VwGH 2006/13/0087

VwGH2006/13/008728.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des B in K, vertreten durch Dr. Angela Lenzi, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 61/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 5. April 2006, Zl. RV/0539-W/06, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2003, zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
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Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der unselbständig beschäftigte Beschwerdeführer beantragte in seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2003 u. a. die Berücksichtigung von Kosten für Familienheimfahrten von seinem neuen Beschäftigungsort in Klagenfurt an seinen Wohnort in Wien in der zweiten Jahreshälfte.

Im Einkommensteuerbescheid vom 9. November 2004 berücksichtigte das Finanzamt diese Kosten bis zur gesetzlichen Höchstgrenze (also nicht zur Gänze), versagte dem Beschwerdeführer aber die Berücksichtigung anderer im Zusammenhang mit der doppelten Haushaltsführung von ihm geltend gemachter Kosten.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2004 Berufung.

Das Finanzamt pflog in der Folge Ermittlungen im Zusammenhang auch damit, dass der Beschwerdeführer nicht nur einen Wohnsitz an seinem neuen Beschäftigungsort begründet, sondern auch seinen Wohnsitz in Wien verlegt hatte, womit ein Teil der von ihm geltend gemachten, nicht die Familienheimfahrten betreffenden Kosten zusammenhing. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde aktenkundig, dass es sich bei der neuen Wohnung des Beschwerdeführers in Wien um die Nachbarwohnung der Wohnung seiner Mutter handelte, der Beschwerdeführer auch an deren Adresse (als Nebenwohnsitz) gemeldet und umgekehrt die Mutter des Beschwerdeführers im Streitjahr an dessen früherer Adresse in Wien (als Nebenwohnsitz) gemeldet gewesen war (Meldeauskünfte vom 3. Oktober 2005, AS 58- 59). Aktenkundig wurde auch, dass es sich bei der Mutter des Beschwerdeführers um eine zu 100 % behinderte Pflegegeldbezieherin handelte (Ausdrucke aus diesbezüglichen Datenbanken vom selben Tag, AS 62-63). Am 30. November 2005 wurde auch ein Ausdruck des hg. Erkenntnisses vom 27. Mai 2003, 2001/14/0121, zum Akt genommen, wonach ein gewichtiger Grund für die Beibehaltung des bisherigen Familienwohnsitzes u.a. darin liegen könne, dass dort ein pflegebedürftiger Angehöriger zu betreuen sei (AS 82).

Ein mit 6. Dezember 2005 datierter Entwurf für eine Berufungsvorentscheidung, in der die Fahrtkosten zur Gänze nicht mehr anerkannt wurden, samt der im selben Schriftstück enthaltenen Begründung wurde am 19. Dezember 2005 unterfertigt. Dem Beschwerdeführer ging eine mit 12. Jänner 2006 datierte, automationsunterstützt ausgefertigte Berufungsvorentscheidung zu, in der die erstinstanzliche Entscheidung zu seinem Nachteil abgeändert wurde. An Begründungselementen enthielt dieser Bescheid nur die Wiederholung eines Satzes aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, in dem auf den Selbstbehalt bei außergewöhnlichen Belastungen (geringfügige Krankheitskosten des Beschwerdeführers) verwiesen worden war. Dem folgte in der Bescheidausfertigung der Satz, die "zusätzliche" Begründung zu diesem Bescheid werde dem Beschwerdeführer gesondert zugehen. Dass ein solches Schriftstück hergestellt und abgefertigt worden wäre, ist den vorgelegten Akten nicht entnehmbar.

Mit Schriftsatz vom 24. Jänner 2006 beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. In diesem Schriftsatz führte er u.a. aus:

"Die Abgabenbehörde erster Instanz ließ ihre Berufungsvorentscheidung (abgesehen von der Wiederholung der Begründung für außer Streit stehende außergewöhnliche Belastungen) absolut unbegründet, sodaß diese Entscheidung schon alleinig deshalb mit Rechtswidrigkeit behaftet ist."

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen, ohne weiteres Ermittlungsverfahren erlassenen Bescheid als unbegründet ab und sprach aus, der Bescheid vom 9. November 2004 bleibe "unverändert". In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. aus, dem Beschwerdeführer stehe keine Berücksichtigung von Kosten für Familienheimfahrten zu. Die angefochtene Entscheidung endet mit dem Satz, die Berechnung der Werbungskosten stelle sich "wie folgt dar", nämlich so, dass statt des im Bescheid vom 9. November 2004 berücksichtigten Betrages ("bisher") von EUR 1.242,00 nur mehr ("neu") ein Betrag von EUR 324,00 zu berücksichtigen und somit "spruchgemäß zu entscheiden" gewesen sei. Es folgt noch ein Berechnungsblatt, in dem das Einkommen und die Einkommensteuer wie in der Berufungsvorentscheidung und somit entsprechend höher festgesetzt werden als im Bescheid vom 9. November 2004.

