VwGH 2006/18/0083

VwGH2006/18/008311.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des H M in W, geboren am 31. März 1955, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Marxergasse 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Februar 2006, Zl. St 331/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §55 Abs3;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §55 Abs3;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 28. Februar 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen montenegrinischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 iVm den §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei seit 19. Dezember 1991 mit seiner Ehegattin und seinen vier Kindern in Österreich aufhältig. Mit 30. Dezember 2003 habe er seine erste Aufenthaltsberechtigung erhalten, welche als Beginn der Niederlassung zu werten sei.

Am 4. März 2000 sei der Beschwerdeführer erstmals wegen eines Vergehens, nämlich wegen versuchten Diebstahles, zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden.

Am 11. Mai 2004 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht St. Pölten zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen und einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, weil er am 15. Juli 2003 dem J. eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt habe, indem er ihm ein Taschenmesser mit einer 7 cm langen Klinge dreimal in den Bauch sowie in den linken Oberschenkel und den Unterschenkel gestoßen habe, wodurch dieser mehrere Stichwunden erlitten habe. Ferner habe er G. dadurch, dass er sie erfasst und zu Boden gestoßen habe, wodurch sie Blutunterlaufungen an beiden Oberschenkeln erlitten habe, vorsätzlich am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt.

Zuletzt sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht St. Pölten am 7. Dezember 2004 wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zugrunde, dass er am 18. Mai 2004 A. und F. absichtlich eine schwere Körperverletzung zugefügt habe, indem er mit einem Küchenmesser auf diese Personen eingestochen habe und dem Erstgenannten eine Stichwunde in der linken Brustkorbhälfte, eine Schnittwunde an der Rückseite des Oberschenkels, eine Rissquetschwunde am linken Kleinfinger und eine Rissquetschwunde an der linken Hinterhauptregion zugefügt habe sowie dem Zweitgenannten eine tiefreichende Stichwunde an der rechten Gesäßregion mit venöser Gesäßverletzung zugefügt habe. Ferner habe er M. durch einen Messerstich, wodurch der Genannte eine Stichwunde im linken Brustbereich erlitten habe, fahrlässig am Körper verletzt.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sein Lebensmittelpunkt seit 14 Jahren in Österreich wäre und er mit seiner Familie, bestehend aus seiner Ehefrau und vier gemeinsamen Kindern, hier sesshaft wäre. Eine Tochter wäre bereits österreichische Staatsbürgerin, sodass er dadurch begünstigter Drittstaatsangehöriger wäre. Zu seinem Herkunftsstaat ("Jugoslawien") würde keinerlei Bindung mehr bestehen. Sie wären alle in dem von ihm geführten Kleinbetrieb (Kfz-Werkstatt mit angeschlossenem Espresso) beschäftigt, welches Unternehmen mittlerweile geschlossen wäre.

Nach Hinweis auf die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde weiter begründend aus, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, weil der Beschwerdeführer mehrmals gerichtlich verurteilt worden sei.

Der Beschwerdeführer sei bei diesen Straftaten jeweils sehr brutal vorgegangen, habe bereits in zwei Fällen ein Messer verwendet und damit auf Personen eingestochen und habe dadurch in eindeutiger Weise dokumentiert, dass er nicht davor zurückschrecke, Personen schwer zu verletzen. Die Begehung von Straftaten unter Verwendung von Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen sei als sehr schwerwiegend zu betrachten. Von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG sei Gebrauch zu machen gewesen, weil eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte.

Auch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich. Hinsichtlich der persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers sei zu beachten gewesen, dass ihm zweifelsohne eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen sei. Er halte sich seit 19. Dezember 1991 mit seiner Ehefrau und seinen Kindern und Enkelkindern in Österreich auf und gehe auch einer Erwerbstätigkeit nach. Die mehrmalige Begehung von Straftaten, noch dazu unter Verwendung eines Messers, wiege jedoch zu schwer, um eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigen zu können. Es sei hier nur angeführt, dass er im Jahr 2003 einer Person dreimal in den Bauch und in den linken Oberschenkel gestochen habe. Eine derartige Handlungsweise sei nicht bloß eine Abwehrreaktion, sondern stelle einwandfrei dar, dass es ihm darauf angekommen sei, die Person schwer zu verletzen, wobei es mit Sicherheit nicht seiner Kontrolle unterlegen sei, dass nichts Schlimmeres passiert sei.

Im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu stellende negative Verhaltensprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, sodass das Aufenthaltsverbot auch im Sinne des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei.

