VwGH 2009/18/0527

VwGH2009/18/052721.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über den Antrag des Ö I in W, geboren am 5. Jänner 1975, vertreten durch Dr. Helge Doczekal, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 3, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates vom 5. November 2009, Zl. UVS-FRG/4/7140/2009-23, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Begründung

I.

1. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 übermittelte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den an ihn adressierten Schriftsatz des Antragstellers, eines türkischen Staatsangehörigen, mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid dieser Behörde vom 5. November 2009, mit dem gegen den Antragsteller gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war. Dieser Schriftsatz, dem (u.a.) ein Vermögensbekenntnis des Antragstellers und eine Kopie des anzufechtenden Bescheides als Beilagen angeschlossen waren und worin angegeben ist, dass der Bescheid am 5. November 2009 zugestellt worden sei, langte am 29. Dezember 2009 beim Verwaltungsgerichtshof ein und wurde zur hg. Zahl VH 2009/18/0224 protokolliert.

2. Im vorliegenden - entgegen der Bestimmung des § 24 Abs. 1 VwGG lediglich in einfacher Ausfertigung - am 30. Dezember 2009 zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrag brachte der Antragsteller vor, dass sein Rechtsvertreter auf Grund der Mitteilung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. Dezember 2009, die jenem am 29. Dezember 2009 zugestellt worden sei, davon Kenntnis erlangt habe, dass der an den Verwaltungsgerichtshof zu richtende Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 15. Dezember 2009 irrtümlich an die genannte Verwaltungsbehörde adressiert worden sei und im Hinblick darauf die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den obgenannten Berufungsbescheid vom 5. November 2009 verstrichen sei. Sein Rechtsvertreter habe den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe rechtzeitig vor Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist diktiert und (hiebei) ausdrücklich als Adressaten den Verwaltungsgerichtshof angeführt. Der Schriftsatz selbst sei vorerst von der langjährigen Sekretärin H. zur Korrektur vorgelegt und vom Rechtsvertreter genehmigt worden, wobei der Auftrag erteilt worden sei, "den Schriftsatz mit der Rubrik, gerichtet an den Verwaltungsgerichtshof Wien, zu ergänzen". Nun habe die bislang äußerst zuverlässige und "fehlerlose" Sekretärin durch fälschliche Bedienung der EDV des Rechtsvertreters eine Rubrik eingefügt, bei der als Adressat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien aufscheine. Dies sei für den Rechtsvertreter unvorhersehbar gewesen, und er habe die Eingabe mit dem Wissen unterfertigt, dass diese ohnehin bereits zur Korrektur vorgelegt worden sei. Die Rubrik sei auch mit keiner Geschäftszahl des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien versehen, was darauf hinweise, dass die Rubrik tatsächlich von der Sekretärin irrtümlich mit dem falschen Adressaten ausgedruckt worden sei, zumal bei einer Rubrik mit dem Verwaltungsgerichtshof als Adressaten eine Geschäftszahl nicht anzubringen gewesen wäre. Dieser Vorfall sei einmalig und bisher noch nie geschehen.

Der Antragsteller sei daher durch ein unvorhersehbares Ereignis daran gehindert gewesen, die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den obgenannten Berufungsbescheid einzuhalten.

II.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger hg. Judikatur ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen innerhalb jenes Rahmens zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gedeckt wird. Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten ist dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Bediensteten nachgekommen ist. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung und Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Der Verwaltungsgerichtshof geht jedoch in ständiger Rechtsprechung auch davon aus, dass der Rechtsanwalt nur rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen darf, ohne die gebotene Sorgfaltspflicht (Überwachungspflicht) zu verletzen. Hingegen ist für den Inhalt der von ihm unterfertigten Schriftsätze der Vertreter verantwortlich (vgl. zum Ganzen etwa den Beschluss vom 21. Februar 2005, Zl. 2004/17/0242, mwN).

Dem Antragsvorbringen zufolge hat der Rechtsvertreter des Antragstellers den von ihm (dem Rechtsvertreter) - mit der ausdrücklichen Anführung des Verwaltungsgerichtshofes als Adressaten - diktierten Schriftsatz (Verfahrenshilfeantrag) nach Vorlage zur Korrektur genehmigt und dabei seiner langjährigen, äußerst zuverlässigen und "fehlerlosen" Sekretärin H. den Auftrag erteilt, den Schriftsatz "mit der Rubrik, gerichtet an den Verwaltungsgerichtshof Wien, zu ergänzen". In weiterer Folge habe jedoch H. durch "fälschliche Bedienung der EDV" eine Rubrik eingefügt, bei der als Adressat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien aufscheine. Dies sei für den Rechtsvertreter unvorhersehbar gewesen. Dieser habe die Eingabe mit dem Wissen unterfertigt, dass diese ohnehin bereits zur Korrektur vorgelegt worden sei.

Aus diesem Antragsvorbringen geht somit hervor, dass der Rechtsvertreter einen fristgebundenen Schriftsatz nach Ergänzung und Vervollständigung durch seine Sekretärin unterfertigte, ohne diesen in Bezug auf diese Vervollständigung zu kontrollieren. Maßgebliche Rechtsfrage ist daher im vorliegenden Fall, welche Sorgfalt der Parteienvertreter selbst bei der Unterfertigung eines Schriftsatzes aufzuwenden hat und inwieweit er die ihm zur Unterschrift vorgelegten Schriftsätze zu kontrollieren hat.

Gerade bei fristgebundenen Eingaben kommt der richtigen Adressierung des Schriftstückes eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Kontrolle eines solchen Schriftsatzes und seiner Unterfertigung durch den Rechtsvertreter ist daher eine besondere Sorgfalt geboten (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2008, Zl. 2007/06/0330).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur bereits wiederholt ausgeführt, dass etwa dann, wenn ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, dies nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 99/06/0132, mwN). Einem solchen Verhalten ist eine Vorgangsweise gleichzuhalten, bei der ein berufsmäßiger Parteienvertreter die Ergänzung bzw. Vervollständigung eines von ihm diktierten und bereits kontrollierten, fristgebundenen Schriftsatzes einer Kanzleiangestellten überlässt und ihn sodann ohne eine diesbezügliche Kontrolle unterfertigt, zumal gerade bei Verwendung eines EDV-Systems durch Kanzleikräfte für die Vorbereitung oder Vervollständigung solcher Schriftsätze Fehlbedienungen von Kanzleiangestellten nicht ausgeschlossen sind (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom 29. Mai 2008, Zl. 2008/07/0085, mwN).

Indem der Rechtsvertreter des Antragstellers seiner Sekretärin die Vervollständigung des fristgebundenen Verfahrenshilfeantrages überließ und diesen Schriftsatz unterfertigte, ohne ihn auf die Vervollständigung zu kontrollieren, nahm er die genannte Fehlermöglichkeit in Kauf, sodass ihm ein Verschulden an der Fristversäumung anzulasten ist, das den Grad eines bloßen Versehens im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG übersteigt.

Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher nicht stattgegeben werden.

Wien, am 21. Jänner 2010

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