VwGH 2008/18/0562

VwGH2008/18/056215.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des NV in W, geboren am 29. Jänner 1975, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juni 2008, Zl. E1/65.728/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §55 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §55 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juni 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 28. Mai 2004 im Bundesgebiet auf und habe über einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familiengemeinschaft verfügt, der zuletzt bis 28. Oktober 2007 verlängert worden sei. Ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels sei derzeit beim Landeshauptmann von Wien anhängig.

Der Beschwerdeführer sei am 15. Oktober 2007 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall und Abs. 4 Z. 3 SMG sowie gemäß § 28 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt, verurteilt worden. Dem Urteil zufolge habe der Beschwerdeführer im Zusammenwirken mit weiteren sieben Mitverurteilten in der Absicht, sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, Suchtgift in einer die große Menge im Sinn des § 28 Abs. 6 SMG - das sei jene Menge an Suchtgift, die geeignet sei, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen - um ein Vielfaches übersteigenden Menge von Holland über Deutschland nach Österreich eingeführt. Konkret habe der Beschwerdeführer das von der internationalen Tätergruppe in das Bundesgebiet eingeschmuggelte Suchtgift, ca. 20 kg Marihuana, zwischen Mitte März und 10. April 2007 an zwei weitere Mitverurteilte verkauft bzw. an einen anderen Verurteilten sowie unbekannt gebliebene Abnehmer weitergegeben bzw. verkauft. Am 18. April 2007 sei der Beschwerdeführer anlässlich der Übergabe einer weiteren Lieferung Marihuana im Ausmaß von fast 7,5 kg an ihn festgenommen worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die §§ 60 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und 66 FPG aus, der Beschwerdeführer sei verheiratet und für drei gemeinsame Kinder sorgepflichtig. Vor der Inhaftierung des Beschwerdeführers hätten die Ehegattin und die Kinder im selben Haushalt gelebt. Zwischen 20. Dezember 2006 und 28. März 2007 sei der Beschwerdeführer beschäftigt, zum Zeitpunkt seiner Festnahme sei er jedoch arbeitslos gewesen. Einem aktuellen Versicherungsdatenauszug "der österreichischen Sozialversicherung" zufolge sei der Beschwerdeführer seit 22. Oktober 2007 fast durchgehend als Arbeiter beschäftigt. Auf Grund seines bisherigen mehr als vierjährigen rechtmäßigen inländischen Aufenthaltes, der familiären Bindungen und der beruflichen Situation sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat-, Berufs- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet seien die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen und im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit anderer, als dringend geboten zu erachten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche mehr als augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne für den Beschwerdeführer schon in Ansehung der Tatbegehung, der besonders großen zu verantwortenden Suchtgiftmenge, die er über einen langen Zeitraum umgesetzt bzw. umzusetzen versucht habe, den offenbaren Kontakten zu der ausländischen Suchtgiftszene, die im Bereich der organisierten Kriminalität anzusiedeln sei, sowie der den Suchtgiftdelikten zugrunde liegenden immanenten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen. Selbst wenn die Verbüßung der Haft eine gewisse spezialpräventive Wirkung für den Beschwerdeführer erfüllt hätte, liege das der Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten noch bei weitem nicht so lange zurück, dass auf Grund des bisher verstrichenen Zeitraumes eine entscheidungswesentliche Reduzierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr angenommen werden könne; dies vor allem deshalb, weil die Zeit in Haft nach höchstgerichtlicher Judikatur nicht als Zeit des Wohlverhaltens gewertet werden könne.

Im Übrigen habe die Fremdenpolizeibehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen und sei an gerichtliche Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung und einer allfälligen bedingten Strafnachsicht bzw. bedingten Entlassung nicht gebunden.

Hinsichtlich der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen, aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten, beruflichen bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Darüber hinaus sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei sonstiger völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig.

Angesichts des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden, weil nach der Aktenlage nicht ersichtlich sei, weshalb die Familienangehörigen den Beschwerdeführer nicht in das Ausland begleiten oder ihn dort zumindest besuchen könnten.

Eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des der Behörde gemäß § 60 Abs. 1 FPG zukommenden Ermessens sei zudem offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG), weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden sei und daher beinahe jenes Maß an unbedingter Freiheitsstrafe erreicht habe, bei dem der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine positive Ermessensübung von vornherein ausschließe.

Auch die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des FPG stünden der gegenständlichen Maßnahme nicht entgegen.

