VwGH 2007/10/0043

VwGH2007/10/004321.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde der A R in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Winkler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Henslerstraße 3 (Ecke Gigergasse), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 11. Oktober 2006, Zl. UVS-SOZ/53/1489/2006, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 6. Dezember 2006, betreffend Angelegenheiten nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Slbg 1975 §12 Abs1;
SHG Slbg 1975 §12 Abs2;
SHG Slbg 1975 §6 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs2 Z2;
SHG Wr 1973 §13 Abs2 Z3;
SHG Wr 1973 §13 Abs2;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
SHG Slbg 1975 §12 Abs1;
SHG Slbg 1975 §12 Abs2;
SHG Slbg 1975 §6 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs2 Z2;
SHG Wr 1973 §13 Abs2 Z3;
SHG Wr 1973 §13 Abs2;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte beim Magistrat der Stadt Wien MA 15/VII-Sozialzentrum 3/11 (im Folgenden: Magistrat) einen mit 6. Dezember 2005 datierten und am 7. Dezember 2005 beim Magistrat eingelangten Antrag "auf Bewilligung einer Geldaushilfe für den Lebensbedarf (zuzüglich Heizkostenbeihilfe, Mietzinsbeihilfe und Bekleidungsbedarf) gemäß WSHG".

Am 12. Oktober 2005 hatte F H, der mit der Beschwerdeführerin und ihren beiden Kindern Andreas und Michelle in derselben Wohnung in Wien wohnt, bereits einen Antrag "auf Bewilligung einer Geldaushilfe ab 1.10.2005 für den Lebensbedarf (zuzüglich Heizkostenbeihilfe, Mietzinsbeihilfe und Bekleidungsbedarf) gemäß WSHG" gestellt.

Mit Bescheid vom 13. Jänner 2006 sprach der Magistrat wie

folgt ab:

"Die Anträge von Frau R A und Herrn H vom

Auf Zuerkennung einer Geldleistung für

in Höhe vonEuro

12.10.2005

Lebensbedarf (zuzüglich Heizkostenbeihilfe, Mietzinsbeihilfe und Bekleidungsbedarf) für Herrn H F ab 01.10.2005

Unbekannt

06.12.2005

Lebensbedarf (zuzüglich Heizkostenbeihilfe, Mietzinsbeihilfe und Bekleidungsbedarf) für Frau R A und ihre Tochter Michelle

Unbekannt

werden abgewiesen."

Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin beziehe ab 1. Jänner 2005 von der Pensionsversicherungsanstalt eine Witwenpension von monatlich EUR 661,34 plus zwei Sonderzahlungen jährlich. Für ihre minderjährige Tochter Michelle würden auf Grund eines gegenseitigen Verzichtes mit dem Kindesvater keine Alimente bezogen. Der Lebensunterhalt für den Sohn der Beschwerdeführerin sei durch den Bezug einer Halbwaisenpension gedeckt. F H beziehe laut Mitteilung des Arbeitsmarktservices vom 10. November 2005 ab 26. Oktober 2005 bis 14. März 2006 ein Arbeitslosengeld von täglich EUR 22,10, monatlich EUR 663,--.

Die monatliche Miete für die gemeinsame Wohnung betrage laut Vorschreibung EUR 606,53. Ein Antrag auf Wohnbeihilfe sei laut Angabe gestellt, die Familie habe jedoch noch keinen Bescheid erhalten. Da auch eine Mietzinsbeihilfe beantragt worden sei, würde bei der Berechnung des Anspruches die Höchstmiete für eine 81 m2 große Wohnung für vier Personen in Höhe von EUR 266,45 berücksichtigt.

Gemäß § 5 Abs. 4 der Richtsatzverordnung LGBl. Nr. 71/2000 sei zur Deckung des Heizbedarfes alleinunterstützten oder hauptunterstützten Sozialhilfebeziehern in Wohnungen ohne Zentralheizung in den Monaten Jänner bis April und Oktober bis Dezember eine Heizbeihilfe von monatlich EUR 67,85 im Ausmaß des auf den einzelnen Sozialhilfebezieher entfallenden Heizkostenanteiles zu gewähren. In Wohnungen mit Zentralheizung seien die vorgeschriebenen Heizkosten zu gewähren, soweit diese einem angemessenen durchschnittlichen Heizbedarf entsprächen.

Da die Wohnung mit Fernwärme beheizt werde, habe auch ein Heizpauschalenanteil entsprechend für eine 81 m2 große Wohnung für vier Personen in Höhe von EUR 53,37 gewährt werden können.

