VwGH 2009/22/0071

VwGH2009/22/00713.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 24/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 23. Dezember 2008, Zl. 2/4033/52/08, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z4;
MRK Art7;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z4;
MRK Art7;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. Dezember 2008 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer, gemäß §§ 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1, 61, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer nicht österreichischer Staatsbürger sei. Er sei 1974 in Österreich geboren worden und habe bis zu seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet im Jänner 2007 hier gelebt. Nach Abschluss der Pflichtschule habe er in Österreich bis Oktober 2003 als LKW-Fahrer gearbeitet; im Anschluss daran habe er bis zu seiner Verhaftung im März 2004 Arbeitslosenunterstützung bezogen.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. September 2001 sei der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 60 Tagessätzen wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs. 1 StGB verurteilt worden; dem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer in der Nacht zum 14. Juni 2001 in Innsbruck einen Sicherheitswachebeamten während der Erhebungen und der Identitätsfeststellung - sohin während einer Amtshandlung - durch das Versetzen eines Stoßes gegen den rechten Arm tätlich angegriffen habe.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. September 2004 sei der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) und nach § 28 Abs. 2 zweiter und dritter Fall SMG sowie des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG rechtskräftig zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Nach jener Verurteilung habe der Beschwerdeführer

A) den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) von Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt sowie in Verkehr gesetzt bzw. dazu beigetragen, wobei er hinsichtlich des In-Verkehr-Setzens gewerbsmäßig gehandelt habe, und zwar 1) zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten zwischen Oktober/November 2003 und März 2004 durch Verkauf bzw. Weitergabe von insgesamt ca. 10.000 Stück Ecstasy-Tabletten an zahlreiche Personen im Verlauf von zahlreichen Teilgeschäften; 2) zu nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten zwischen November 2003 und März 2004 durch Verkauf, in geringem Umfang aber auch durch kostenlose Weitergabe einer ziffernmäßig nicht mehr feststellbaren, die Grenzmenge aber jedenfalls übersteigenden großen Menge an teilweise qualitativ hochwertigem Kokain (mindestens 100 Gramm) an verschiedene Personen im Verlauf von zahlreichen Teilgeschäften;

3) zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jänner/Februar 2004 durch Schmuggel von ca. 150 Gramm Kokain von Deutschland nach Tirol;

B) den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben, besessen sowie anderen überlassen, und zwar zu nicht mehr genauer feststellbaren Zeitpunkten zwischen Anfang 2002 und März 2004

1) durch Erwerb nicht mehr genauer feststellbarer Mengen an Kokain, Cannabisprodukten und Ecstasy-Tabletten sowie geringer Mengen Amphetamin ("Speed") von verschiedenen Personen und deren Besitz; 2) dadurch, dass er seine gesondert verfolgte Freundin A.M. mehrfach zum kostenlosen Konsum von Kokain und Ecstasy-Tabletten eingeladen habe.

Nach der bedingten Entlassung aus der Strafhaft am 29. Juli 2006 sei der Beschwerdeführer vom 23. Jänner 2007 bis 4. August 2008 in der Türkei bei seinen Eltern bzw. seiner Ehefrau gewesen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe das Bundesgebiet wie dieser im Jänner 2007 verlassen und lebe seither in der Türkei; die beiden hätten mittlerweile ein gemeinsames Baby, das bei der Ehefrau in der Türkei lebe.

Seit 4. August 2008 sei der Beschwerdeführer wieder mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet und arbeite hier wieder als LKW-Fahrer.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 16. September 2004 den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG erfülle; das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers zeige deutlich dessen negative Einstellung zur Rechtsordnung, wodurch der Eindruck entstehe, dass er nicht gewillt sei, diese in der erforderlichen Weise zu achten, woraus sich die Folgerung ergebe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde (§ 60 Abs. 1 Z. 1 FPG).

Aufgrund der festgestellten Umstände liege zwar ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG vor, dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot aber nicht unzulässig. Die sich im Gesamtfehlverhalten manifestierende Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele der Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen und des Schutzes der Rechte anderer (auf Gesundheit) dringend geboten.

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet wögen schwer; sie wögen jedoch - in Hinblick auf dessen Neigung zu schweren Drogendelikten - höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb dieses auch im Grunde des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei.

Der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet der Dauer seines Aufenthalts entsprechend gut integriert; das Gewicht dieser Integration werde allerdings dadurch verringert, dass deren soziale Komponente erheblich durch die eindrucksvoll durch rechtskräftige Verurteilung belegte Neigung des Beschwerdeführers zu schweren Drogendelikten beeinträchtigt werde. Dem gegenüber stehe das große öffentliche Interesse an dem "Nicht-Aufenthalt" des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Die Verhinderung von schweren Drogendelikten, der Schutz des Lebens und der Gesundheit anderer habe einen sehr großen öffentlichen Stellenwert bzw. sehr großes öffentliches Gewicht.