Die Dauer des von der Erstbehörde verhängten Aufenthaltsverbotes sei nicht als rechtswidrig zu erkennen, weil erst nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden könne, dass er sich an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten würde. Auf Grund der besonderen Brutalität seiner Handlungsweise sei ein längerer Zeitraum notwendig gewesen, um abschätzen zu können, ob bei ihm die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, weggefallen seien würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Wenn die Beschwerde vorbringt, dass der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger zu verstehen sei, weil ein Mitglied seiner Familie bereits österreichischer Staatsbürger sei und ein weiteres volljähriges Kind sich kurz vor der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft befinde, verkennt er die Bestimmung des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, der zufolge Verwandte eines österreichischen Staatsbürgers in gerader aufsteigender Linie nur dann begünstigte Drittstaatsangehörige im Sinn des FPG sind, wenn der österreichische Staatsbürger sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat und dem Angehörigen Unterhalt tatsächlich gewährt wird. Schon im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer, der laut den Feststellungen der belangten Behörde einer Erwerbstätigkeit nachgeht, nicht behauptet, von seinem Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft Unterhalt zu beziehen, bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Tatbestand des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG erfüllt sei.

2.1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zu den beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 11. Mai 2004 und 7. Dezember 2004 wegen der Begehung von Körperverletzungsdelikten begegnet die - unbekämpfte -

Beurteilung, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG (in mehrfacher Hinsicht) verwirklicht sei, keinem Einwand.

2.2. Nach diesen Feststellungen hat der Beschwerdeführer am 15. Juli 2003 einem anderen mit einem Messer dreimal in den Bauch sowie in den linken Oberschenkel und den Unterschenkel gestoßen und ihn dadurch absichtlich schwer verletzt. Ferner hat er eine weitere Person zu Boden gestoßen und vorsätzlich am Körper misshandelt, wodurch er diese fahrlässig verletzt hat. Obwohl er wegen dieser massiven Gewalthandlungen am 11. Mai 2004 zu einer Geldstrafe und einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden war, konnte ihn dies nicht davon abhalten, nur eine Woche nach dieser Verurteilung neuerlich in einschlägiger und massiver Weise straffällig zu werden. So fügte er zwei anderen Personen absichtlich schwere Körperverletzungen zu, indem er mit einem Küchenmesser auf diese - wie oben (I. 1.) dargestellt -, so u. a. in die linke Brustkorbhälfte eines seiner Opfer, einstach.

Im Hinblick auf dieses massive Gesamtfehlverhalten und die sich daraus ergebende Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass in Anbetracht der schweren Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung (und Sicherheit) die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken. Da die Fremdenpolizeibehörden ihre Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von Erwägungen betreffend eine bedingte Entlassung des Fremden aus der Haft zu treffen haben (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2009, Zl. 2008/18/0760, mwN), ist das Beschwerdevorbringen, dass der Beschwerdeführer die über ihn verhängte Freiheitsstrafe von 18 Monaten zum Teil verbüßt habe und infolge guter Führung während der Haft vorzeitig bedingt entlassen worden sei, nicht zielführend. Ferner war - bezogen auf den hier entscheidungswesentlichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - der seit der letzten Straftat des Beschwerdeführers verstrichene Zeitraum in Anbetracht seines schnellen Rückfalls bei weitem noch zu kurz, um von einem Wegfall oder auch nur von einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr sprechen zu können, zumal die Zeit, die der Beschwerdeführer im Strafvollzug verbracht hat, bei der Betrachtung des behaupteten Wohlverhaltens außer Betracht zu lassen ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/18/0511, mwN).

3. Bei der Interessenabwägung nach § 60 Abs. 6 FPG iVm § 66 Abs. 1 und 2 leg. cit. hat die belangte Behörde die lange Dauer des inländischen Aufenthaltes mit seiner Familie seit Ende 1991 sowie seine familiären Bindungen zu seiner Ehefrau, seinen Kindern und seinen Enkelkindern und den Umstand, dass er einer Erwerbstätigkeit nachgeht, berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen. Ebenso zutreffend hat sie jedoch die Auffassung vertreten, dass in Anbetracht des wiederholten, massiven strafbaren Verhaltens, bei dem der Beschwerdeführer wiederholt andere Personen absichtlich schwer am Körper verletzt hat, und seiner sich darin manifestierenden Gewaltbereitschaft die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen ihn dringend geboten und gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei. Diesem großen öffentlichen Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes (Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz der körperlichen Integrität anderer) stehen die obgenannten persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegenüber. Wenngleich diese schwer wiegen, kommt ihnen doch kein größeres Gewicht zu als dem gegenläufigen öffentlichen Interesse, sodass auch § 66 Abs. 2 FPG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegensteht, dies auch dann, wenn man bei dieser Beurteilung den behaupteten Umstand berücksichtigte, dass ein Familienmitglied des Beschwerdeführers österreichischer Staatsbürger sei und die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an ein weiteres volljähriges Kind bevorstehe.

4. Ferner steht § 61 Z. 3 FPG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer, wie oben dargestellt, wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden ist.

5. In Anbetracht der genannten Verurteilungen des Beschwerdeführers und der diesen zugrundeliegenden massiven Körperverletzungen kann auch nicht der Ansicht der belangten Behörde entgegengetreten werden, dass eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensübung nach § 60 Abs. 1 FPG die öffentliche Ordnung (und Sicherheit) zu schwer beeinträchtigt hätte, zumal auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers im Sinn des § 55 Abs. 3 FPG eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme nicht im Sinne des Gesetzes gelegen wäre (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2008, Zl. 2007/18/0016, mwN).

6. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 11. Mai 2009

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