Im Sachverhalt ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer habe seinen Familienwohnsitz schon im Sommer 2003 an die Adresse seiner Unterkunftgeberin in Klagenfurt verlegt, mit der er später - im Jahr 2005 - eine Lebensgemeinschaft begründet habe. Die Mutter des Beschwerdeführers kommt in der Entscheidung nur im Zusammenhang damit vor, dass die nunmehrige Lebensgefährtin des Beschwerdeführers im Jahr 2005 an der Adresse seiner Mutter in Wien (als Nebenwohnsitz) angemeldet worden sei. Von der aktenkundigen Behinderung und Pflegebedürftigkeit der Mutter des Beschwerdeführers ist nicht die Rede. Dem Beschwerdeführer wird entgegengehalten, der schon ähnlich argumentierenden Begründung der Berufungsvorentscheidung komme die Wirkung eines Vorhalts des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes zu und im Vorlageantrag habe er "keinerlei neue Sachargumente vorgebracht". Seine Behauptung, ihm sei außer der Wiederholung des Satzes über die außergewöhnlichen Belastungen keine Begründung der Berufungsvorentscheidung zugegangen, bleibt unerwähnt.

Schließlich vertritt die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht noch u.a. die Auffassung, die Beibehaltung des Wohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes müsse "beruflich veranlasst" sein, um die Geltendmachung von Kosten aus der doppelten Haushaltsführung zu rechtfertigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die zuletzt erwähnte Rechtsansicht der belangten Behörde widerspricht, wie die Beschwerde zutreffend rügt, der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. In Bezug auf die Beibehaltung des Familienwohnsitzes verweist der Verwaltungsgerichtshof seit dem Erkenntnis vom 9. Oktober 1991, 88/13/0121, in ständiger Rechtsprechung darauf, dass sie nie durch die in unüblicher Entfernung davon ausgeübte Erwerbstätigkeit veranlasst werde und die Unzumutbarkeit einer Wohnsitzverlegung ihre Ursachen u.a. in der privaten Lebensführung haben könne. Seit demselben Erkenntnis vertritt der Verwaltungsgerichtshof auch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich aus der Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen ein gewichtiger Grund für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes ergeben könne (vgl. in diesem Sinn seither etwa auch die Erkenntnisse vom 26. November 1996, 95/14/0124, VwSlg 7144/F, vom 27. Mai 2003, 2001/14/0121, VwSlg 7827/F, und vom 20. September 2007, 2006/14/0038, VwSlg 8265/F).

Im vorliegenden Fall enthalten schon die Notizen über ein Telefonat mit dem Beschwerdeführer, das der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom 9. November 2004 vorausging und auf das in dessen Begründung u.a. verwiesen wurde, einen Hinweis auf den Pflegegeldbezug seiner Mutter (AS 5). Anlass dazu, die Familienheimfahrten in seiner Berufung besonders zu rechtfertigen, hatte der Beschwerdeführer angesichts ihrer Berücksichtigung in diesem Bescheid zunächst nicht. Für die Berechtigung der Annahme, ihm sei später eine "ergänzende händische Bescheidbegründung zur Berufungsvorentscheidung" zugegangen, wie die belangte Behörde in der Gegenschrift meint, findet sich in den vorgelegten Akten kein Indiz, aber auf die zu diesem Zeitpunkt längst aktenkundige Pflegebedürftigkeit der Mutter des Beschwerdeführers und den Umstand, dass er in Wien nun die Nachbarwohnung bezogen hatte, war auch in der Begründung der am 19. Dezember 2005 unterfertigten Berufungsvorentscheidung nicht eingegangen worden. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema hätte der Beschwerde zufolge u. a. ergeben, dass die Mutter des Beschwerdeführers abgesehen von ihren körperlichen Behinderungen seit dem Tod ihrer Tochter auch schwerst depressiv gewesen sei, worüber sich die belangte Behörde mit dem Hinweis in der Gegenschrift, der Beschwerdeführer sei "dienstags bis freitags gar nicht in Wien" gewesen und habe daher nicht "für die tägliche Pflege verantwortlich" sein können, zu Unrecht hinwegsetzt.

Das alles tritt freilich in den Hintergrund angesichts des Umstandes, dass die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid vom 9. November 2004 im Spruch "unverändert" bestätigt und in der Begründung breit dargelegt hat, dass und wie er abzuändern sei. Ein Bescheid, dessen Begründung seinem Spruch widerspricht, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes inhaltlich rechtswidrig (vgl. nur beispielsweise etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2005, 2001/13/0241, und vom 17. November 2008, 2008/17/0135).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 28. September 2011

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