VwGH 2007/01/1275

VwGH2007/01/127514.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der V A in L, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Bahnhofstraße 21, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 11. Oktober 2007, Zl. Ia 370-363/2004, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
StbG 1985 §20 Abs2;
StbG 1985 §20 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 sicherte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zu, dass innerhalb von zwei Jahren ab Rechtskraft dieses Bescheides das Ausscheiden aus dem Verband des bisherigen Heimatstaates nachgewiesen werde. Gleichzeitig sicherte die belangte Behörde dem (damals) minderjährigen Sohn der Beschwerdeführerin die Erstreckung der Verleihung zu.

Am 17. Oktober 2005 legte die Beschwerdeführerin einen Beschluss des Innenministeriums der Republik Serbien vom 29. September 2005 vor, wonach sie und ihr Sohn aus dem Staatsverband der Republik Serbien und Montenegro entlassen wurden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Oktober 2007 widerrief die belangte Behörde die Zusicherung der Verleihung gemäß § 20 Abs. 2 iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (das ist die Fassung BGBl. I Nr. 124/1998, in der Folge: StbG), und wies den Verleihungsantrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 10, 11a, 12, 13, 14 und 64a Abs. 4 StbG ab. Weiters wurde auch hinsichtlich des Sohnes der Beschwerdeführerin die Zusicherung der Erstreckung der Verleihung widerrufen und dessen Erstreckungsantrag gemäß §§ 17 und 18 StbG abgewiesen.

Begründend stützte die belangte Behörde den Widerruf der Zusicherung der Verleihung sowie die nunmehrige Antragsabweisung darauf, dass bestimmte Verleihungsvoraussetzungen nach Erlassung des Zusicherungsbescheides weggefallen seien.

Die gegen den Widerruf der Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die Beschwerdeführerin und die Abweisung ihres Verleihungsantrages gerichtete Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG sei zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht (mehr) vorgelegen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 20 StbG (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 124/1998) lautet auszugsweise:

"(1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist einem Fremden zunächst für den Fall zuzusichern, daß er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

  1. 1. er nicht staatenlos ist;
  2. 2. weder § 10 Abs. 6 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und

    3. ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.

(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

(3) Die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, ist zu verleihen, sobald der Fremde

1. aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder

2. nachweist, daß ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder nicht zumutbar waren.

(4) …"

Mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G 154/10, kundgemacht am 30. November 2011 in BGBl. I Nr. 111/2011, hat der Verfassungsgerichtshof § 20 Abs. 2 StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2006 als verfassungswidrig aufgehoben (I.). Weiters hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. Oktober 2012 in Kraft tritt (II.), die Vorschrift auch auf die am 29. September 2011 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden ist (III.) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (IV.).

Gemäß Art. 140 Abs. 7 B-VG sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden, wenn ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden ist. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.

Auf Grund der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Erstreckung der Anlassfallwirkung ist die Anwendung der Bestimmung des § 20 Abs. 2 StbG im vorliegenden Beschwerdefall ausgeschlossen. Dem auf die aufgehobene Bestimmung gestützten Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Beschwerdeführerin mangelt es demnach an der gesetzlichen Grundlage, sodass sich der angefochtene Bescheid in diesem Umfang als inhaltlich rechtswidrig erweist (vgl. in diesem Sinne zu § 120 FPG das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2011/21/0056, mwN).

Der Verfassungsgerichtshof hat in den Erwägungsgründen des zitierten Erkenntnisses vom 29. September 2011 ausgeführt, "dass § 20 Abs. 3 StbG, wonach die Staatsbürgerschaft, deren Verleihung zugesichert wurde, zu verleihen ist, sobald der Fremde aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausgeschieden ist oder nachweist, dass ihm die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen nicht möglich oder zumutbar waren, nach der bereinigten Rechtslage nunmehr so zu lesen ist, dass der Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides für die Beurteilung der Verleihungsvoraussetzungen bestimmend ist. Da es der Staatsbürgerschaftsbehörde auf Grund der bereinigten Rechtslage nach Aufhebung des § 20 Abs. 2 StbG verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Voraussetzungen abzusprechen, hat sie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft nur noch darüber abzusprechen, ob der Staatsbürgerschaftswerber die gemäß § 20 Abs. 3 StbG vorgesehenen Erfordernisse erfüllt" (Rz. 30 und 31).

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich der Ansicht, wonach es der Behörde nach der bereinigten Rechtslage verwehrt ist, nochmals über die bereits bejahten Verleihungsvoraussetzungen abzusprechen, an. Damit erweist sich der angefochtene Bescheid auch im Umfang der Abweisung des Verleihungsantrages der Beschwerdeführerin als inhaltlich rechtswidrig (vgl. die hg. Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2007/01/0226 und Zl. 2008/01/0584).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 14. Dezember 2011

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