VwGH 2008/05/0258

VwGH2008/05/025815.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde 1. des J H, 2. der E H, 3. des R R, und 4. der R R, alle in St. Leonhard am Forst, alle vertreten durch Hofbauer & Wagner Rechtsanwälte Partnerschaft, in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 17. Oktober 2008, Zl. RU1-BR-797/001-2007, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Partei: Ö GmbH in St. Leonhard am Forst, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner und Dr. Hubert Schweighofer, Rechtsanwälte in 3390 Melk, Bahnhofstraße 5), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §14;
BauO NÖ 1996 §15 Abs3;
BauO NÖ 1996 §15;
BauO NÖ 1996 §2;
BauO NÖ 1996 §35 Abs2;
BauO NÖ 1996 §35 Abs3;
BauO NÖ 1996 §35;
BauO NÖ 1996 §6 Abs1 Z3;
BauPolZuständigkeitsübertragung NÖ 1997;
BauRallg;
GdO NÖ 1973 §32 Abs4;
AVG §38;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §14;
BauO NÖ 1996 §15 Abs3;
BauO NÖ 1996 §15;
BauO NÖ 1996 §2;
BauO NÖ 1996 §35 Abs2;
BauO NÖ 1996 §35 Abs3;
BauO NÖ 1996 §35;
BauO NÖ 1996 §6 Abs1 Z3;
BauPolZuständigkeitsübertragung NÖ 1997;
BauRallg;
GdO NÖ 1973 §32 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben insgesamt dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehen der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 18. Oktober 2006 wurde der mitbeteiligten Partei unter Spruchpunkt I. "die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der Gesamtanlage eines Handelszentrums (Einkaufszentrum Ö I) samt genereller technischer Ausstattung und von Außenanlagen (Generalgenehmigung) im Standort 3244 Ruprechtshofen, Hauptstraße 33, Grst. Nr. 167/1 und 167/7, KG und Marktgemeinde Ruprechtshofen", gemäß "§§ 74 Abs. 2, 77, und 359 Abs. 1 1. und 2. Satz iVm. 356e der Gewerbeordnung 1994 - GewO 1994" unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides erteilte die Bezirkshauptmannschaft Melk der mitbeteiligten Partei "die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Handelszentrums samt eines Parkplatzes im Standort Grundstück Nr. 167/1, 167/7, KG und Marktgemeinde Ruprechtshofen" unter Vorschreibung von Auflagen gemäß § 14 Z. 1 und § 23 Niederösterreichische Bauordnung 1996 sowie § 1 der NÖ Bau-Übertragungsverordnung, LGBl. 1090/2-4.

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer der im Norden an die Baugrundstücke angrenzenden, nebeneinander liegenden Grundstücke Nr. 252, 255 und 254, KG Ruprechtshofen (von Osten nach Westen).

Unter Vorlage der geänderten Projektsunterlagen beantragte die mitbeteiligte Partei am 23. März 2007 die Änderung des Generalgenehmigungsbescheides. Mit Schreiben vom 30. Mai 2007 wurde eine Bauanzeige bezüglich der beantragten Änderungen erstattet.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 1. Juni 2007 wurde der mitbeteiligten Partei

"die gewerbebehördliche Genehmigung für die Abänderung des mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 18.10.2006, ..., generalgenehmigten Einkaufszentrums ...., durch Änderung der haustechnischen Einrichtungen wie der mechanischen Lüftungsanlagen, Kälteanlagen und Kondensatoren, Durchführung von Umbaumaßnahmen und Raumumgruppierungen"

erteilt.

Der Bescheid enthält eine Projektbeschreibung aus "bautechnischer", "maschinenbautechnischer", "lärmtechnischer Sicht". Die dem Änderungsantrag der mitbeteiligten Partei zu Grunde liegenden Projektsunterlagen sowie die Projektsbeschreibung wurden zu einem wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides erklärt. Der Bescheidspruch enthält den Hinweis, dass "dieser Bescheid nur für den geänderten Betriebsanlagenteil gilt". Gestützt wurde dieser Bescheid auf die "§§ 81, 77, 74 Abs. 2, 359 Abs. 1 1. und 2. Satz iVm § 356e der Gewerbeordnung 1994".

