VwGH 2007/21/0425

VwGH2007/21/042522.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Andreas Duensing, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 5. September 2007, Zl. Fr 1747/03, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Mai 1996 auf Grund eines Touristenvisums legal nach Österreich ein und stellte am 25. Juni 1996 einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Juli 1996 rechtskräftig abgewiesen. Ein weiterer Asylantrag vom 18. November 1998 wurde vom Bundesasylamt wegen entschiedener Sache zurückgewiesen; die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Mai 2007 als verspätet zurückgewiesen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 29. September 2003 war gegen den Beschwerdeführer ein bis 31. Jänner 2013 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieser Maßnahme lag eine Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 20. Februar 2002 wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 und 148 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren zugrunde. Laut Bescheidbegründung hatte die Schadenssumme der im Dezember 1999 und Jänner 2000 begangenen Straftaten insgesamt ATS 2.680.000,-- betragen.

Im März 2003 wurde der Beschwerdeführer bedingt aus der Strafhaft entlassen. Mit Urteil vom 11. Oktober 2006 wurde er vom Bezirksgericht Klosterneuburg wegen des im September 2003 begangenen Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt.

Mit Eingabe vom 10. Mai 2007 beantragte er die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes und begründete dies einerseits damit, dass die Gründe, die zu dessen Verhängung geführt hätten, bereits längere Zeit zurücklägen und er sich seither wohlverhalten habe, und andererseits mit der am 24. März 2007 geschlossenen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, aus der ein am 19. April 2007 geborener Sohn stamme.

Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften und der Darstellung des Sachverhaltes im Wesentlichen aus, dass gemäß § 87 FPG für den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin hinsichtlich der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes § 86 FPG gelte. Im Verfahren nach § 65 FPG habe der Antragsteller Umstände vorzubringen, die nach der rechtskräftigen Erlassung des Aufenthaltsverbotes eingetreten seien und darauf hinwiesen, dass die Gründe, die zu dieser Maßnahme geführt hätten, sich "drastisch" geändert hätten oder weggefallen seien. Die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr habe sich seit dem Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes aber nicht entscheidend reduziert. Das der ersten Verurteilung zugrundeliegende strafrechtliche Fehlverhalten liege zwar beinahe acht Jahre zurück, doch müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes erneut straffällig geworden sei, indem er gegenüber einem Gendarmeriebeamten vorgegeben habe, beraubt worden zu sein, und somit wissentlich die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung vorgetäuscht habe. Es bestehe die erhebliche Gefahr, dass der Beschwerdeführer auf Grund des bereits gesetzten Verhaltens auch in Zukunft Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung begehen werde und eine Gefährdung für fremdes Vermögen darstelle. Auch das behauptete Wohlverhalten des Beschwerdeführers in den letzten Jahren vermöge nicht entscheidungswesentlich ins Gewicht zu fallen, zumal hinsichtlich der letzten Verurteilung am 11. Oktober 2006 nicht einmal die dreijährige Probezeit abgelaufen sei.

