VwGH 2008/23/0280

VwGH2008/23/028010.12.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der A J in G, geboren am 4. April 1983, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. November 2005, Zl. 265.800/0-IV/11/05, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §32 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §32 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern im Jänner 2005 über die weißrussisch/polnische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein und beantragte am 21. Jänner 2005 in Polen Asyl. Im Folgenden gelangte sie über die Slowakei, wo sie am 12. September 2005 ebenfalls um Asyl ansuchte, am 15. September 2005 in das Bundesgebiet und brachte am selben Tag einen (weiteren) Asylantrag ein.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) zurück, erklärte "zur Prüfung" des Asylantrages Polen für zuständig und wies sie dorthin aus.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Gemäß § 24b Abs. 1 AsylG (in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) ist das Asylverfahren zuzulassen, wenn sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte.

2. Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. November 2008, Zl. 2006/19/0497, die hg. Judikatur in ihren wesentlichen Aussagen zusammengefasst. Auf diese Entscheidung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

3. Zur Frage einer möglichen Traumatisierung der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung aus, dass die Beschwerdeführerin "in ihren Einvernahmen im Zulassungsverfahren keine Umstände aufgezeigt (habe), wonach sie Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, womit hier auch durch die in diese Richtung gehenden Berufungsbehauptungen nichts zu gewinnen" sei.

Eine fachkundige Untersuchung der Beschwerdeführerin zur Klärung dieser Frage hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht stattgefunden. Das ist - für sich betrachtet - nicht zu beanstanden, solange sich im Verfahren vor den Asylbehörden keine Anhaltspunkte für das Vorliegen medizinisch belegbarer Tatsachen, die insbesondere auf eine Traumatisierung der Beschwerdeführerin durch die fluchtauslösenden Ereignisse hindeuten, ergeben haben.

Wenn die belangte Behörde allerdings davon ausging, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Berufung (gemeint offenkundig ihre Behauptung, "psychisch völlig am Boden" zu sein und "auch unter panikartigen Zuständen" zu leiden) in "Richtung" einer möglichen Traumatisierung geht, so ist nicht nachvollziehbar, warum sie allein aus dem Umstand, dass dieses Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht erstattet worden war, auf dessen Irrelevanz schloss und keine ärztliche Untersuchung für angezeigt hielt. Dazu hätte es jedenfalls einer Auseinandersetzung mit der für die Annahme eines Neuerungsverbotes erforderlichen Missbrauchsabsicht bedurft (vgl. dazu aber insbesondere das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0675, mwN), die der angefochtene Bescheid vermissen lässt.

Der angefochtene Bescheid war daher schon auf Grund dieses Begründungsmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 10. Dezember 2008

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