Normen
ASVG §111 Abs1;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §4 Abs1 lita;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4 lita;
EMRK Art6 Abs3 litc;
VStG §51a Abs1;
VwRallg;
ASVG §111 Abs1;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §4 Abs1 lita;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4 lita;
EMRK Art6 Abs3 litc;
VStG §51a Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis vom 28. Oktober 2009 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe es als Arbeitgeber im Rahmen seiner Gewerbeberechtigungen "Verspachteln von bereits montierten Gipskartonplatten" und "Stukkateure und Trockenausbauer" mit Standort in Wien 10. unterlassen, die am 9. Mai 2009 gegen 09.25 Uhr auf der Baustelle "Reihenhausanlage" von ihm beschäftigten Dienstnehmer polnischer Staatsangehörigkeit MB. und RF. vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger als Voll- oder Teilversicherte anzumelden. Wegen Übertretung des § 111 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG wurden über den Beschwerdeführer zwei Geldstrafen, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zwei Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und ein erstinstanzlicher Verfahrenskostenbeitrag in der Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe zur Zahlung vorgeschrieben.
Nach Zustellung des Straferkenntnisses am 2. November 2009 stellte der Beschwerdeführer schriftlich innerhalb der Berufungsfrist einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Berufung gegen den genannten erstinstanzlichen Bescheid und schloss diesem ein Vermögensverzeichnis an.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 51a Abs. 1 VStG abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag damit begründet, dass er nicht regelmäßig in Österreich aufhältig sei und sich nur schwer in deutscher Sprache verständigen könne. Darüber hinaus seien "in letzter Zeit offenbar richtungsweisende Entscheidungen des EuGH zur Frage der Ausländerbeschäftigung in Österreich ergangen". Die erstinstanzliche Behörde sei vom bisherigen Verständnis der Unterscheidung zwischen Dienstnehmer und Werkunternehmer abgewichen. Diese Frage bereite schon deshalb besondere Schwierigkeiten, weil dazu höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Ein Verfahrenshilfeverteidiger dürfe - so die belangte Behörde weiter - nur dann beigegeben werden, wenn beide Voraussetzungen, nämlich die Mittellosigkeit und die Erforderlichkeit im Interesse der Rechtspflege kumulativ vorlägen. Der Beschuldigte müsse mittellos sein und die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers müsse als notwendig erscheinen. Gründe für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers seien - abgesehen von der Mittellosigkeit des Antragstellers - besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei (wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohenden Strafe).
Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er über ein jährliches Reineinkommen in der Höhe von EUR 10.557,98 verfüge. Er sei ledig, habe ein geringes Vermögen und Schulden iHv EUR 5.000,-- . Mit diesem Vorbringen habe er keineswegs dargetan, dass er außerstande sei, ohne Beeinträchtigung des für ihn oder seine Familie zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen. Auch fehle es an der zweiten unabdingbaren Voraussetzung, nämlich dem Vorliegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage. Der Umstand, dass sich der Antragsteller nicht regelmäßig in Österreich aufhalte, müsste diesen lediglich dazu veranlassen, einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Sprachliche Schwierigkeiten begründeten keine Erforderlichkeit der Gewährung der Verfahrenshilfe im Interesse der Verwaltungsrechtspflege, weil der Beschwerdeführer Anspruch auf die Beistellung eines Dolmetschers habe. Betrachte man das erstinstanzliche Verfahren und die darin getroffenen Feststellungen, so sei im Lichte der bisherigen Rechtsprechung abzusehen, dass - allenfalls nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unter Beiziehung des Berufungswerbers und von Zeugen - einfach zu klären sei, ob die Voraussetzungen der Strafbarkeit vorlägen oder nicht. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer selbst viele Argumente zusammengetragen, mit denen er versuche darzulegen, dass die verhängte Strafe ungerechtfertigt sei. Dies zeige, dass er Rechtskenntnisse besitze, die über die vieler anderer Rechtsmittelwerber hinausgingen. Der Beschwerdeführer sei in der Lage, seinen Standpunkt vor der belangten Behörde auch ohne anwaltlichen Beistand darzulegen. Von einer im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung könne keine Rede sein. Eine besondere Tragweite des Rechtsfalles sei angesichts der über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafen nicht ersichtlich.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat der unabhängige Verwaltungssenat gemäß § 51a Abs. 1 VStG auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Verwaltungsrechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist.
