VwGH 2008/21/0379

VwGH2008/21/037922.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 28. April 2008, Zl. 151.242/2-III/4/08, betreffend Versagung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
NAG 2005 §11 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein am 28. Mai 1991 geborener chinesischer Staatsangehöriger, kam Mitte 2004 zur Ausbildung nach Österreich. Ihm wurden in der Folge entsprechende Aufenthaltstitel erteilt. Zuletzt verfügte er über eine bis 1. November 2007 befristete Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "Schüler".

Mit rechtskräftigem Gerichtsbeschluss vom 18. Juni 2007 wurde die aufgrund eines Adoptionsvertrages erfolgte Annahme des Beschwerdeführers an Kindesstatt durch den chinesischen Staatsangehörigen S. J., der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" verfügt, bewilligt. Unter Berufung auf die Adoption durch seinen Wahlvater stellte der Beschwerdeführer am 18. September 2007 - somit rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels - einen "Verlängerungsantrag/Zweckänderungsantrag" mit dem Ziel der Erlangung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt".

Darüber entschied der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 27. November 2007, wobei der Spruch - unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) als Rechtsgrundlagen - lautete:

"Der am 18.9.2007 gestellte Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung wird abgewiesen."

Die dagegen erhobene Berufung wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 28. April 2008 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 Abs. 2 und § 11 Abs. 2 Z 2 und 4 sowie Abs. 5 NAG ab.

Die fallbezogene Begründung leitete die belangte Behörde damit ein, dass der Adoptivvater des Beschwerdeführers S. J. der "Zusammenführende im Sinne des § 47 NAG" sei, von dem der angestrebte Aufenthaltstitel abgeleitet werden soll, sodass von ihm entsprechende Einkommensnachweise zu erbringen seien. Aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Lohnbestätigung vom 8. April 2008 sei ersichtlich, dass S. J. ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 671,99 beziehe. Nach der Rechtsprechung sei zur Vermeidung einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft durch einen Fremden die Höhe der nachzuweisenden Einkünfte an die Richtsätze des § 293 ASVG zu knüpfen und diesen noch Kredit- und Mietbelastungen sowie "Pfändungen" hinzuzurechnen. Für einen Erwachsenen müsse demnach ein Betrag von EUR 747,-- und für ein Kind ein Betrag von EUR 78,29 frei zur Verfügung stehen. Dazu kämen noch die Mietkosten, deren Berücksichtigung vorliegend entfallen könne, weil der Adoptivvater des Beschwerdeführers nicht einmal den Betrag des Richtsatzes für seine Person habe nachweisen können. Da somit die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel zu gering seien, habe der mit dem "Zweckänderungsantrag" begehrte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden können.

Es sei schließlich auch nicht geboten, gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK einen Aufenthaltstitel zu erteilen, weil nach der Judikatur des EGMR einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zustehe und die genannte Bestimmung nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates umfasse, die Wahl des Familienwohnsitzes anzuerkennen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Der Antrag des Beschwerdeführers war auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 46 Abs. 4 NAG gerichtet. Nach dieser Bestimmung ist der genannte Aufenthaltstitel Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen insbesondere unter der Voraussetzung zu erteilen, dass sie die Bedingungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" innehat. Die mit dem Verweis auf den 1. Teil des NAG (u.a.) angesprochenen allgemeinen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel sind im § 11 angeführt, der in der hier maßgeblichen Fassung vor der (am 1. April 2009 in Kraft getretenen) Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 auszugsweise wie folgt lautete:

"§ 11.

(1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

  1. 1. ...
  2. 2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
  3. 3. ...
  4. 4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
  5. 5. ...
  6. 6. ...

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.

(4) ...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen."

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde die Antragsabweisung nach dem Spruch des angefochtenen Bescheides auch auf den Grund des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG - Fehlen einer ortsüblichen Unterkunft - stützte, sich in der Bescheidbegründung aber dazu keine Ausführungen finden, obwohl im erstinstanzlichen Bescheid (offenbar wegen des vom Beschwerdeführer auf Vorhalt dazu unter Vorlage einer Bestätigung erstatteten Vorbringens) dieser Abweisungsgrund nicht herangezogen worden war.