Die Begehung eines schweren Betruges in der das Delikt als Verbrechen qualifizierenden Begehungsform der Gewerbsmäßigkeit stelle eine nachhaltige Gefährdung des öffentlichen Interesses (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte Dritter) dar, die es im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK - unter Hintanstellen der gegenläufigen persönlichen Interessen des Fremden - notwendig mache, gegen ihn ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Die für den Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers könnten das durch sein Fehlverhalten nachteilig beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen. Soweit er geltend mache, dass ihm durch das Aufenthaltsverbot der Kontakt zu seiner Ehegattin und seinem Kind unmöglich gemacht werde, sei zu erwidern, dass die mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Situation für die Angehörigen im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden müsse. Abgesehen davon könne - sollte der Beschwerdeführer nicht von seiner Frau und seinem Kind ins Ausland begleitet werden - ein (wenn auch eingeschränkter) Kontakt durch Besuche im Ausland aufrechterhalten werden. Zu beachten sei auch, dass der Beschwerdeführer seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, zu dem er auf Grund des rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes keinesfalls mit einem Verbleib in Österreich habe rechnen dürfen. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes müssten die persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers, wenn auch deren "Gewichtung" nicht bestritten werden könne, eindeutig hinter die genannten öffentlichen Interessen an der Verhinderung von Straftaten zurücktreten. Diese öffentlichen Interessen seien "bei allem Verständnis" bei weitem höher zu gewichten als die Privatinteressen des Beschwerdeführers. Die von ihm geltend gemachten Gründe reichten für eine positive Anwendung des § 65 FPG nicht aus, da nach wie vor eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit vorliege, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Weiters sei darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens mit 30. Mai 2007 beharrlich der ihn treffenden Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei, sodass von einem Wohlverhalten (im fremdenrechtlichen Sinn) nicht die Rede sein könne. Die belangte Behörde sehe sich daher außerstande, das Aufenthaltsverbot nach § 65 FPG aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) eines Österreichers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0314, und vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0115).

Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 FPG ist, würde durch das Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, dieses zulässig, wenn es zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 2 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer räumt ein, es sei unstrittig, dass sein "Vorleben getrübt" sei und dass ihm der Status eines Flüchtlings nicht zuerkannt worden sei. Dennoch sei die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Nichtgewährung von Asyl wegen der Begehung eines Verbrechens. Der Umstand, dass er kein "besonders schweres Verbrechen" im Sinne dieser Judikatur begangen habe und außerdem eine günstige Zukunftsprognose gegeben sei, sowie die lange Dauer seines Aufenthaltes und die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin sowie das gemeinsame Kind seien im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt worden.

Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum ins Treffen geführten Asylausschlussgrund (rechtskräftige Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens, wenn der Asylwerber wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet) entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht "auch für (ihn) im Hinblick auf das verhängte Aufenthaltsverbot heranzuziehen" ist. Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen gehen daher ins Leere.

Auch sonst ist eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht ersichtlich. Die belangte Behörde hat, wie dargestellt, zutreffend den Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG herangezogen. Es kann ihr nicht entgegengetreten werden, wenn sie angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten weiterhin vom Bestehen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen ist, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters primär daran zu prüfen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0102). Der Zeitraum zwischen der Haftentlassung im März 2003 und der Erlassung des angefochtenen Bescheides im September 2007 war aber zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG schließen zu können, zumal der Beschwerdeführer - was er nicht bestreitet - nach seiner Haftentlassung erneut straffällig geworden und deswegen im Oktober 2006 (wenn auch nur zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen) verurteilt worden ist.

Auch die von der belangten Behörde durchgeführte Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG begegnet keinen Bedenken. Die belangte Behörde hat auf das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich, insbesondere im Hinblick auf das von ihm im Inland geführte Familienleben, Bedacht genommen. Sie ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass die familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich nur eingeschränkt zu seinen Gunsten ausschlagen konnten, weil die Eheschließung und die Geburt des Sohnes zu einem Zeitpunkt erfolgt sind, zu dem dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau bewusst sein musste, dass - im Hinblick auf die erstinstanzliche Abweisung des (zweiten) Asylantrages und das erlassene Aufenthaltsverbot - nicht mit einem Verbleib in Österreich gerechnet werden durfte (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0327, vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0115, vom 27. Mai 2009, Zl. 2006/21/0134, und vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0102, mwN). Im Ergebnis hat die belangte Behörde zu Recht angenommen, dass im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes die negativen Auswirkungen auf seine Lebenssituation überwiegen. Die Trennung von seiner österreichischen Familie ist im öffentlichen Interesse an der Verhinderung von (schweren) Straftaten gegen fremdes Vermögen in Kauf zu nehmen.

Schließlich sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, in Ausübung des ihr gemäß § 65 Abs. 1 iVm § 86 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens von der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen.

Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. März 2011

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