Die erstgenannte Voraussetzung liegt nach dem im Verwaltungsakt erliegenden Vermögensbekenntnis des Beschwerdeführers (monatliches Nettoeinkommen ca. EUR 880,--, Schulden bei der BUAK EUR 5.000,--), das dem im Verfahrenshilfeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Vermögensbekenntnis entspricht, vor.
Zusätzlich muss aber die Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich sein. § 51a VStG, der die sich aus Art. 6 EMRK ergebenden Anforderungen an das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich der Gewährung der Verfahrenshilfe im nationalen Recht umsetzen soll, ist schon im Hinblick auf die gebotene verfassungskonforme Interpretation im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auszulegen (vgl. darüber hinaus den ausdrücklichen Verweis auf die Erfordernisse des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Novelle zum VStG BGBl. Nr. 358/1990, 1090 BlgNR 17. GP, 18). Nach der Rechtsprechung des EGMR sind bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Beigebung eines Verfahrenshelfers im Zusammenhang mit dem Kriterium der "zweckentsprechenden Verteidigung" primär die Bedeutung und Schwere des Delikts und die Schwere der drohenden Sanktion zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist insbesondere die Komplexität des Falles ausschlaggebend, wobei auf die Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art (hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung) Bedacht zu nehmen ist (vgl. das auf das Urteil des EGMR vom 24. Mai 1991, Nr. 12744/87, Quaranta, §§ 33 und 34, Bezug nehmende hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2009/17/0095).
Geht es um den Entzug der persönlichen Freiheit, so ist - falls der Betroffene nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistandes verfügt - die Beigebung eines Verfahrenshelfers geboten (vgl. das Urteil des EGMR vom 10. Juni 1996 im Fall Benham gegen das Vereinigte Königreich, ÖJZ 1996/36/MRK). Bei der Beurteilung der Interessen der Verwaltungsrechtspflege ist vor allem auf die zweckentsprechende Verteidigung Bedacht zu nehmen. Als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers werden besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei (wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohenden Strafe) zu berücksichtigen sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 1999, Zl. 97/09/0055, mwN).
Aus dem in den vorgelegten Verwaltungsakten erliegenden Strafbescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 28. Oktober 2009 ergibt sich, dass über den Beschwerdeführer wegen Verletzung von Meldepflichten (§ 111 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG) zwei Geldstrafen zu je EUR 730,--, zusammen EUR 1.460,--, und im Fall der Uneinbringlichkeit zwei Ersatzfreiheitsstrafen von je zwei Tagen, zusammen vier Tage verhängt worden sind. An Kosten des Strafverfahrens sind EUR 146,-- zu bezahlen.
In dem dem Verfahrenshilfeantrag zu Grunde liegenden Beschwerdefall geht es im Wesentlichen um die Frage, ob zwischen dem Beschwerdeführer und den beiden als Trockenbauer bzw. Verspachtler tätigen polnischen Staatsanghörigen versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen sind, sodass der Beschwerdeführer die beiden Personen gemäß § 33 Abs. 1 ASVG vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger hätte anmelden müssen.
Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ist im vorliegenden Fall die Beigebung eines Verteidigers geboten, weil es sich bei den zu lösenden Rechtsfragen (insbesondere bei der Abgrenzung zwischen einem Dienstvertrag und anderen mit den Trockenbauern bzw. Verspachtlern allenfalls bestehenden Rechtsverhältnissen) nicht um solche einfacher Natur handelt. Für eine ausreichende Beurteilung dieser Fragen reicht das Alltagswissen eines Gewerbetreibenden - insbesondere was die Abgrenzung zwischen einem Dienstvertrag und einem freien Dienstvertrag betrifft - nicht aus. Die letztgenannte Abgrenzung ist im Beschwerdefall deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Innehabung eines Gewerbescheins beim freien Dienstvertrag die Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 lit. a ASVG ausschlösse. Der Beschwerdeführer wäre ohne anwaltlichen Beistand voraussichtlich nicht oder nicht in ausreichendem Maß in der Lage, vor dem unabhängigen Verwaltungssenat seinen Standpunkt darzulegen und sich in zweckentsprechender Weise zu vertreten. Dies hat die belangte Behörde verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Der beantragte Ersatz der Beschwerdegebühr entbehrt der Rechtsgrundlage (Verfahrenshilfe).
Wien, am 30. Juni 2010
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