VwGH 2009/21/0350

VwGH2009/21/035029.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des J, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 7. Oktober 2009, Zl. BMI-1002025/0004-II/3/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §48 Abs3;
TilgG 1972 §2 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §48 Abs3;
TilgG 1972 §2 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die im Devolutionsweg zuständig gewordene belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Gambia, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. In dieser Angelegenheit befindet sich der Beschwerdeführer bereits im zweiten Rechtsgang vor dem Verwaltungsgerichtshof. Im ersten Rechtsgang wurde der einen inhaltsgleichen Ausspruch treffende Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. März 2007 mit hg. Erkenntnis vom 2. April 2009, Zl. 2007/18/0178, dem die Einzelheiten dieses Verfahrens entnommen werden können, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründend stützte sich die belangte Behörde im nunmehr angefochtenen Bescheid darauf, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. November 2004 wegen teils versuchten, teils vollendeten Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden sei. Diese Freiheitsstrafe (Vorhaft vom 18. Juli bis zum 3. November 2004 war angerechnet worden) habe er bis zu seiner bedingten Entlassung am 18. März 2005 teilweise verbüßt. Er sei schuldig erkannt worden, am 18. Juli 2004 zwei Kugeln Kokain mit einer Gesamtmenge von 0,9 g an zwei Personen um EUR 40,-- verkauft zu haben. Weiters habe er in den letzten fünf Monaten vor dem 18. Juli 2004, über rund 22 Wochen hinweg, wöchentlich etwa 10 Kugeln Kokain/Heroin mit einer Gesamtmenge von zumindest 88 g weiterverkauft und bei seiner Verhaftung 2,4 g Kokain, 4,6 g Heroin sowie 0,4 g Kokain/Heroin zum Zweck des unmittelbaren Weiterverkaufs bei sich getragen und diese Kugeln im Zuge der Festnahme verschluckt. Dadurch habe er das Verbrechen des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels mit großen Mengen verwirklicht. Das Strafgericht habe angesichts des relativ langen Zeitraums der Strafbegehung ausgeführt, dass jeder Gedanke an auch nur eine teilbedingte Strafnachsicht zu verwerfen sei. Ein solches Verhalten stelle, so argumentierte die belangte Behörde weiter, eine tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, sodass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorliegen. Das "vierjährige Wohlverhalten" nach der Haftentlassung sei zu gering, um von einer Läuterung ausgehen zu können.

Der Beschwerdeführer sei am 27. April 2000 über Italien nach Österreich eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Dieser sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Oktober 2000 abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe am 5. Oktober 2001 eine dagegen erhobene Berufung zurückgezogen, nachdem er am 16. Juli 2001 die österreichische Staatsbürgerin S. geheiratet habe. Hierauf gestützt seien ihm wiederholt Niederlassungsbewilligungen (zuletzt für die Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2014) erteilt worden. Die genannte Ehe sei jedoch mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6. Juli 2007 aus dem alleinigen Verschulden des Beschwerdeführers geschieden worden. In der Folge habe er laut eigenen Angaben bei seiner in Österreich lebenden Schwester, die über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfüge und auch für seinen Unterhalt aufkomme, gewohnt. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2000 einen Deutschkurs besucht und sei mehrmals berufstätig (2003 und 2004 "im Afroshop", 2005 bis 2007 bei der MA 42 der Stadt Wien, 2008 "im Zuge der Viennale"), im Jahr 2009 jedoch ohne Beschäftigung gewesen.

