VwGH 2008/22/0414

VwGH2008/22/041417.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch MMag. Christoph Doppelbauer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Vogelweiderstraße 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Jänner 2007, Zl. 144.281/5- III/4/06, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist bezüglich Erstniederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 25. Jänner 2007 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen des Kongo, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt W vom 16. Februar 2006, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen.

Der Beschwerdeführer habe am 12. Jänner 2005 bei der Bezirkshauptmannschaft L einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gestellt, der zuständigkeitshalber an den Magistrat der Stadt W weitergeleitet und von diesem mit Bescheid vom 6. Juli 2005 "zurück- bzw. abgewiesen" worden sei. Auf Grund der Aktenlage stehe fest, dass die Zustellung dieses Bescheides des Magistrates der Stadt W laut vom Beschwerdeführer selbst unterschriebenem Rückschein RSa rechtswirksam am 12. Juli 2005 erfolgt sei. Gegen diesen Bescheid habe der Beschwerdeführer nicht fristgerecht berufen, da seine Berufung erst am 27. Juli 2005 verspätet eingebracht worden sei. Folglich habe die belangte Behörde die Berufung mit Bescheid vom 3. Oktober 2005 als verspätet zurückgewiesen.

Am 16. November 2005 sei im Bundesministerium für Inneres der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 14. November 2005 eingelangt. Der Magistrat der Stadt W habe den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom 16. Februar 2006 - zugestellt am 20. Februar 2006 durch Hinterlegung beim Zustellpostamt W - abgewiesen. Am 6. März 2006 habe der Beschwerdeführer per Post die verfahrensgegenständliche Berufung eingebracht.

Unter Hinweis auf § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer bringe vor, er hätte am 20. Juli 2005 nach persönlicher Übernahme des Bescheides des Magistrates W am 12. Juli 2005 mit einem Mitarbeiter der Caritas-Rechtsberatung wegen Berufungserhebung Kontakt aufgenommen und dieser habe ihm "eine Berufung gegen diesen Bescheid zugesagt" und ihm als Termin für die Unterfertigung dieser Berufung den 27. Juli 2005 genannt.

Dieses vom Beschwerdeführer behauptete Ereignis sei weder als unvorhergesehen noch als unabwendbar zu bezeichnen. Sowohl der Beschwerdeführer als auch der Mitarbeiter der Caritas-Rechtsberatung wären auf Grund der fehlerlosen Rechtsmittelbelehrung des Bescheides gehalten gewesen, den letzten Tag für die fristgerecht mögliche Berufungseinbringung zu ermitteln. Dennoch hätten sie konsensual als Tag der Berufungsfertigung nicht den 26., sondern den 27. Juli 2005 vereinbart. Dass die einzubringende Berufung verspätet sein würde, sei somit bereit am 20. Juli 2005 vorherzusehen und abwendbar gewesen. Bei ausreichender und angemessener Sorgfalt wäre damit jedenfalls eine fristgerechte Berufungseinbringung möglich gewesen. Weder durch den Beschwerdeführer noch durch den Rechtsberater der Caritas sei jedoch eine adäquate Sorgfalt aufgewendet worden. Somit habe der Beschwerdeführer begrifflich kein Ereignis behauptet und auch nicht glaubhaft gemacht, durch welches er verhindert sein hätte können, die Berufungsfrist einzuhalten.

An der Fristversäumnis treffe ihn damit aber jedenfalls das Verschulden und es liege kein minderer Grad des Versehens vor, zumal für die einfache Einhaltung einer Rechtsmittelfrist keinerlei fachliche Kompetenz benötigt werde. Selbst bei Unsicherheit über den Berechnungsmodus der Frist hätte es die ausreichende Sorgfalt geboten, die Berufung beispielsweise früher als am letzten Tag der Frist einzubringen oder sich bei der belangten Behörde rechtzeitig näher über die gesetzlichen Erfordernisse zu informieren. Dass der Beschwerdeführer an der Aufwendung einer in diesem Sinn ausreichenden Sorgfalt verhindert gewesen wäre, habe er nicht behauptet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Unter "Ereignis" im Sinn der vorzitierten Vorschrift ist jegliches Geschehen, ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt, zu verstehen, wobei auch ein Rechtsirrtum oder ein Irrtum über die richtige Einbringungsstelle ein maßgebliches "Ereignis" darstellen kann (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 40 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur).