In tragender Weise könnte sich die Versagung der beantragten Niederlassungsbewilligung somit nur auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG - Gefahr der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft infolge unzureichender Einkünfte - stützen. Insoweit ist die belangte Behörde davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe lediglich ein den Richtsätzen des § 293 ASVG nicht entsprechendes monatliches Nettoeinkommen seines Adoptivvaters in der Höhe von EUR 671,99 nachgewiesen.

Dem tritt die Beschwerde mit dem Hinweis entgegen, der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 9. April 2008 den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2007 und eine Lohnbestätigung vorgelegt. Aus den Urkunden ergebe sich, dass der Adoptivvater des Beschwerdeführers sowohl selbständig tätig, als auch "angestellt" sei. Aus der selbständigen Tätigkeit habe er 2007 ein Einkommen in der Höhe von insgesamt EUR 9.010,07, somit monatlich EUR 750,84, bezogen. Als unselbständig Beschäftigter erhalte er ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 671,99 (14x jährlich), sodass sich ein Durchschnittsnettoeinkommen als "Dienstnehmer" von EUR 783,99 errechne. Das Gesamteinkommen des Adoptivvaters des Beschwerdeführers betrage daher EUR 1.534,83, was zweifellos ausreiche, um für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufzukommen.

Dem Einwand, die belangte Behörde habe das vom Adoptivvater des Beschwerdeführers aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen zu Unrecht nicht berücksichtigt, kommt Berechtigung zu:

Aus der Aktenlage ergibt sich, dass S. J. seit dem Jahr 2004 Pächter eines Gastlokales ist und in St. Pölten ein Asia-Restaurant betreibt. Auch in der Berufung wurde erwähnt, dass der Beschwerdeführer "ein Restaurant hat", auf seine Stellung als Selbständiger verwiesen und die damit verbundenen Schwierigkeiten, in der "saisonabhängigen Gastronomie" ein "festes" Einkommen nachzuweisen, ins Treffen geführt. Über Aufforderung der belangten Behörde vom 31. März 2008, (u.a.) den gesicherten Lebensunterhalt der letzten sechs Monate des Adoptivvaters des Beschwerdeführers nachzuweisen, wurde sodann auch der Einkommenssteuerbescheid vom 27. März 2008 für S. J. betreffend das Jahr 2007 vorgelegt. Daraus ergeben sich - wie in der Beschwerde aufgezeigt - einerseits "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" von etwa EUR 9.500,-- und andererseits "Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit" für die C. C. GmbH (nach Abzug der Werbungskosten) von EUR 1.570,--. Letzteres korrespondiert mit einer im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Bestätigung, wonach S. J. im Restaurantbetrieb der genannten Gesellschaft seit 16. Oktober 2007 als Koch beschäftigt sei, wobei ein Nettomonatsbezug von EUR 671,99 ausgewiesen ist. Eine solche, mit 8. April 2007 datierte Bestätigung legte der Beschwerdeführer auch im Berufungsverfahren vor, in der Nettobezüge für Jänner und Februar 2008 von jeweils EUR 671,99 und für März 2008 von EUR 645,59 angeführt sind.

Vor diesem Hintergrund ist somit nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde, hätte sie auch auf das Einkommen des Adoptivvaters des Beschwerdeführers aus selbständiger Tätigkeit Bedacht genommen, zu einem anderen Bescheid gekommen wäre. Im Übrigen ist aber auch noch anzumerken, dass die nach § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmende Interessenabwägung auch eine fallbezogene Auseinandersetzung mit den konkreten Lebensumständen des Beschwerdeführers und dem daraus ableitbaren Interesse an der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens in Österreich erfordert hätte (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2009, Zl. 2008/22/0387).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. In den dort vorgesehenen Pauschalbeträgen ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodass das auf deren gesonderten Zuspruch gerichtete Begehren abzuweisen war.

Wien, am 22. Dezember 2009

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