VwGH 2008/22/0796

VwGH2008/22/079618.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler, Mag. Nicolas Stieger und Mag. Andreas Droop, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 30. Juni 2008, Zl. UVS-410a-007/E2-2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

62006CJ0294 Payir VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
NAG 2005 §2 Abs1 Z11;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §24 Abs4;
NAG 2005 §41;
62006CJ0294 Payir VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
NAG 2005 §2 Abs1 Z11;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §24 Abs4;
NAG 2005 §41;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, eine auf §§ 31 Abs. 1 Z 2, 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützte Ausweisung.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei im Jahr 1979 in L geboren worden. Kurz darauf sei er in die Türkei gebracht worden. Erst im Jahr 2001 sei er wieder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Ausbildung" rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Die für die Absolvierung des Bakkalaureatsstudiums der Informatik sowie des Diplomstudiums der Betriebswirtschaft an der Universität Innsbruck gewährte Aufenthaltsberechtigung sei mehrfach, zuletzt am 25. November 2005 mit Gültigkeit bis 25. November 2006, verlängert worden. Die letzte Prüfung im Rahmen seiner Studien habe der Beschwerdeführer am 7. Oktober 2005 abgelegt. Am 24. November 2006 habe er einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht und vorgebracht, dass er seit 6. Dezember 2005 im Besitz eines Befreiungsscheines mit Gültigkeit bis 5. Dezember 2010 sei. Vom 24. Juli 2006 bis 3. Oktober 2006 und vom 20. November 2006 bis 10. Jänner 2007 sei der Beschwerdeführer einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei letztlich vom Bundesminister für Inneres nach den §§ 41, 11 Abs. 2 und 29 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Bescheid vom 17. September 2007 abgewiesen worden.

In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nur im Zeitraum vom 27. Jänner 2003 bis 7. Oktober 2005 Prüfungen abgelegt, weshalb von einem ungenügenden Studienerfolg auszugehen sei. Daraufhin sei der Beschwerdeführer für zwei kurze, ein Jahr nicht übersteigende Zeiträume einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Dies sei vom für ihn ausgestellten Aufenthaltstitel nicht erfasst gewesen. Die Voraussetzungen für die Änderung des Aufenthaltszweckes seien nicht vorgelegen. Nach § 53 Abs. 1 FPG könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Erlassung der Ausweisung sei auch im Grunde des § 66 FPG zulässig. Infolge des seit 2001 bestehenden Aufenthaltes werde zwar durch die Ausweisung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen, jedoch stelle es einen schwerwiegenden Verstoß gegen die "einschlägigen Rechtsvorschriften" und eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung dar, wenn ein Fremder zum Zweck eines Studiums nach Österreich einreise, dieses nicht mit Erfolg betreibe und anschließend eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnehme. Auch könne der Beschwerdeführer, weil er nicht länger als ein Jahr einer Beschäftigung nachgegangen sei, keine Ansprüche aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die hier relevanten Vorschriften des FPG und des NAG in der Fassung vor der durch das Bundesgesetz BGBl I Nr. 29/2009 erfolgten Novellierung anzuwenden sind.

Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides infolge seines am 24. November 2006 vor Ablauf der Gültigkeit seines bisherigen Aufenthaltstitels gestellten Antrages rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Fremde halten sich nach § 31 Abs. 1 FPG rechtmäßig - unter anderem und soweit fallbezogen von Relevanz - im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2) oder soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt (Z 7).

Der belangten Behörde ist nun vorzuwerfen, dass sie sich mit der Frage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet rechtmäßig sei, trotz eines darauf abzielenden Vorbringens in der Berufung nicht näher auseinander gesetzt hat. Aus den von der belangten Behörde durch Bestätigung des erstinstanzlichen Spruches übernommenen Rechtsgrundlagen lässt sich erschließen, dass sie offenbar - ohne dies zu begründen - davon ausgeht, der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei infolge der Abweisung des von ihm gestellten Zweckänderungsbegehrens unrechtmäßig, zumal die Gültigkeit des zuletzt für ihn ausgestellten Aufenthaltstitels am 25. November 2006 geendet hatte.

