohnung und ob weiterer näher genannter Liegenschaften im jeweiligen Lastenblatt die Einverleibung der Dienstbarkeit des höchstpersönlichen, unentgeltlichen und lebenslänglichen Fruchtgenussrechtes für den Beschwerdeführers einzuverleiben seien.

Mit in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthaltenem Bescheid vom 29. November 1994 setzte das Finanzamt daraufhin die Erbschaftssteuer für den Beschwerdeführer fest.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1994 aus hier nicht mehr interessierenden Gründen und beantragte gleichzeitig, "gem. § 29 (1) ErbStG, die Steuer anteilig jährlich festzusetzen".

Mit Berufungsentscheidung der (damaligen) Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. März 1997 wurde der Berufung teilweise stattgegeben und die Erbschaftssteuer "in der Steuerklasse V" in näher angeführter Höhe festgesetzt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gemäß § 29 ErbStG die "Jahressteuer" in näher angeführter Höhe zu entrichten sei.

Mit Schriftsatz vom 27. August 2003 stellte der Beschwerdeführer einen "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 302 Abs. 2 lit. c BAO" mit der Begründung, zwischen dem Erblasser G.R. und dem Beschwerdeführer habe eine über 23 Jahre bestehende Lebensgemeinschaft bestanden, weshalb dem Beschwerdeführer das Wohnrecht in der partnerschaftlichen Wohnung und der Fruchtgenuss an mehreren Wohnungseigentumsobjekten letztwillig zugefallen seien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe mit Urteil vom 24. Juli 2003 ausgesprochen, dass die ungleiche Behandlung sexueller Neigungen mit den Art. 8 und 14 der EMRK in Widerspruch stehe. Deshalb stelle der Beschwerdeführer den "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens."

Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. September 2003 mit der Begründung ab, dass derartige Anträge nur innerhalb der Verjährungsfrist von fünf Jahren zulässig seien und diese - da die "letzte Erledigung" 1997 erfolgt sei - mit Ende 2002 abgelaufen sei.

Mit Schriftsatz vom 24. September 2003 berief der Beschwerdeführer dagegen mit der Begründung, der Abgabenanspruch sei "in Teilbeträgen alljährlich durch eine nach außen erkennbare Amtshandlung, nämlich durch Übermittlung der betreffenden Buchungsmitteilungen" geltend gemacht worden, weshalb noch keine Verjährung eingetreten sei.

Mit Schriftsatz vom 29. September 2003 ersuchte der Beschwerdeführer, den auf seinem näher angeführten Abgabenkonto in Höhe von rund 6.600 EUR ausgewiesenen Rückstand, der im Zusammenhang mit seinem Wiederaufnahmeantrag vom 27. August 2003 und seiner Berufung vom 24. September 2003 stehe und bei Obsiegen zur Gänze wegfallen werde, bis zur rechtskräftigen Erledigung des Wiederaufnahmeantrages zu stunden.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2003 wies das Finanzamt dieses Stundungsansuchen ab, weil die Begründung des Ansuchens für eine stattgebende Erledigung nicht ausreiche.

Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2003 berief der Beschwerdeführer gegen die Abweisung seines Zahlungserleichterungsansuchens.

Am 28. November 2007 fand vor der belangten Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung über die beiden Berufungen des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 22. September 2003 (Geschäftszahl der belangten Behörde "RV 1689- W/03") und gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 2. Oktober 2003 (Geschäftszahl der belangten Behörde "RV 1823-W/03") statt. Die Vorsitzende des Senates verkündete am Ende der Verhandlung die "Berufungsentscheidung

