VwGH 2006/10/0220

VwGH2006/10/02209.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der S in Wien, vertreten durch die Sachwalterin I, diese vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 6. September 2006, Zl. UVS-SOZ/V/7/7227/2006/1, betreffend Kostenbeitrag nach dem Wiener Behindertengesetz (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 8. November 2000 des Magistrats der Stadt Wien wurde der Beschwerdeführerin die Wohnheimunterbringung in einer anerkannten Institution gemäß § 24 Wiener Behindertengesetz, LGBl. Nr. 16/1986 (WBHG), und mit Bescheid vom 8. Februar 2001 des Magistrats der Stadt Wien Beschäftigungstherapie gemäß § 22 WBHG bewilligt.

1.2. Die Beschwerdeführerin nutzte seit dem Jahr 2000 einen betreuten Wohnplatz des Vereins "Die Lebenshilfe Wien".

Der Verein "Die Lebenshilfe Wien" (in der Folge: "der Verein") ist eine vom Land Wien anerkannte Einrichtung. Für die Wohnheimunterbringung musste die Beschwerdeführerin einen Kostenbeitrag gemäß § 43 WBHG an die Stadt Wien leisten. Darüber hinaus hatte sie an den Verein auf Grund einer privatrechtlichen Vereinbarung einen Eigenbeitrag in der Höhe von EUR 232,-- zu leisten. Dieser Beitrag wurde als "Wohnhausbeitrag" bezeichnet.

1.3. Von der Stadt Wien wurde statt bis dahin monatlich EUR 387,30 ab dem 1. Jänner 2006 EUR 404,82 als Kostenbeitrag einbehalten. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom 18. August 2005 die Herabsetzung des Kostenbeitrages gemäß § 24 WBHG um die Höhe des von ihr zu entrichtenden sog. Wohnhausbeitrages.

1.4. Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 9. Jänner 2006 wurde dieser Antrag abgewiesen.

1.5. Über Berufung der Beschwerdeführerin hob die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den erstinstanzlichen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass an der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde kein Vertreter der Behörde erster Instanz teilgenommen habe sowie dass nicht alle Umstände aufgeklärt hätten werden können, weil zwischen der Entscheidung der Behörde erster Instanz und der mündlichen Verhandlung "mehr als ein halbes Jahr" gelegen sei.

Da der Sachverhalt "in mancherlei Hinsicht doch nur mangelhaft festgestellt" habe werden können, sei nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen gewesen.

1.6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

1.7. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist. Für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG genügt es nicht, wenn die von der Behörde "in rechtlicher Gebundenheit" vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw. Vernehmung unvermeidlich ist, zutrifft; es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Ermessensentscheidung, die als notwendig erachteten Verfahrensschritte nicht selbst oder durch ersuchte Behörden durchzuführen, sondern die Sache zu diesem Zweck an die Erstbehörde zurückzuverweisen, - insbesondere unter Bedachtnahme des § 66 Abs. 3 AVG - nicht im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG rechtswidrig ist. Einem zurückweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200, vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, und vom 20. April 2006, Zl. 2003/01/0285, sowie Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1238, § 66 AVG Anm. 1 bis 8, insbesondere die auf Seite 1239 wieder gegebenen Materialien zur Stammfassung des § 66 AVG).

2.2. Liegen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG nicht vor, so hat die Berufungsbehörde die Mängel zu beheben, insbesondere notwendige Ermittlungen nachzutragen. Ob diese Voraussetzung zutrifft, hat die Berufungsbehörde danach zu beurteilen, ob zur Klärung des (mangelhaften) Sachverhalts die Durchführung (Wiederholung) einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat etwa die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG zur "Auseinandersetzung mit dem jüngsten Ermittlungsstand" bei Vorliegen mangelhafter Gutachten als nicht gerechtfertigt angesehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2008, Zl. 2007/20/0205). In ähnlicher Weise rechtfertigt aber im vorliegenden Fall der Umstand, dass noch einige der belangten Behörde für die Entscheidung wesentlich erscheinende (im Übrigen in der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht konkret dargelegte) Sachfragen ungeklärt waren, für sich allein noch nicht die Annahme, dass zur Abklärung dieser Fragen eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre.

2.3. Die von der belangten Behörde angegebenen Gründe für die Aufhebung und Zurückverweisung sind nicht geeignet, die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung darzutun. Es ist nicht ersichtlich, wieso die Erhebung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts (wie die Höhe des von der Beschwerdeführerin zu entrichtenden Kostenbeitrags, dessen tatsächliche Entrichtung, die näheren Umstände ihrer Unterbringung oder ihre finanziellen Verhältnisse) oder die Erörterung der Rechtsfragen die neuerliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfordert hätte.

Auch der Hinweis, dass zwischen der Entscheidung der Behörde erster Instanz und der mündlichen Verhandlung mehr als ein halbes Jahr gelegen sei, nennt keinen Umstand, der ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG begründen könnte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 9. September 2009

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