In Berücksichtigung des schwerwiegenden Interesses des Beschwerdeführers am Aufenthalt im Bundesgebiet werde gegen diesen nicht ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot entspreche jedoch durchaus den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen, nämlich dem Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers und dessen daraus hervorleuchtenden Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit sowie seinen privaten und familiären Verhältnissen.

Ein Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund gemäß § 61 FPG komme im Fall des Beschwerdeführers nicht zum Tragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z. 2).

In § 60 Abs. 2 FPG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Nach Z. 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und aufgrund welcher Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, 2008/22/0714, mwN).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Tatsache seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung vom 16. September 2004 sowie die oben wiedergegebenen Feststellungen über die diesen Verurteilungen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass angesichts dieser Verurteilung der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG erfüllt und dass angesichts der der Verurteilung zugrunde liegenden gravierenden Verfehlungen des Beschwerdeführers gegen das Suchtmittelgesetz die Annahme nach § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, begegnet keinen Bedenken.

Daran vermag in Hinblick auf die der Verurteilung vom 16. September 2004 zugrunde liegende besonders schwerwiegende Suchtmittelkriminalität auch die bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitspanne nichts zu ändern, wobei insbesondere der seit der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft im Juli 2006 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitraum von knapp zweieinhalb Jahren, in dem sich der Beschwerdeführer wohlverhalten hat, als zu kurz erscheint, um von einem tatsächlichen Gesinnungswandel des Beschwerdeführers und einer positiven Verhaltensprognose auszugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, 2006/18/0333).

Ein Bestehen einer Berechtigung des Beschwerdeführers nach dem ARB Nr. 1/80 zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides wurde in der Beschwerde gar nicht behauptet.

Da es im Hinblick darauf auf die im angefochtenen Bescheid ebenfalls angeführte - relativ geringfügige - Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Innsbruck vom 25. September 2001 (die im Übrigen den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG gar nicht erfüllen würde) gar nicht ankommt, war die belangte Behörde - entgegen der in der Verfahrensrüge der Beschwerde vertretenen Auffassung - mangels Wesentlichkeit jener Verurteilung auch nicht verhalten, dem Beschwerdeführer dazu gemäß § 45 Abs. 3 AVG Parteiengehör zu gewähren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, 96/08/0231, mwN). Im Übrigen handelt es sich bei der strafgerichtlichen Verurteilung vom 25. September 2001 und der ihr zugrunde liegenden Straftat auch nicht etwa um dem Beschwerdeführer unbekannte Tatsachen, sodass ein Verstoß gegen das aus § 45 Abs. 3 AVG abgeleitete Überraschungsverbot (vgl. etwa Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 27 mit Nachweisen aus der hg. Rechtsprechung) gar nicht vorliegen könnte.

Die Beschwerde führt im Weiteren aus, dass die erst am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene Bestimmung des § 61 Z. 4 FPG zum Zeitpunkt der strafbaren Handlungen und der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers noch nicht in Geltung gestanden sei; dem gegenüber habe das Fremdenpolizeigesetz 1997 in Hinblick auf Fremde, die von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen seien, einen absoluten Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund normiert. Die rückwirkende Anwendung des § 61 Z. 4 FPG sei auch mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. Februar 1995 im Fall Welch gegen das Vereinigte Königreich verfassungsrechtlich verboten, weil der Bestimmung "Strafcharakter" zukomme.

Wie die Beschwerde selbst einräumt, handelt es sich bei einem Aufenthaltsverbot nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nicht um eine Strafe, sondern um eine im öffentlichen Interesse erlassene administrativ-rechtliche Maßnahme (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, 2007/21/0417, mwN).

Auch im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer problematisierte Regelung des § 61 Z. 4 FPG hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass diese - mangels Anwendung des nur für Strafen geltenden Rückwirkungsverbotes des Art. 7 EMRK - auch auf vor dem 1. Jänner 2006 verwirklichte Sachverhalte anzuwenden ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 2008, 2007/21/0421, sowie vom 2. September 2008, 2007/18/0439).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung steht dem auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Welch gegen das Vereinigte Königreich, B 17440/90, vom 9. Februar 1995 nicht entgegen, in der eine im Zusammenhang mit einer Freiheitsstrafe von 22 Jahren wegen Drogendelikten ausgesprochene Beschlagnahme von rund 66.000 GBP (vgl. § 20 StGB - Abschöpfung der Bereicherung) unter den konkreten Umständen des Einzelfalls unter den Begriff der Strafe im Sinn des Art. 7 Abs. 1 EMRK subsumiert wurde. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes kann mit einer derartigen Maßnahme aber nicht verglichen werden, weil diesem - mit den Worten der Beschwerde - der punitive Charakter fehlt.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Wien, am 3. April 2009

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