1.) Abweisung betreffend Wiederaufnahme des Erbschaftssteuerverfahrens und

2.) Abweisung des Antrages auf Stundung gemäß § 212 BAO samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und dass die nähere und ausführliche Begründung der Berufungsentscheidungen den schriftlichen Ausfertigungen vorbehalten bleibt."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und rechtlichen Ausführungen hielt die belangte Behörde fest, im Beschwerdefall sei die Steuerschuld mit dem Tode des Erblassers G.R. am 1. Oktober 1993 entstanden. Das Festsetzungsverfahren sei in zweiter Instanz mit der erwähnten Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion vom 13. März 1997 abgeschlossen. Hinsichtlich der Steuerfestsetzung könne es daher keine Unterbrechungshandlungen mehr geben. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Buchungsmitteilungen könnten allenfalls die Einhebungsverjährung, nicht aber den Lauf der Festsetzungsverjährung unterbrechen. Der Wiederaufnahme des Erbschaftssteuer(festsetzungs)verfahrens stehe daher die eingetretene Verjährung entgegen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 10. Juni 2008, B 44/08-3, die Behandlung der vor ihm gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde abgelehnt und mit Beschluss vom 1. August 2008, B 44/08-5, über nachträglichen Antrag die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.

In dem die Beschwerde ergänzenden Schriftsatz vom 20. August 2008 erachtet sich der Beschwerdeführer im Recht auf "Wiederaufnahme des Verfahrens bzw auf Bescheidaufhebung, jedenfalls auf Korrektur der bisher erfolgten Berechnung der Erbschaftssteuer" sowie im Recht auf Berechnung der Erbschaftssteuer nach der Steuerklasse I, jedenfalls nach einer niedrigeren Steuerklasse als in der Steuerklasse V" verletzt.

Die belangte Behörde legte Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Beschwerdeführer replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene, von der Vorsitzenden des Senates der belangten Behörde unterschriebene Entwurf des angefochtenen Bescheides und die zwei für die Akten der belangten Behörde und für das Finanzamt als Amtspartei bestimmten Ausfertigungen der Reinschrift des angefochtenen Bescheides, welche in den vorgelegten Verwaltungsakten enthalten sind, auf zweiseitig bedrucktem Papier je 13 Seiten umfassen und dass diese zwei Reinschriften "Für die Richtigkeit der Ausfertigung" mit einer mit "M…" beginnenden Unterschrift gefertigt sind.

Die vom Beschwerdeführer als Ausfertigung des angefochtenen Bescheides vorgelegten Ablichtungen stellen sich als eine fünf Seiten auf zweiseitig bedrucktem Papier umfassende Ausfertigung einer Erledigung dar, welche "Für die Richtigkeit der Ausfertigung" eine Unterschrift aufweist, die sich von der auf den in den Verwaltungsakten erliegenden Reinschriften deutlich unterscheidet.

Diese vom Beschwerdeführer vorgelegte Ablichtung gleicht insoweit den in den Akten enthaltenen Ausfertigungen, als in beiden Fällen die ersten beiden Seiten mit denen der in den vorgelegten Verwaltungsakten übereinstimmen und die Seite 3 (das zweite Blatt) ebenfalls mit den Worten "Fristgerecht wurde Berufung eingebracht, der Bw wendet ein, …" beginnt. Erst danach unterscheiden sich die Texte.

Die vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde als Ausfertigung des Bescheides der belangten Behörde vom 12. Dezember 2007, GZ. RV/1823-W/03, betreffend Zahlungserleichterung vorgelegten Ablichtungen stellen einen 13seitigen Bescheid dar, welcher ab der Seite 3 wortgleich mit den Seiten 3 bis 13 der in den vorgelegten Verwaltungsakten einliegenden Ausfertigungen des angefochtenen Bescheides ist und "Für die Richtigkeit der Ausfertigung" auch dieselbe mit "M… beginnende Unterschrift enthält.

Die Ablichtungen, welche der Beschwerdeführer vorlegte, weisen auf der Kopf- und Fußzeile jeweils Aufdrucke auf, die auf die Übermittlung der Entscheidungen durch den steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers, zu Handen dessen der angefochtene Bescheid zugestellt worden war, offenbar an die nunmehr als Beschwerdevertreter einschreitende Rechtsanwalts-Partnerschaft am selben Tag im Zeitabstand von zwei Minuten hinweisen.