In der Begründung führte die Behörde - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - unter Hinweis auf § 15 Abs. 1 Niederösterreichische Bauordnung 1996 aus, dass die Bauanzeige der mitbeteiligten Partei zur Kenntnis genommen werde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer "als unzulässig zurückgewiesen", weil sich das gegenständliche Änderungsverfahren nur auf ein anzeigepflichtiges Bauvorhaben nach § 15 Abs. 1 Z. 2 Niederösterreichische Bauordnung 1996 beziehe. Im Bauanzeigeverfahren hätten jedoch die Nachbarn keine Parteistellung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf Parteistellung verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Niederösterreichischen

Bauordnung 1996 (NÖ BauO 1996) lauten:

"§ 2

Zuständigkeit

(1) Baubehörde erster Instanz ist

der Bürgermeister

der Magistrat (in Städten mit eigenem Statut)

Baubehörde zweiter Instanz ist

der Gemeindevorstand (Stadtrat)

der Stadtsenat (in Städten mit eigenem Statut) (örtliche Baupolizei)

...

§ 3

Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

(1) Aufgaben, die nach diesem Gesetz von der Gemeinde zu besorgen sind, fallen in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.

...

§ 6

Parteien, Nachbarn und Beteiligte

(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:

  1. 1. der Bauwerber und/oder der Eigentümer des Bauwerks
  2. 2. der Eigentümer des Baugrundstücks
  3. 3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und

    4. die Eigentümer eines ober- oder unterirdischen Bauwerks auf den Grundstücken nach Z. 2 und 3, z.B. Superädifikat, Baurechtsobjekt, Keller, Kanalstrang (Nachbarn).

    Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten berührt sind. Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.

    ..."

    In der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 (NÖ GO 1973) wird angeordnet:

    "§ 32

    Eigener Wirkungsbereich

    ...

(4) Auf Antrag einer Gemeinde kann die Besorgung einzelner Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung durch Verordnung der Landesregierung auf eine staatliche Behörde übertragen werden. Soweit durch eine solche Verordnung eine Zuständigkeit auf eine Bundesbehörde übertragen werden soll, bedarf sie der Zustimmung der Bundesregierung. Auf die Dauer der Wirksamkeit einer solchen Verordnung ist die Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde eine Angelegenheit der staatlichen Verwaltung und als solche dem in Betracht kommenden administrativen Instanzenzug unterworfen. Die Verordnung ist aufzuheben, sobald der Grund für ihre Erlassung weggefallen ist. Die Übertragung erstreckt sich nicht auf das Verordnungsrecht nach § 33 Abs. 1."

Mit der NÖ Bau-Übertragungsverordnung LGBl. Nr. 1090/2 wurden ab 1. August 1997 die Angelegenheiten der örtlichen Baupolizei bei gewerblichen Betriebsanlagen, die einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürfen, aus dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde Ruprechtshofen auf die Bezirkshauptmannschaft Melk zur Besorgung übertragen, wobei die hier nicht in Betracht kommenden, im § 2 genannten Angelegenheiten ausgenommen sind.

Ist auf Grund einer Übertragungsverordnung die Zuständigkeit von der Gemeinde auf Landesbehörden übergegangen, hat über die Berufung gegen einen von der Bezirkshauptmannschaft erlassenen Bescheid die Landesregierung zu entscheiden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/05/0136, sowie den hg. Beschluss vom 27. Oktober 1998, Zl. 98/05/0097).

Gemäß § 6 Abs. 1 Z. 3 NÖ BauO 1996 haben in Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 Nachbarn (das sind die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind), Parteistellung.

Für die im § 15 NÖ BauO 1996 aufgezählten anzeigepflichtigen Vorhaben gelten folgende, in den Abs. 2 und 3 dieses Paragraphen normierten Verfahrensvorschriften (auszugsweise):

"(2) Der Anzeige sind zumindest eine Skizze und Beschreibung in zweifacher Ausfertigung anzuschließen, die zur Beurteilung des Vorhabens ausreichen. ...

(3) Widerspricht das angezeigte Vorhaben den Bestimmungen dieses Gesetzes,

des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000,

des NÖ Kanalgesetzes, LGBl. 8230 oder

einer Durchführungsverordnung zu einem dieser Gesetze, hat die Baubehörde das Vorhaben mit Bescheid zu untersagen.