Dabei beachtete die belangte Behörde aber nicht, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden der kurz vor Ablauf der zum Zweck des Studiums erteilten Aufenthaltsbewilligung gestellte Antrag des Beschwerdeführers, der im Verfahren zur Erteilung des Aufenthaltstitels vorbrachte, seinem Studium weiterhin nachgehen zu wollen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 41 NAG sowohl die Verlängerung des Aufenthaltsrechts in Österreich als auch gleichzeitig den Umstieg auf einen anderen Aufenthaltstitel bezweckte. Ein solcher Antrag ist nicht bloß als Zweckänderungsantrag, sondern auch als Verlängerungsantrag im Sinn von § 2 Abs. 1 Z 11 und § 24 Abs. 4 NAG anzusehen (vgl. das eine gleiche Konstellation zum Gegenstand habende hg. Erkenntnis vom 14. Juni 2007, 2006/18/0134). Eine solche Antragstellung erweist sich auch nach § 24 Abs. 4 erster Satz NAG, wonach mit einem Verlängerungsantrag die Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder die Änderung des Aufenthaltstitels (nur dann) verbunden werden kann, wenn der beantragte andere Aufenthaltstitel nach den Bestimmungen des NAG im Anschluss an den bisherigen Aufenthaltstitel erteilt werden kann, nicht als unzulässig, weil § 41 Abs. 5 NAG die Möglichkeit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung iSd § 41 NAG im Anschluss an eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausdrücklich vorsieht (vgl. zum Verhältnis des § 24 Abs. 4 und § 8 Abs. 5 NAG das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, 2007/21/0186, sowie zu § 24 Abs. 4 NAG auch das einen "Übergangsfall" betreffende hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, 2008/22/0075). An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die begehrte Zweckänderung letztlich nicht vorlagen, weil dies erst im dafür vorgesehenen Verfahren zu klären war.

Gemäß § 24 Abs. 2 NAG ist ein Antragsteller unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Verlängerungsantrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der angefochtene Bescheid enthält nun keine Feststellungen, wonach über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung - dass sein Antrag jedenfalls auch auf eine solche abzielte, ergibt sich schon aus seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren, trotz einer Erwerbstätigkeit auch sein Studium hier weiterhin betreiben zu wollen - bereits rechtskräftig entschieden worden wäre (im Übrigen geht dies auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht hervor, dem in den Akten erliegenden Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. September 2007, womit das auf Zweckänderung gerichtete Begehren abgewiesen wurde, ist vielmehr zu entnehmen, dass mit diesem Bescheid ein gesonderter Abspruch iSd § 24 Abs. 4 zweiter Satz NAG erfolgte). Sohin ist der Aufenthalt des Beschwerdeführers gemäß § 31 Abs. 1 Z 7 FPG iVm § 24 Abs. 2 NAG als rechtmäßig anzusehen. Ein rechtmäßiger Aufenthalt steht aber der Erlassung einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG entgegen.

Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid machen darüber hinaus für das fortgesetzte Verfahren folgende Ergänzung erforderlich:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es geboten, für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 zukommt, den Instanzenzug zu einem Tribunal einzurichten und daher § 9 Abs. 1 Z 1 FPG, wonach über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern entscheiden, anzuwenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, 2007/18/0229, mwH).

Die belangte Behörde ging im vorliegenden Fall ohne nähere Begründung davon aus, dass sie nach § 9 Abs. 1 Z 1 FPG zur Erlassung der gegenständlichen Berufungsentscheidung befugt wäre. Auf Grund der Aktenlage ist erkennbar, dass sie ihre Zuständigkeit offenbar infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 24. Jänner 2008, C-294/06 (Rs. Payir u.a.), bejahte. Mit diesem Urteil hat der EuGH ausgesprochen, dass der Umstand, dass ein türkischer Staatsangehöriger als Student in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist ist, ihm nicht die Eigenschaft als Arbeitnehmer nehmen kann und ihn nicht von der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ausschließt, und dies daher den betreffenden Staatsangehörigen nicht daran hindert, sich auf diese Vorschrift zu berufen, um eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis zu erhalten und in den Genuss eines entsprechenden Aufenthaltsrechts zu kommen. Dies bedeutet aber nicht, dass sich von vornherein jeder Student, der türkischer Staatsangehöriger ist und während seines Studiums einer Erwerbstätigkeit nachgeht, auf Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 berufen kann. Vielmehr müssen die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Rz 27 ff. des genannten Urteiles des EuGH vom 24. Jänner 2008).

Dem angefochtenen Bescheid ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde anhand der von ihr getroffenen Feststellungen das Bestehen eines aus Art. 6 ARB 1/80 resultierenden Anspruches wegen Fehlens der diesbezüglichen Voraussetzungen letztlich verneinte. Dies hätte allerdings zur Folge, dass sie zur Erlassung der gegenständlichen Berufungsentscheidung nicht zuständig gewesen wäre. Somit steht die Begründung des angefochtenen Bescheides im Widerspruch zur Annahme der belangten Behörde, ihre Zuständigkeit bestehe, weshalb sie ihren Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastete. Da der Beschwerdeführer allerdings vorbringt, die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 zu erfüllen, wird sich die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren auch mit den ihre Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht auseinander zu setzen haben.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - der vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Juni 2009

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