Die vom Beschwerdeführer angesprochene "Verwechslung" der Begründung oder von Begründungsteilen liegt somit in der Form vor, dass bei den vom Beschwerdeführer vorgelegten Ablichtungen offenbar die Seiten 3 bis 5 des Bescheides betreffend die Zahlungserleichterung an die Stelle der Seiten 3 bis 13 des angefochtenen Bescheides getreten sind.

Diese "Verwechslung" könnte zwar durchaus auch im Bereich der belangten Behörde eingetreten sein, doch hält dies der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen für wenig wahrscheinlich:

Die Reinschriften sind sowohl auf der Ausfertigung für die Akten der belangten Behörde als auch auf der Ausfertigung für das Finanzamt auf der jeweiligen Seite 13 des vom Beschwerdeführer vorgelegten Exemplars offensichtlich von derselben Person "Für die Richtigkeit der Ausfertigung:" unterschrieben wie die Seite 13 der vom Beschwerdeführer als Ausfertigung des Bescheides betreffend Zahlungserleichterung vorgelegten Ablichtungen, während die Seite 5 der vom Beschwerdeführer als Ausfertigung des angefochtenen Bescheides vorgelegten Ablichtungen offensichtlich von einer anderen Person "Für die Richtigkeit der Ausfertigung" gezeichnete wurde. Der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene Rückschein weist nur die Bescheidzahl des angefochtenen Bescheides auf. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass die beiden Bescheide der belangten Behörde vom 12. Dezember 2007 von verschiedenen Personen abgefertigt und in getrennten Rückscheinbriefen versendet wurden. Es ist daher weniger wahrscheinlich, dass die selbe Person bei der Abfertigung der angefochtenen Bescheidexemplare an das Finanzamt und an den Beschwerdeführer in einem Fall die Seiten mit Ausfertigung eines Bescheides vertauscht, welche eine andere Person für die Richtigkeit der Ausfertigung bestätigt hat und abfertigt und welche in einem getrennten Rückscheinbrief versendet werden.

Dem gegenüber sind die beiden Bescheide, der angefochtene Bescheid und die Berufungsentscheidung der belangten Behörde betreffend die Zahlungserleichterung, vom selben Tag an den selben steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt worden. Dieser hat sodann offenbar am 28. Dezember 2007 im Abstand von zwei Minuten beide Bescheide dem nunmehrigen Beschwerdevertreter gefaxt. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof daher wahrscheinlicher, dass eine Vertauschung der jeweiligen Seiten der beiden Bescheide ab der Seite 3 in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters des Beschwerdeführers erfolgte.

Damit geht der Verwaltungsgerichtshof aber davon aus, dass der angefochtene Bescheid, wie er in den Verwaltungsakten einliegt, dem Beschwerdeführer zu Handen dessen steuerlichen Vertreters zugestellt wurde.

Im gegenteiligen Fall einer Verwechslung bereits im Bereich der belangten Behörde, wäre der angefochtene Bescheid durch seine Verkündung am Schluss der mündlichen Verhandlung dem Beschwerdeführer gegenüber bereits wirksam geworden. Damit wäre die Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof zulässig, es hätte mangels Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides an den Beschwerdeführer lediglich die Frist zur Erhebung einer Beschwerde vor dem Verfassungs- oder dem Verwaltungsgerichtshof noch nicht zu laufen begonnen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes 1955 - ErbStG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Aufhebung durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. März 2007, G 54/06 u.a., unterlag der Erbschaftssteuer der Erwerb von Todes wegen.

Als Erwerb von Todes wegen gilt nach § 2 Abs. 1 Z 1 ErbStG auch der Erwerb durch Vermächtnis.

Die Steuerschuld entsteht nach § 12 Abs. 1 Z 1 ErbStG bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers.

