VwGH 2008/22/0641

VwGH2008/22/064115.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der L, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. März 2008, Zl. 317.571/2-III/4/2007, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs1 Z5;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs2 Z5;
NAG 2005 §21 Abs4;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
SDÜ 1990 Art21;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
NAG 2005 §11 Abs1 Z5;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §21 Abs2 Z5;
NAG 2005 §21 Abs4;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
SDÜ 1990 Art21;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom 3. August 2006 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "ausgenommen Erwerbstätigkeit" gemäß § 21 Abs. 4 iVm § 11 Abs. 1 Z 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin im Juni 2006 mit einem bis 29. September 2006 gültigen italienischen Aufenthaltstitel eingereist und seither durchgehend in Österreich aufhältig sei. Der italienische Aufenthaltstitel sei bis 29. September 2007 verlängert worden. Nach Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) hätte sich die Beschwerdeführerin bis zu drei Monate in Österreich aufhalten dürfen. Seit September 2006 sei sie illegal im Bundesgebiet.

Somit sei der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht, der sich auf die Überschreitung der Dauer eines erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts in Österreich beziehe. Damit solle eine Legalisierung des Aufenthalts über diesen genehmigten Zeitraum hinaus verhindert werden. Die zulässige Inlandsantragstellung solle nicht dazu führen, dass ein illegaler Aufenthalt ohne weiteres legalisiert werden könne.

Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hielten sich zwei Töchter legal im Bundesgebiet auf, wobei eine Tochter bereits die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hätte. Ihr Ehemann wäre in seinen Heimatstaat Serbien ausgereist, die Beschwerdeführerin selbst wäre pflegebedürftig und ihre Töchter wären die einzigen Menschen, die die notwendige Pflege leisten könnten.

Gemäß § 74 NAG könne die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt würden. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe angegeben. Auch von der Berufungsbehörde könnten keine humanitären Gründe im Sinn der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 72 NAG gefunden werden. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG nicht von Amts wegen zugelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin bekämpft nicht die zutreffende Ansicht der belangten Behörde, dass durch den Verbleib im Bundesgebiet - nach der durch Art. 21 SDÜ legal ermöglichten Einreise mit einem italienischen Aufenthaltstitel - über den sichtvermerksfreien Aufenthalt von drei Monaten hinaus der von der belangten Behörde herangezogene Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG erfüllt sei (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, 2008/22/0238).

Wenngleich die belangte Behörde nicht eine nach § 21 Abs. 1 NAG unzulässige Inlandsantragstellung als Grund für die Abweisung des Antrags herangezogen hat, hat sie darauf verwiesen, dass gemäß den §§ 72 und 74 NAG (in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 99/2006) die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von Amts wegen zuzulassen ist.

Die daraus resultierende Prüfung nach Art. 8 EMRK ist in verfassungskonformer Weise allerdings auch dann vorzunehmen, wenn der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht ist. Werden humanitäre Gründe geltend gemacht und liegen diese vor, so hat die Behörde die begehrte Bewilligung zu erteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 2008, 2007/18/0395, mwN).

Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer Vernehmung vom 5. März 2007 darauf hingewiesen, dass sie einen Schlaganfall in Italien erlitten habe, auf Krücken gehen müsse und auf ihre (in Österreich lebende) Tochter angewiesen sei. Im Verwaltungsakt erliegt ein italienischer Befund vom 4. Oktober 2005, wonach die Beschwerdeführerin mit einer halbseitigen Lähmung am 11. August 2005 eingeliefert worden sei. Weiters ist ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus G vom 25. September 2006 bis 3. Oktober 2006 belegt. In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat die Beschwerdeführerin u. a. vorgebracht, dass sie schwer an Diabetes erkrankt sei und die Handhabung und Kontrolle dieser Krankheit die volle Unterstützung durch die in Österreich lebenden Töchter erfordere. Die beiden Töchter seien die einzigen Bezugspersonen, zumal ihr Ehemann sie verlassen habe.

Demgemäß kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin keine Gründe vorgebracht hätte, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen wären. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen ist dem angefochtenen Bescheid in keiner Weise zu entnehmen. Dadurch hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet, dessen Relevanz nicht von vornherein verneint werden kann.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 15. April 2010

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