Dem Beschwerdeführer sei somit, insbesondere unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltsdauer, "ein gewisses Maß" an Integration in Österreich zuzubilligen. Diese werde jedoch durch das dargestellte strafbare Verhalten (lange Zeit hindurch gewerbsmäßig erfolgtes Inverkehrsetzen von harten Drogen in einer relativ großen Menge, gekennzeichnet durch äußerst professionelles Vorgehen, wie Aufbewahrung von Suchtgiftkugeln im Mund sowie deren Verschlucken anlässlich einer Polizeikontrolle) massiv beeinträchtigt. Da ein - an sich bereits gefährliches - Drogendelikt mit besonderer krimineller Energie und professionellem Verhalten fortgesetzt worden sei, sei von einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen. Die öffentlichen Interessen an der Verhängung des Aufenthaltsverbotes (Schutz des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich sowie Verhinderung strafbarer Handlungen, also zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen) wögen somit schwerer als die Auswirkungen der Maßnahme auf die konkrete Lebenssituation des Beschwerdeführers. Dieser habe in Gambia zehn Jahre lang die Schule besucht und verfüge im Heimatstaat über Angehörige (Mutter sowie zwei Brüder und drei Schwestern, zu denen ein unterbrochener Kontakt wieder aufgebaut werden könnte), sodass er sich auch dort wieder integrieren könne. Gründe für eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers seien nicht ersichtlich. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein positiver Gesinnungswandel in Bezug auf die Einstellung des Beschwerdeführers zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Als bestimmte Tatsache iSd § 60 Abs. 1 FPG hat gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Im Hinblick auf das beschriebene, zur strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers führende Fehlverhalten kann der Auffassung der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Zu Recht wies die belangte Behörde auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtmittelkriminalität hin und betonte dabei fallbezogen das lange Zeit berechnend und planmäßig fortgesetzte gewerbsmäßige Verhalten in Bezug auf eine relativ große Menge auch an besonders gefährlichen Drogen wie Heroin.

Soweit die Beschwerde die Vornahme der im ersten Rechtsgang mit hg. Erkenntnis vom 2. April 2009, Zl. 2007/18/0178, aufgetragenen Prüfung nach den §§ 87 und 86 Abs. 1 FPG (insbesondere also zum Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) vermisst, übersieht sie die auf Grund der unstrittig erfolgten Scheidung der davor mit einer österreichischen Staatsbürgerin bestehenden Ehe des Beschwerdeführers eingetretene Sachverhaltsänderung. Auch liegt - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - nach dem Inhalt der wiedergegebenen strafgerichtlichen Verurteilung kein "einmaliges Fehlverhalten", sondern ein über einen längeren Zeitraum hinweg fortgesetztes Verbrechen vor. Ebenso ist die Beschwerde nicht im Recht, wenn sie den Beginn der Tilgungsfrist mit dem Datum der erwähnten strafgerichtlichen Verurteilung (3. November 2004) ansetzt. Gemäß § 2 Abs. 1 des Tilgungsgesetzes 1972 iVm § 48 Abs. 3 StGB begann diese nämlich erst mit dem Datum der bedingten Entlassung des Beschwerdeführers zu laufen.

Weiters ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie nicht an seinem Verhalten in der Haft, sondern daran zu prüfen ist, innerhalb welches Zeitraumes er sich in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. September 2007, Zl. 2007/18/0171, mwN). Im Hinblick auf das massive, planmäßige und gewerbsmäßige Vorgehen während eines längeren Zeitraumes erscheint die seither verstrichene Zeit noch zu kurz, um auf einen Wegfall oder zumindest eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können.

Was die Beurteilung nach § 66 FPG (idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) anlangt, so ging die belangte Behörde ohnehin davon aus, dass mit dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dabei berücksichtigte sie insbesondere den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (seit 27. April 2000), die vorübergehenden Berufstätigkeiten, den Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache und die Wohngemeinschaft mit seiner in Österreich aufenthaltsberechtigten Schwester. Diese - auch in der Beschwerde hervorgehobenen - Umstände reichen jedoch nicht aus, um die Beurteilung der belangten Behörde, der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei angesichts seines Fehlverhaltens zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (insbesondere zum Schutz der Gesundheit anderer Personen) dringend erforderlich, als verfehlt erscheinen zu lassen. Die mit einem wirtschaftlichen Neubeginn im Heimatstaat verbundenen Schwierigkeiten müssen angesichts der von ihm nach wie vor ausgehenden Gefährlichkeit in Kauf genommen werden. Soweit der Beschwerdeführer ins Treffen führt, seine Familie in Gambia hätte, nachdem und weil er sein Heimatland verlassen habe, mit ihm gebrochen, ist ihm zu entgegnen, dass die Trennung als Folge der Ausreise von ihm selbst ausgegangen ist. Auch ist nicht ersichtlich, warum die unterbrochenen Beziehungen nicht wiederherstellbar sein sollten.

Soweit die Beschwerde schließlich mit dem Vorliegen eines neuen Dienstverhältnisses (laut Vermögensbekenntnis "Angest/freier

Dienstnehmer ... bei Viennale") argumentiert, ist hierauf schon

als unzulässige Neuerung nicht inhaltlich einzugehen.

Die unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. April 2010

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