Es ergebe sich nun folgende Berechnung:

"Richtsatz 2 Erw./1 Kind für 30 Tage

EUR

881,53

Höchstmiete für 2005

EUR

266,45

Heizpauschale

EUR

53,37

Bedarf

EUR

1.201,35

   

abzüglich Arbeitslosengeld/H F

EUR

663,00

abzüglich Witwenpension/R

EUR

659,87

Richtsatzüberschreitung

EUR

-121,52"

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass im Spruch nach den Worten "Die Anträge von Frau R A" die Wortfolge "und H F" tritt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei ohne rechtlich anerkannten Hinderungsgrund der Verhandlung fern geblieben, weshalb auch die Behauptung des fehlenden Arbeitslosengeldes des Herrn H nicht habe erörtert werden können. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin seien die Heizkosten nicht schlechthin in der jeweils tatsächlich anfallenden Höhe zu berücksichtigen. Warum die hier veranschlagten Heizkosten den ihr zuerkannten Bedarf nicht abdecken sollten, sei nicht begründet worden. Da Herr H in der Bedarfsberechnung als Mitunterstützter berücksichtigt worden sei, sei über die von ihm selbst gestellten Anträge nicht mit diesem Bescheid zu entscheiden und der Spruch entsprechend abzuändern.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 berichtigte die belangte Behörde ihren Bescheid vom 11. Oktober 2006 dahin, dass im Spruch nach den Worten "Die Anträge von Frau R A" die Wortfolge "und Herrn H F" entfällt. Begründend wurde ausgeführt, aus der Begründung des Berufungsbescheides vom 11. Oktober 2006 gehe inhaltlich eindeutig hervor, dass diese Entscheidung in Angelegenheit der Beschwerdeführerin zur erstinstanzlichen Zahl MA 15 - SZ 3/11 - R 58/05 ergehe, wobei im vorletzten Satz der Begründung ausdrücklich festgestellt worden sei, dass über den Antrag Herrn H nicht mit dem hier berichtigten Berufungsbescheid abzusprechen gewesen sei.

Gegen den genannten Bescheid in der berichtigten Fassung richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Überprüfung den angefochtenen Bescheid in jener Fassung zu Grunde zu legen, die er durch die Berichtigung erhalten hat. Gegenstand der Überprüfung ist daher allein der den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Sozialhilfe im Instanzenzug abweisende Bescheid.

Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. Nr. 11/1973 idF LGBl. Nr. 15/2005, von Bedeutung:

"§ 8. (1) Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

...

Geldleistungen

§ 13. (1) Die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen.

(2) In der Verordnung über die Festsetzung der Richtsätze sind folgende Arten von Richtsätzen vorgesehen:

  1. 1. Richtsatz für den Alleinunterstützten,
  2. 2. Richtsatz für den Hauptunterstützten,
  3. 3. Richtsatz für den Mitunterstützten.

    Der in Z. 1 bezeichnete Richtsatz hat im Umfang des Abs. 3 den Lebensunterhalt eines Hilfesuchenden zu decken, der keine mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen hat. Die in Z. 2 und 3 bezeichneten Richtsätze haben zusammen den Lebensunterhalt eines Hilfesuchenden, seines Ehegatten oder Lebensgefährten und der sonst mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen im Umfange des Abs. 3 zu decken."

    Der angefochtene, insoweit die Grundlagen des erstinstanzlichen Bescheides zur Gänze übernehmende Bescheid beruht auf einer Gegenüberstellung des (an Hand von "Richtsatz zwei Erwachsene/ein Kind für 30 Tage", "Höchstmiete für 2005" und "Heizpauschale") ermittelten "Bedarfes" mit dem durch Addition der Witwenpension der Beschwerdeführerin und dem Arbeitslosengeld des F H. gebildeten "eigenen Mitteln". Welche Typen von Richtsätzen im Sinne des in § 13 Abs. 2 Z. 1 bis 3 WrSHG angeordneten Systems die Behörde der Ermittlung des "Richtsatzes für zwei Erwachsene und ein Kind" zu Grunde gelegt hat, lässt sich dem angefochtenen Bescheid ebenso wenig entnehmen wie eine Begründung für die Zurechnung des Arbeitslosengeldes von F H. zu den eigenen Mitteln der Beschwerdeführerin.

