VwGH 2009/18/0242

VwGH2009/18/024225.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der T in Wien, geboren am 2. Dezember 1973, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Mai 2009, Zl. E1/8.289/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 7. Mai 2009 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine weißrussische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Laut Ausführungen der belangten Behörde seien die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides im Ergebnis auch für die angefochtene Entscheidung maßgebend gewesen. Ergänzend werde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin von 19. Februar 2002 bis 31. Mai 2004 über Aufenthaltstitel zum Zweck der Ausübung der Prostitution verfügt habe. Am 26. März 2004 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und - darauf gestützt - die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beantragt. Der Verdacht einer Scheinehe habe nicht erwiesen werden können.

Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 27. Juli 2005 sei die Beschwerdeführerin nach den §§ 278 Abs. 1 und 217 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die (vom Obersten Gerichtshof) auf sechs Monate (unbedingt) herabgesetzt worden sei, rechtskräftig verurteilt worden. Die Beschwerdeführerin sei für schuldig erkannt worden, als Mitglied einer kriminellen Organisation grenzüberschreitend Prostitutionshandel betrieben zu haben. Sie habe in einem mehrjährigen Zeitraum Frauen aus Weißrussland für ein Bordell in Österreich angeworben. Die Beschwerdeführerin, die im genannten Bordellbetrieb zunächst als Prostituierte tätig gewesen sei und dann auf Grund ihres Alters diese Tätigkeit aufgegeben habe, habe ihren Beitrag zur kriminellen Organisation dadurch geleistet, dass sie auf Grund ihrer Tätigkeit als Prostituierte auch in ihrer Heimat über wichtige Kontakte verfügt habe, die sie zum Anwerben der Mädchen für das Bordell nutzen habe können.

Dieses Urteil erfülle nicht nur den in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Tatbestand, das dargelegte Gesamt(fehl)verhalten der Beschwerdeführerin gefährde auch maßgebliche öffentliche Interessen tatsächlich, gegenwärtig und erheblich und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - "im Grunde des § 87 Abs. 1" FPG gegeben seien.

Die Beschwerdeführerin sei verheiratet und habe keine Sorgepflichten, sonstige familiäre Bindungen zum Bundesgebiet bestünden nicht. Sie gehe seit einem Jahr einer durchgehenden Erwerbstätigkeit nach. Es sei somit von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, zur Aufrechterhaltung eines geordneten Prostitutions- und Fremdenwesens - dringend geboten sei. Wer, wie die Beschwerdeführerin, wenn auch in untergeordneter Rolle, gleichsam seit Beginn seines Aufenthaltes an einer kriminellen Organisation mitwirke, Fremde im Ausland zur Prostitution in Österreich anwerbe und deren Einreise mitorganisiere, lasse seine offensichtliche Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Solcherart sei eine zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich gewesen, stehe dem doch der jahrelange Tatzeitraum entgegen. Daher sei auch die der Beschwerdeführerin insgesamt zuzuschreibende Integration in Österreich nicht annähernd so gewichtig wie die Dauer ihres bisherigen Aufenthaltes indizieren würde, sei doch zu bedenken gewesen, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das dargestellte strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert werde. Die familiäre Bindung der Beschwerdeführerin zu ihrem Gatten sei nicht unterzubewerten gewesen, angesichts des Mangels sonstiger familiärer Bindungen zu Österreich erweise sich das der Beschwerdeführerin insgesamt zuzusprechende Interesse - auch unter Berücksichtigung ihrer Beschäftigung - an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet als zwar gewichtig, keinesfalls jedoch besonders ausgeprägt. Dieses habe daher nicht bewirken können, dass dem gegenüber das genannte maßgebliche hohe öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten habe, weshalb kein Zweifel bestehen könne, dass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig erweise.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 leg. cit. sei nicht gegeben gewesen.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes sei nunmehr mit zehn Jahren zu befristen gewesen. Vor Ablauf dieser Frist könne im Hinblick auf das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten der Beschwerdeführerin einerseits und unter Bedachtnahme auf ihre aktenkundige Lebenssituation andererseits nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, unbekämpft. In Anbetracht der rechtskräftigen Verurteilung der Beschwerdeführerin vom 27. Juli 2005 begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG getroffene Verhaltensprognose der belangten Behörde und bringt vor, bei der Beurteilung des Grades der durch die Beschwerdeführerin bewirkten Gefährdung der öffentlichen Interessen sei auch auf die Begleitumstände der Tat und auf sonstige Besonderheiten Bedacht zu nehmen. Bereits das Landesgericht Linz habe das Geständnis, die Unbescholtenheit sowie den Umstand, dass die Beschwerdeführerin in untergeordneter Weise tätig gewesen sei, als mildernd angeführt. Weiters habe das Gericht ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin gewerbsmäßige Begehungsweise nicht unterstellt werden könne. Außerdem sei das strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits fünf Jahre zurückgelegen. Die Beschwerdeführerin sei seit März 2004 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und führe seither ein Familienleben mit ihm. Somit sei offenkundig, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Eheschließung kein strafbares Verhalten mehr gesetzt habe. Von einer gegenwärtigen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, sei durch das persönliche Verhalten der Beschwerdeführerin nicht auszugehen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass laut Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 31. Juli 2007 von einer behaupteten bloß untergeordneten Tätigkeit, die auf den Entschluss der weißrussischen Mädchen zur Prostitutionsausübung in Österreich keinerlei Einfluss ausgeübt habe, keine Rede sein kann. Ebenso steht laut diesem Urteil in bindender Weise fest, dass die Beschwerdeführerin zwischen Herbst 2001 und Mitte Mai 2004 zahlreiche, zumindest aber elf Frauen aus Weißrussland der Prostitution in Österreich, also einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dadurch zugeführt oder sie hiefür angeworben hat, dass sie diesen Frauen eine Tätigkeit in einem näher bezeichneten Bordell angeboten hat, die zur Ausreise aus Weißrussland bzw. zur Einreise nach Österreich erforderlichen Dokumente, insbesondere Visa, beschafft und ihnen die Ausstellung solcher Urkunden vermittelt hat, sodass die Reise nach Österreich durch Bereitstellung eines Flugtickets organisiert und schließlich diese Frauen zur Aufnahme der Prostitution zum Bordellbetrieb chauffiert worden sind. Das Beschwerdevorbringen, die Beschwerdeführerin habe seit ihrer Eheschließung am 26. März 2004 kein strafbares Verhalten mehr gesetzt, ist somit aktenwidrig.

Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin auch keine gewerbsmäßige Tatbegehung vorgeworfen.

Die Beschwerdeführerin befand sich - laut Verwaltungsakten - bis 28. Juni 2005 in Haft. Da in Haft verbrachte Zeiten nach der ständigen hg. Rechtsprechung bei Betrachtung des Wohlverhaltens außer Acht zu bleiben haben, ist der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitraum von nicht einmal vier Jahren nicht ausreichend, um auf einen Wegfall oder nur eine wesentliche Minderung der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Interessen schließen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2007/18/0271). Im Übrigen hat die Behörde das Fehlverhalten eines Fremden eigenständig unter dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 2009, Zl. 2009/18/0452).

Die Beschwerdeführerin hat ihr strafbares Verhalten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unmittelbar nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet begonnen und über mehrere Jahre durch eine Vielzahl von Tathandlungen bis zu ihrer strafgerichtlichen Verfolgung fortgesetzt. Angesichts dessen erscheint die in § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

3. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch unter dem Blickwinkel des § 66 FPG und bringt dazu im Wesentlichen vor, die Beschwerdeführerin halte sich seit siebeneinhalb Jahren legal im Bundesgebiet auf, gehe einer legalen Beschäftigung nach, verfüge über familiäre Bindungen nicht nur zu ihrem Ehemann, sondern auch zu dessen Verwandten, insbesondere zu seinen Eltern und seiner Schwester, und zu einer Vielzahl von Freunden und Bekannten, sowie über ausgezeichnete Deutschkenntnisse und habe die Bindungen zu ihrem Herkunftsland aufgelöst. Schon in der Berufung habe sie ausgeführt, dass die Eltern und der Bruder bereits 2003 verstorben seien. Abgesehen von der strafrechtlichen Verurteilung sei sie völlig unbescholten.

Die belangte Behörde hat bei der Interessenabwägung berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin verheiratet ist, keine Sorgepflichten hat, sonstige familiäre Bindungen zum Bundesgebiet nicht bestehen und dass sie seit einem Jahr einer Beschäftigung nachgeht. Zutreffend ist sie von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ausgegangen. Zu Recht hat sie die aus ihrem bisherigen inländischen Aufenthalt resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch ihr strafbares Verhalten als erheblich gemindert angesehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2007/18/0470).

Diesen persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet steht die oben dargestellte, aus der Mitwirkung an einer kriminellen Organisation zum grenzüberschreitenden Prostitutionshandel resultierende massive Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber, hat doch die Beschwerdeführerin ihr strafrechtliches Verhalten unmittelbar nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet begonnen und über mehrere Jahre fortgesetzt.

Was die sozialen Bindungen der Beschwerdeführerin zu den Verwandten ihres Ehemannes betrifft, ist auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) zu verweisen. Die Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin und ihre - abgesehen von der dargestellten Verurteilung gegebene - Unbescholtenheit vermögen ihre Interessen nicht maßgeblich zu stärken.

Bei Abwägung der obgenannten gegenläufigen Interessen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 66 FPG zulässig sei, auch dann keinem Einwand, wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin keinerlei Bezugspunkte mehr zu ihrem Herkunftsland hat.

4. Die Beschwerde bekämpft schließlich die mit zehn Jahren befristete Dauer des Aufenthaltsverbotes und führt aus, angesichts der konkreten Aufenthaltssituation, der Integration und der Intensität ihrer familiären und sonstigen - auch beruflichen - Bindungen erweise sich die aufenthaltsbeendende Maßnahme als rechtswidrig.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin von ihren familiären und sonstigen Bindungen - laut erstinstanzlichem Bescheid lebt sie mit ihrem (späteren) Ehemann bereits seit Herbst 2003 in einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft - auch bisher nicht von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wurde. Angesichts dessen kann der Ansicht der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, dass ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen der im angefochtenen Bescheid festgesetzten Gültigkeitsdauer von zehn Jahren erwartet werden könne.

5. Schließlich liegt auch die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung der Verpflichtung der belangten Behörde zur Begründung des Bescheides nicht vor.

6. Demzufolge war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 25. Februar 2010

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