Ist die Steuer vom Kapitalwert von Renten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen zu entrichten, so kann sie gemäß § 29 Abs. 1 ErbStG nach Wahl des Steuerpflichtigen statt vom Kapitalwert jährlich im Voraus vom Jahreswert entrichtet werden.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO in der im Zeitpunkt des Antrages vom 27. August 2003 noch maßgebenden Fassung des Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetzes (AbgRmRefG), BGBl. I Nr. 97/2002, konnte die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Aufhebungen nach § 299 BAO, die wegen Widerspruchs mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen oder mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union erfolgten, waren nach § 302 Abs. 2 lit. c BAO in der im Zeitpunkt des Antrages vom 27. August 2003 noch maßgebenden Fassung des AbgRmRefG bis zum Ablauf der Verjährungsfrist oder, wenn der Antrag auf Aufhebung innerhalb dieser Frist eingebracht wurde, auch nach Ablauf dieser Frist, zulässig.

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist einem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens nach näher angeführten Voraussetzungen stattzugeben.

Der Antrag des Beschwerdeführers vom 27. August 2003 ist - ungeachtet des Zitats des eine für Bescheide der Abgabenbehörde zweiter Instanz (hier: Bescheid der damaligen Finanzlandesdirektion vom 13. März 1997) gar nicht zulässige Aufhebung nach § 299 BAO betreffenden § 302 BAO in der Überschrift des Schriftsatzes - im Hinblick auf seinen ansonsten eindeutigen Wortlaut als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 BAO zu verstehen. Sache des angefochtenen Bescheides war demnach - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift zutreffend bemerkt - (ausschließlich) dieser Antrag. In den geltend gemachten Rechten "auf Bescheidaufhebung" und auf "Berechnung der Erbschaftssteuer nach …." wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid somit nicht verletzt.

Nach § 303 Abs. 1 BAO ist eine Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag u.a. zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten (lit. b) oder der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfragen von der hierfür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde (lit. c) und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 304 BAO in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 681/1994 ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Eintritt der Verjährung ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs. 2) von zehn Jahren zulässig wäre (lit. a), oder vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides (lit. b) eingebrachter Antrag gemäß § 303 Abs. 1 zugrunde liegt.

Mit Art. VII Z 4 des Steuerreformgesetzes 2005 (StReformG 2005), BGBl. I Nr. 57/2004, wurde die Frist in § 304 lit. a BAO auf sieben Jahre verkürzt; diese Bestimmung trat mit 1. Jänner 2005 in Kraft (§ 323 Abs. 16 BAO).

Bei der Wiederaufnahme eines Verfahrens, welches durch einen die Abgaben festsetzenden Bescheid abgeschlossen wurde, spricht § 304 BAO die Festsetzungsverjährung an.

Das Recht, die Erbschaftssteuer festzusetzen, unterliegt nach § 207 Abs. 1 BAO der Verjährung, wobei die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 leg.cit. - von hier nicht interessierenden hinterzogenen Abgaben abgesehen - fünf Jahre beträgt. Diese Verjährung beginnt nach § 208 Abs. 1 lit. a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer unterliegenden Erwerben von Todes wegen beginnt die Verjährung nach § 208 Abs. 2 leg. cit. frühestens mit Ablauf des Jahres, in dem die Abgabenbehörde vom Erwerb oder von der Zweckzuwendung Kenntnis erlangt.

Die Verjährung wurde durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung nach § 209 Abs. 1 BAO in der Stammfassung unterbrochen (und begann mit Ablauf dieses Jahres neuerlich zu laufen) und wird nach § 209 Abs. 1 in der gemäß § 323 Abs. 18 BAO ab 1. Jänner 2005 anzuwendenden Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2004, BGBl. I Nr. 180, durch eine solche Amtshandlung um ein Jahr verlängert.