    Schon deshalb ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig; denn die Bildung eines "gemeinsamen" Richtsatzes und die Einbeziehung der Einkünfte eines Angehörigen in die "eigenen Mittel" des Hilfe Suchenden hätte vorausgesetzt, dass die (Hilfe Suchende) Beschwerdeführerin im Sinne des § 13 Abs. 2 Z. 2 und 3 WrSHG mit ihrem (Ehegatten oder) Lebensgefährten (und gegebenenfalls weiteren unterhaltsberechtigten Angehörigen) in Haushaltsgemeinschaft lebt, dass auch die Angehörigen unterhaltsberechtigt und hilfsbedürftig sind und gegebenenfalls, dass der Beschwerdeführerin Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes von F H. tatsächlich zukommen oder wenigstens ein leicht liquidierbarer Rechtsanspruch auf solche Leistungen. Im vorliegenden Fall enthält aber weder der erstinstanzliche noch - obwohl die Beschwerdeführerin bereits in der Berufung unter Anderem geltend gemacht hatte, dass sie zwar mit F H. gemeinsam wohne, sich "aber jeder für sich allein versorgt"; es bestehe "keine eheähnliche Lebens- oder Versorgungsgemeinschaft" - der angefochtene Berufungsbescheid Feststellungen, auf die sich die Annahme gründen ließe, die Beschwerdeführerin und F H. stünden im Verhältnis von "Lebensgefährten" im Sinne des § 13 Abs. 2 dritter Satz WrSHG. Ebenso wenig liegen in der Frage der Hilfsbedürftigkeit des F H. im Sinne des WrSHG sowie in der Frage von Zuwendungen des F H. an die Beschwerdeführerin zur Bestreitung des Lebensunterhaltes bzw. eines Rechtsanspruches auf solche Zuwendungen und dessen Liquidierbarkeit die erforderlichen Feststellungen vor.

    Solche Feststellungen wären jedoch geboten gewesen und zwar - zum einen - die im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft zu treffenden Feststellungen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 2004, Zl. 2001/11/0075, und vom 22. Dezember 2003, Zl. 2003/10/0216, jeweils mwN).

    Der Verwaltungsgerichtshof hat - zum anderen - weiters ausgesprochen, dass die Heranziehung eines nicht Hilfebedürftigen als "Mitunterstützter" mit dem Ergebnis, dass dessen Mitberücksichtigung nur zu einer Verminderung der Sozialhilfeansprüche führt, die dem Hilfebedürftigen ansonsten zustünden, im Allgemeinen nicht zulässig ist. Eine aus Haupt- und Mitunterstützten zusammengesetzte Konstellation setzt daher voraus, dass auch die Angehörigen unterhaltsberechtigt und hilfebedürftig sind. Das Prüfschema hat jeweils an der Frage anzusetzen, ob nur die antragstellende Person hilfebedürftig ist oder auch die in Haushaltsgemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Personen, wobei für jede Person gesondert zu prüfen ist, ob sie über eigene Mittel verfügt, deren Einsatz ihr zumutbar ist (vgl. das oben zitierte Erkenntnis vom 23. März 2004, und das Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 97/08/0510, und die dort zitierte Vorjudikatur).

    Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Hilfesuchende mit einem Lebensgefährten in Haushaltsgemeinschaft lebt. Denn aus der Gleichstellung des Lebensgefährten mit den "sonst mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen" (§ 13 Abs. 2 WrSHG) ergibt sich, dass eine Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes eines Hilfesuchenden, der mit einem Lebensgefährten in Haushaltsgemeinschaft lebt, nach dem Richtsatz für Haupt- und Mitunterstützte voraussetzt, dass auch der Lebensgefährte hilfebedürftig ist (vgl. das Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 92/08/0067).

    Das Einkommen der in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen ist in erster Linie nur für jene Person maßgebend (und daher nur auf den für diese Person heranzuziehenden Richtsatz anzurechnen), die es erzielt. Auf andere Personen ist dieses Einkommen nur insoweit anzurechnen, als gegenüber diesen Personen entsprechende sozialhilferechtlich relevante (nicht rückzahlbare) Zuwendungen tatsächlich erfolgen oder sie auf solche Zuwendungen einen Rechtsanspruch besitzen und dieser leicht liquidierbar ist (vgl. die bereits zitierten Erkenntnisse vom 23. März 2004 und 21. April 1998).

    Die Vorgangsweise der belangten Behörde bei der Berechnung der Sozialhilfe war daher rechtswidrig. Sie hätte F H. nicht ohne weiteres, nämlich ohne in der Frage von dessen Hilfsbedürftigkeit die erforderlichen Feststellungen zu treffen, als Mitunterstützten berücksichtigen dürfen. Ebenso ist die Anrechnung des gesamten Einkommens des F H. auf die eigenen Mittel der Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Fehlen von Feststellungen in der Frage des Bestehens einer Lebensgemeinschaft und - gegebenenfalls - über Zuwendungen des F H. an die Beschwerdeführerin rechtswidrig. In Betracht käme im Falle einer Lebensgemeinschaft nur die Berücksichtigung im einzelnen festgestellter, bedarfsmindernder Zuwendungen des Lebensgefährten (vgl. die Erkenntnisse vom 24. Juni 1997, Zl. 95/08/0109, und vom 20. September 2000, Zl. 98/03/0079).

    Indem sie dies verkannte, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

    Wien, am 21. Oktober 2010

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