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet zu erlassen gewesen. Wer, wie der Beschwerdeführer, dem Suchtgifthandel über einen längeren Zeitraum nachgehe, eine besonders gefährliche große Menge an Suchtgift zu verantworten habe und offenbar auch Kontakte zur ausländischen Suchtgiftszene bzw. zur organisierten Kriminalität unterhalte, lasse seine Geringschätzung für maßgebliche, zum Rechtsschutz aufgestellte Vorschriften nachhaltig erkennen. Vor dem Hintergrund des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne der Auffassung der Erstbehörde nicht entgegengetreten werden, dass der Zeitpunkt des Wegfalls des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der von ihm ausgehenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen, nicht vorhergesehen werden könne, weshalb die Erstbehörde ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien begegnet diese Beurteilung auch keinen Bedenken.

Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer gewerbsmäßig, d.h. in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung einer Straftat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, zwischen März und April 2007 etwa 20 kg Marihuana an andere Personen weitergegeben bzw. verkauft und wurde am 18. April 2007 bei der geplanten Übernahme von weiteren 7,5 kg Marihuana festgenommen. Bei der übernommenen, weitergegebenen bzw. verkauften Menge an Suchtmittel handelt es sich um eine solche, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen. Dabei hatte der Beschwerdeführer auch - was unbestritten blieb - Kontakte zu der ausländischen Suchtgiftszene, die im Bereich der organisierten Kriminalität anzusiedeln ist.

Auf Grund dieses massiven, über einen längeren Zeitraum verübten, gewerbsmäßigen strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers begegnet die Beurteilung der belangten Behörde, dass die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand. Entgegen der Beschwerdeansicht liegt auch kein "einmaliger Ausrutscher" des Beschwerdeführers vor, sondern ein über einen längeren Zeitraum hinweg fortgesetztes und gewerbsmäßig durchgeführtes Verbrechen in Zusammenarbeit mit international agierenden Tätergruppen im Bereich der organisierten Kriminalität. Auch das weitere Vorbringen, bei dem Fehltritt des Beschwerdeführers habe es sich nicht um harte Drogen, sondern "lediglich" um Marihuana gehandelt, kann angesichts der besonders großen Menge von insgesamt über 27 kg nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers gewertet werden. Zutreffend hat die belangte Behörde auch darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf das wiederholte, planmäßige und gewerbsmäßige Vorgehen des Beschwerdeführers die seit der Verurteilung verstrichene Zeit von nur achteinhalb Monaten - wobei Zeiten in Haft bei der Beurteilung des Wohlverhaltens außer Betracht zu bleiben haben - noch zu kurz ist, um auf einen Wegfall oder zumindest eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können.

Soweit die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe ihr Ermessen nicht im Sinn des Gesetzes ausgeübt, ist ihr zu entgegnen, dass nach ständiger hg. Judikatur angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z. 1 FPG) das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig ist; eine auf einer Ermessensabwägung beruhende Abstandnahme von dessen Verhängung würde offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, sodass für die belangte Behörde dafür keine Veranlassung bestand (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2010, Zl. 2008/18/0478, mwN).

2. Im Rahmen der gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung hat die belangte Behörde die Dauer des bisherigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers von etwas mehr als vier Jahren, seine familiären Bindungen zu seiner Ehefrau und den drei minderjährigen Kindern sowie seine berufliche Situation berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Wie die belangte Behörde allerdings richtig ausgeführt hat, wird die aus der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers ableitbare Integration in ihrer sozialen Komponente durch das gravierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Unbestritten blieb auch, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen ins Ausland begleiten oder ihn zumindest dort besuchen kann.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. An der Verhinderung von Straftaten auf dem Gebiet der Suchtgiftkriminalität besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2009, Zl. 2007/18/0537, mwN). Die familiären Bindungen haben den Beschwerdeführer nicht von der Begehung der schweren Straftat abhalten können. Im Hinblick darauf begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz der Gesundheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer) gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei, keinen Bedenken.

3. Entgegen der Beschwerdeansicht hat die belangte Behörde auch begründet, warum das Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen wurde. In Anbetracht des gravierenden strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers ist die Auffassung der belangten Behörde, dass ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes derzeit nicht vorhergesehen werden könne, nicht zu beanstanden; die Beschwerde zeigt im Übrigen auch keine Umstände auf, die die Festsetzung einer bestimmten Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme geboten hätten.

4. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. September 2010

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