§ 29 ErbStG räumt dem Steuerpflichtigen lediglich ein Wahlrecht hinsichtlich der Steuerentrichtung ein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 2009, Zl. 2009/16/0196, und vom 30. September 2004, Zl. 2004/16/0035, VwSlg 7.968/F). Ist dieses Wahlrecht einmal ausgeübt und wurde die Steuer demnach festgesetzt, stellen die jährliche Entrichtung der Erbschaftssteuer vom Jahreswert und die damit im Zusammenhang stehenden Buchungsmitteilungen keine Amtshandlungen iSd § 209 Abs. 1 BAO dar, welche auf die Festsetzungsverjährung Einfluss hätten.

War demnach die letzte Unterbrechungshandlung die erwähnte Berufungsentscheidung der damaligen Finanzlandesdirektion vom 13. März 1997, dann war mit Ablauf des Jahres 2002 die Festsetzungsverjährung eingetreten.

Sohin hat die belangte Behörde unbedenklich angenommen, dass im Zeitpunkt des Antrages vom 27. August 2003 auf Wiederaufnahme des Verfahrens die Festsetzungsverjährung bereits eingetreten war.

Da die Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft der das Verfahren abschließenden Berufungsentscheidung der damaligen Finanzlandesdirektion vom 13. März 1997 im Zeitpunkt des Antrages vom 27. August 2003 auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelaufen war, konnte sich der Antrag nicht auf § 304 lit. b BAO stützen.

Die belangte Behörde hat jedoch die Bestimmung des § 304 lit. a BAO übersehen.

Gemäß § 323 Abs. 18 vierter Satz BAO gilt § 209a Abs. 1 und 2 BAO für den Fall der Verkürzung von Verjährungsfristen durch die Neufassungen u.a. des § 304 durch BGBl. I Nr. 57/2004 sinngemäß.

Einer Abgabenfestsetzung, die mit einer Berufungsentscheidung zu erfolgen hat, steht gemäß § 209a BAO der Eintritt der Verjährung nicht entgegen.

Daraus folgt, dass im Zeitpunkt des Antrages vom 27. August 2003 und des Bescheides des Finanzamtes vom 22. September 2003 die Frist des § 304 lit. a BAO noch zehn Jahre betrug. Die Verkürzung dieser Frist durch das StReformG 2005 auf sieben Jahre hatte auf den angefochtenen Bescheid, eine Berufungsentscheidung, noch keine Auswirkung. Da bei Inkrafttreten des § 304 lit. a BAO idF des StReformG 2005 mit 1. Jänner 2005 der Bescheid des Finanzamtes vom 22. September 2003 dem Rechtsbestand angehört hat und dieser Bescheid mittels Berufung angefochten war, bewirkt § 323 Abs. 18 vierter Satz BAO nämlich, dass für die Frist des § 304 lit. a BAO nicht die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltende Bestimmung, sondern in sinngemäßer Anwendung des § 209a Abs. 1 BAO noch die bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides geltende Bestimmung heranzuziehen ist (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 28. April 2011, Zl. 2011/15/0073, und vom 20. Oktober 2009, Zl. 2006/13/0164).

Begann im Beschwerdefall der Lauf der Frist des § 304 lit. a BAO mit Ablauf des Jahres des Entstehens der Erbschaftssteuerpflicht, mit Ablauf des Jahres 1993, endete diese 10jährige Frist somit mit Ablauf des Kalenderjahres 2003. Der im Jahr 2003 gestellte Wiederaufnahmeantrag erweist sich deshalb als zulässig. Dies hat die belangte Behörde verkannt.

Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift darlegt, in dem vom Beschwerdeführer für sich herangezogenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24. Juli 2003 seien weder iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel zu sehen noch sei damit iSd § 303 Abs. 1 lit. c leg.cit. über eine Vorfrage entschieden worden, ist sie darauf hinzuweisen, dass die einem Bescheid fehlende Begründung (im Beschwerdefall: Alternativbegründung) in der Gegenschrift nicht erfolgreich nachgeholt werden kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Februar 2006, Zl. 2002/13/0093, und vom 23. April 2008, Zl. 2004/13/0106).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 29. September 2011

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