Die Beschwerde bringt vor, der Mitarbeiter der Rechtsberatungsstelle sei vom Beschwerdeführer nicht bevollmächtigt worden und somit sei ein allfälliges Verschulden des Mitarbeiters der Rechtsberatungsstelle nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen. Maßgeblich sei daher, ob den Beschwerdeführer selbst ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der verspäteten Berufung treffe. Dass dem Beschwerdeführer bei der Auswahl oder bei der erforderlichen Überwachung der Hilfsperson ein solches Verschulden vorzuwerfen sei, sei auch seitens der belangten Behörde nicht angenommen worden. Der Beschwerdeführer, dem von dem Mitarbeiter der Rechtsberatung zugesagt worden sei, eine Berufung zu erstellen, habe mit gutem Recht davon ausgehen können, dass der Mitarbeiter der Rechtsberatungsstelle diese Angelegenheit auch fristwahrend erledigen werde. Er habe zur bestmöglichen Wahrung seiner Interessen die Rechtsberatungsstelle aufgesucht, sodass er von einer ausreichenden Kompetenz und Verlässlichkeit dieser Rechtsberatungsstelle ausgehen habe können. Einem rechtsunkundigen Asylwerber, der nur sporadisch mit österreichischen Behörden und Verfahrensgesetzen Kontakt habe, könne man nicht die Pflicht auferlegen, trotz Konsultation einer kompetenten und verlässlichen Rechtsberatungsstelle diese auch noch überwachen zu müssen. Jedenfalls könne nicht gesagt werden, ein nicht ausreichend sprach- und rechtskundiger Rechtsuchender wie der Beschwerdeführer habe das zumutbare Maß an Aufmerksamkeit so extrem unterschritten und somit sorglos gehandelt.

Zunächst ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen, dass - da nichts auf ein Bevollmächtigungsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem Mitarbeiter der Rechtsberatungsstelle hinweist - diesem ein allfälliges Verschulden des Mitarbeiters der Rechtsberatungsstelle nicht zuzurechnen ist.

Somit stellt sich die Frage, ob es ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Beschwerdeführers darstellt, dass er sich auf die unrichtige Berechnung der Berufungsfrist durch den Mitarbeiter der Rechtsberatungsstelle verlassen hat.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt. Eine auffallende Sorglosigkeit des Beschwerdeführers erblickt die belangte Behörde vor allem darin, dass dieser trotz fehlerloser Rechtsmittelbelehrung im Bescheid den letzten Tag für die fristgerecht mögliche Berufungseinbringung nicht selbst ermittelt habe, wofür keine besondere fachliche Kompetenz benötigt werde.

Im vorliegenden Fall hat sich der Beschwerdeführer an die Rechtsberatung der Caritas, also eine für Migranten Rechtsberatung anbietende Hilfsorganisation (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, 2007/18/0321), gewandt. Der Mitarbeiter der Caritas-Rechtsberatung hat dem Beschwerdeführer zugesagt, für ihn eine Berufung gegen den abweisenden Bescheid des Magistrates der Stadt W zu verfassen und - nach Unterschrift des Beschwerdeführers am 27. Juli 2005 - abzusenden. Ausgehend davon kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass der unterlaufene Irrtum bezüglich der Berufungsfrist ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Beschwerdeführers begründet. Er ist der ihn als "ordentliche Prozesspartei" treffenden Sorgfaltspflicht (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 618) insofern nachgekommen, als er die Rechtsberatung durch die Caritas in Anspruch genommen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 2005, 2005/20/0080).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 17. Dezember 2009

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