Ist zu dieser Beurteilung des Vorhabens die Einholung eines Gutachtens notwendig, dann muss die Baubehörde dies dem Anzeigeleger nachweislich mitteilen.

(4) Wenn von der Baubehörde innerhalb der in Abs. 1 genannten Frist keine Untersagung oder Mitteilung nach Abs. 3 erfolgt, dann darf der Anzeigeleger das Vorhaben ausführen.

(5) War die Einholung von Gutachten notwendig, hat die Baubehörde bei einem Widerspruch nach Abs. 3, 1. Satz, binnen 3 Monaten ab der Mitteilung des Gutachtenbedarfs das Vorhaben mit Bescheid zu untersagen. Verstreicht auch diese Frist, darf der Anzeigeleger das Vorhaben ausführen."

Nach Auffassung der Beschwerdeführer habe die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die Bauanzeige der mitbeteiligten Bauwerberin zur Kenntnis genommen, obwohl das angezeigte Bauvorhaben baubewilligungspflichtig sei. Die belangte Behörde habe daher ihre Parteistellung im Bauverfahren unzutreffender Weise verneint.

Liegt wie im Beschwerdefall eine ausdrückliche Bauanzeige vor, so ist diese im Verfahren nach § 15 NÖ BauO 1996 zu erledigen. Widerspricht das angezeigte Vorhaben den dort genannten Bestimmungen, so hat die Baubehörde das Vorhaben mit Bescheid gemäß § 15 Abs. 3 NÖ BauO 1996 zu untersagen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. März 2006, Zl. 2005/05/0011). Eine Parteistellung des Nachbarn in diesem Verfahren gibt es nicht.

Wenn keine Baubewilligung, aber eine Bauanzeige vorliegt, muss die Behörde im Bauauftragsverfahren nach § 35 NÖ BauO 1996 klären, ob diese Anzeige den in § 15 NÖ BauO 1996 genannten Anforderungen entsprochen hat, gegebenenfalls ist ein Bauauftrag ausgeschlossen. Im Falle der Verneinung ist dem Eigentümer des Bauwerks entweder die Möglichkeit, einen Antrag auf Baubewilligung zu stellen, allenfalls eine weitere Bauanzeige zu erstatten, einzuräumen oder der Bauauftrag wegen von vornherein gegebener Unzulässigkeit des Bauwerkes zu erteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/05/0181).

Im Falle der unrichtigen Beurteilung der Bewilligungspflicht eines nach § 15 NÖ BauO 1996 angezeigten Bauvorhabens durch die Baubehörde oder eines späteren Hervorkommens der Baubewilligungspflicht eines angezeigten Bauvorhabens sind somit baupolizeiliche Maßnahmen zulässig. Der Erstattung einer Bauanzeige bzw. deren Kenntnisnahme durch die Baubehörde kommt nämlich keine Bescheidqualität zu, sodass keine bindende Entscheidung über die Bewilligungspflicht vorliegt und gemäß § 38 AVG die Frage der Bewilligungspflicht im baupolizeilichen Verfahren nach § 35 NÖ BauO 1996 erneut zu prüfen ist. In Wahrheit liegt in einem derartigen Fall keine Anzeige eines Bauwerkes nach § 15 NÖ BauO 1996, auf die es nach § 35 Abs. 2 und 3 NÖ BauO 1996 aber ankommt, vor, sondern die im Rahmen des § 35 NÖ BauO 1996 bedeutungslose Anzeige eines nach § 14 NÖ BauO 1996 bewilligungspflichtigen Bauvorhabens, das durch die Erstattung der Anzeige nicht zu einem anzeigepflichtigen Bauvorhaben wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2002, Zl. 2000/05/0059).

Ausgehend von dieser Rechtslage hat daher die belangte Behörde die gegen die Kenntnisnahme der Bauanzeige gerichtete Berufung der Beschwerdeführer zu Recht zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer wurden somit in dem von ihnen vor dem Verwaltungsgerichtshof allein geltend gemachten "Recht auf Parteistellung" nicht verletzt.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Im pauschalierten Schriftsatzaufwand ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, weshalb das Kostenmehrbegehren der mitbeteiligten Partei abzuweisen war.

Wien, am 15. Dezember 2009

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