VwGH 2008/22/0439

VwGH2008/22/04393.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Juli 2007, 149.180/2- III/4/07, betreffend Daueraufenthaltskarte, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
NAG 2005 §2 Abs1 Z14;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §52 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
NAG 2005 §2 Abs1 Z14;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §52 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 6. Juli 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Ghana, auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte, der von der belangten Behörde als Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "Familienangehöriger" gewertet wurde, gemäß §§ 21 Abs. 1, 52 Z. 1 und 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in seiner fristgerecht gegen den erstinstanzlichen Bescheid eingebrachten Berufung auf die Freizügigkeit nach dem EU-Recht hingewiesen habe, da seine Ehefrau eine im Bundesgebiet zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit niedergelassene deutsche Staatsangehörige und somit freizügigkeitsberechtigt sei.

Unter Hinweis auf die §§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 und 2 NAG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe entgegen der Bestimmung des § 19 Abs. 1 NAG seinen Antrag am 8. September 2006 durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter und nicht - wie zwingend erforderlich sei - persönlich bei der Behörde gestellt. Diese offenkundige Tatsache werde durch seinen Antrag dokumentiert.

Der Beschwerdeführer sei am 8. Dezember 1999 illegal nach Österreich eingereist, sein Asylverfahren sei in zweiter Instanz am 4. Dezember 2000 rechtskräftig "negativ" entschieden worden. Ein weiteres Asylverfahren sei gemäß § 30 AsylG eingestellt, der dritte Asylantrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen worden.

Das vorläufige Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers gemäß AsylG habe "mit dem rechtskräftigen Abschluss" seines Asylverfahrens geendet und er halte sich somit seit diesem Zeitpunkt illegal im Bundesgebiet auf.

Am 8. September 2006 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eine Niederlassungsbewilligung als "Familienangehöriger" gestellt. Für die belangte Behörde stehe fest, dass dieser Antrag im Inland eingebracht worden sei und sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Antragstellung im Inland aufgehalten habe, da er seit 29. März 2001 durchgehend im Bundesgebiet polizeilich aufrecht gemeldet sei.

Es liege daher der Versagungsgrund einer unzulässigen Inlandsantragstellung vor.

Aus dem Akteninhalt sowie dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergäben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes. Allein der Umstand, dass er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, könne keine humanitären Gründe im Sinne des § 72 NAG begründen, zumal sein Aufenthalt, während dessen er die Lebensgemeinschaft geschlossen habe, ein unrechtmäßiger gewesen sei und es noch immer sei. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Da der Gesetzgeber bereits bei Erlassung des § 72 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen habe, könne davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse - auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich sei.

Bezüglich der Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG werde festgehalten, dass der Beschwerdeführer die dort festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle und er daher auch kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen könne. Der Beschwerdeführer habe zutreffend dargetan, dass seine Ehefrau das Recht auf die (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Als Angehöriger eines EWR-Bürgers habe er kein unmittelbares, sondern ein abgeleitetes Recht, das voraussetze, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger den EWR-Bürger begleite oder zu ihm nachziehe. Beide Alternativen würden durch den Beschwerdeführer nicht erfüllt, da er bereits seit 8. Dezember 1999 in Österreich aufhältig sei, seine (nunmehrige) Ehefrau aber erst am 11. März 2006 in Wien geheiratet habe. Die Eheschließung für sich alleine genommen schaffe somit weder ein Aufenthaltsrecht, noch ersetze sie das notwendige Begleiten oder Nachziehen im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z. 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.

Gemäß § 52 Z. 1 NAG zählen Ehegatten zu Angehörigen von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern.

Das "Recht auf Freizügigkeit" ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 14 NAG das gemeinschaftsrechtliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08 , Rs Metock, Folgendes ausgesprochen:

"1. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können.

2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist dahin gehend auszulegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, ist und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist."

Ein Drittstaatsangehöriger, der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, und der diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, kann sich somit auf die Bestimmungen der genannten Richtlinie unabhängig davon berufen, auf welchem Weg er in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt ist und wann die Ehe geschlossen wurde. Die Wortfolge "diesen begleiten oder zu ihm nachziehen", an die § 52 NAG u.a. das Niederlassungsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern knüpft, ist im Sinne der oben zitierten Entscheidung des EuGH auszulegen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist der Beschwerdeführer, der - unbestritten - ein mit einer deutschen Staatsangehörigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, verheirateter Drittstaatsangehöriger ist, zur Niederlassung in Österreich berechtigt.

Gemäß § 55 NAG hat die Behörde bei Vorliegen einer Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit oder weil die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 leg. cit. - wozu das Erfordernis der Auslandsantragstellung nicht zählt - nicht erbracht werden, den Antragsteller vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen zur Dokumentation des Niederlassungsrechts schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§§ 53 und 54 FPG), hat die Fremdenpolizeibehörde dies der Behörde mitzuteilen, die dann die Dokumentation des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts unverzüglich vorzunehmen hat. Anderenfalls ist das Verfahren einzustellen. Über Berufungen gegen Entscheidungen betreffend Aufenthaltsbeendigungen gegen begünstigte Drittstaatsangehörige - als solcher ist der Beschwerdeführer anzusehen - entscheiden gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern.

Somit ist das von der Beschwerde behauptete Erfordernis der Zuständigkeit eines umfassend prüfenden "Gerichts" im Sinne der Unionsbürgerrichtlinie auch für Verfahren, wie das gegenständliche, letztlich gegeben. Es bestand daher keine Veranlassung, der Anregung des Beschwerdeführers zu folgen, ein (weiteres) Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu stellen.

Die belangte Behörde ist demnach nicht berechtigt, das - nicht zu verleihende, sondern lediglich zu dokumentierende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2009, 2009/18/0024) - Niederlassungsrecht eines Angehörigen iSd § 54 Abs. 1 NAG aus Gründen der Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG zu verneinen.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 3. April 2009

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