VwGH 2008/06/0089

VwGH2008/06/00899.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des J H in K, vertreten durch Dr. Herbert L. Partl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Gänsbacherstraße 6, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 8. April 2008, Zl. Ve-1-8-1/438-1, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. mj. M M, vertreten durch seinen Vater J M in K, 2. Gemeinde K, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
AVG §42 Abs1;
AVG §42 Abs2;
BauO Tir 2001 §25 Abs3;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §13a;
AVG §42 Abs1;
AVG §42 Abs2;
BauO Tir 2001 §25 Abs3;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid des Bürgermeisters 6. Juni 2007 wurde dem Erstmitbeteiligten die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Anbaues an einem Haus auf einem Grundstück im Gemeindegebiet erteilt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer, der Eigentümer eines angrenzenden Grundstückes ist, vertreten durch einen Rechtsanwalt Berufung. Mit dem Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes vom 12. Juli 2007 wurde der erstinstanzliche Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen.

Daraufhin brachte der Erstmitbeteiligte ein neues Baugesuch vom 2. August 2007 ein (das am selben Tag bei der Behörde einlangte; es geht um den Abbruch der bestehenden Garage und den Neubau einer Doppelgarage, sowie um die Erweiterung des bestehenden Wohnhauses).

Mit Erledigung vom 9. August 2007 wurde die Bauverhandlung für den 24. August 2007 anberaumt. Die Ladung/Kundmachung enthält den Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG (allerdings in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 10/2004 - "soweit" statt "wenn"). Sie wurde dem Beschwerdeführer zu Handen jenes Rechtsanwaltes zugesandt, der ihn im vorangegangenen Berufungsverfahren vertreten hatte; eine "doppelte Kundmachung" im Sinne des § 42 Abs. 1 AVG erfolgte nicht.

In der Bauverhandlung war der Beschwerdeführer unvertreten und wendete gemäß der Niederschrift (lediglich) ein, er verweise darauf, dass kein Zufahrtsrecht für ein bestimmtes Grundstück bestehe, sondern dieses nur auf zwei anderen näher bezeichneten Grundstücken "eingetragen" sei.

Der Bürgermeister erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 27. August 2007 die angestrebte Bewilligung mit einer Reihe von Vorschreibungen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung (samt Nachtrag vom selben Tag), in welcher er sein Vorbringen erweiterte und auch, allerdings unter Bezugnahme auf einen Baubewilligungsbescheid vom 5. Juni 1975, die Nichteinhaltung von Mindestabständen thematisierte.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom 15. Oktober 2007 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Dagegen erhob der weiterhin unvertretene Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurde. Insoweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, wird dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer in der Bauverhandlung vom 24. August 2004 lediglich vorgebracht habe, dass für die bestehende Zufahrt zum Baugrundstück über ein bestimmtes Grundstück kein Fahrrecht bestehe, und er somit keine zulässige, die Parteistellung wahrende Einwendung im Sinne des § 42 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 25 TBO 2001 geltend gemacht habe. Er habe somit mangels rechtzeitiger Erhebung zulässiger Einwendungen seine Parteistellung verloren, sodass die Berufungsbehörde seine Berufung richtigerweise als unzulässig zurück und nicht als unbegründet hätte abweisen müssen; dadurch sei der Beschwerdeführer aber in keinen Rechten verletzt worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, uva.). Das gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 42 AVG idF seit der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 die Parteistellung behalten hat.

Im Beschwerdefall ist die Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001), LGBl. Nr. 94 (Wiederverlautbarung), in der Fassung LGBl. Nr. 60/2005 anzuwenden.

§ 25 Abs. 3 TBO 2001 lautet:

"(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:

a) der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. b) der Bestimmungen über den Brandschutz;
  2. c) der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Baufluchtlinien, der Baugrenzlinien, der Bauweise und der Bauhöhe;
  3. d) der Abstandsbestimmungen des § 6;
  4. e) im Fall, dass ein allgemeiner Bebauungsplan und ein ergänzender Bebauungsplan oder ein Bebauungsplan mit den Festlegungen des allgemeinen und des ergänzenden Bebauungsplanes nicht bestehen, das Fehlen der Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 oder § 113 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001."

    § 42 AVG lautet auszugsweise (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 10/2004):

"§ 42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, wenn sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt; § 13 Abs. 5 zweiter Satz ist nicht anwendbar. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, daß ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt.

(2) Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß Abs. 1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.

(3) ..."

Der Beschwerdeführer meint, die von der belangten Behörde angenommene Präklusion bewirke nicht den Verlust der Parteistellung (Hinweis auf Walther/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, Entscheidungen Gruppe 8 zu § 42 AVG = E 107 ff), und es sich außerdem um ein fortgesetztes Verfahren im "zweiten Rechtsgang" handle, sodass auch auf die im früheren Rechtsgang erhobenen Einwendungen Bedacht zu nehmen gewesen wäre. Schließlich hätten auch die Baubehörden ihre Manuduktionspflicht verletzt, weil sie den Beschwerdeführer nicht angeleitet hätten, entsprechende Einwendungen zu formulieren.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass eine Präklusion nicht den Verlust der Parteistellung bewirken könne, bezieht sich auf eine frühere, hier nicht mehr maßgebliche Rechtslage (nämlich vor der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998).

Das Verfahren, um das es hier geht, wurde formell durch ein neues Baugesuch (vom 2. August 2007) eingeleitet, ist daher formell als neues eigenständiges Verfahren anzusehen und nicht als "zweiter Rechtsgang" zu einem früheren Verfahren.

In diesem neuen Verfahren konnte die von der belangten Behörde angenommene Präklusion mangels einer "doppelten Kundmachung" nur eintreten, wenn der Beschwerdeführer im Sinne des § 42 Abs. 2 AVG rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten hatte. Das hat sich aber aus dem bisherigen Verfahrensgang nicht ergeben:

Da es sich hier formell um ein neues Verfahren handelte, hatte dies zur Folge, dass die Behörde nicht davon ausgehen konnte, die im früheren Verfahren vom Beschwerdeführer seinen Rechtsfreund erteilte Vollmacht gelte auch - sozusagen "automatisch" - für das nunmehrige, neue Verfahren. Dies trifft nämlich nicht zu, weil sich eine Bevollmächtigung auf das jeweilige Verfahren bezieht, in dem der Bevollmächtigte der Hinweis auf eine solche Vollmacht eingeschritten ist (siehe die umfangreiche Judikatur in Walter/Thienel, aaO, E 115 ff zu § 10 AVG). Erhebungen, die ergeben hätten, dass der Rechtsfreund des Beschwerdeführers auch im nunmehrigen, neuen Bauverfahren vertrete, werden jedenfalls nicht behauptet und sind den Akten auch nicht zu entnehmen. Das bedeutet, dass die Kundmachung/Ladung zur Bauverhandlung dem Beschwerdeführer persönlich zuzustellen gewesen wäre und nicht an den Rechtsanwalt, der ihn im früheren Verfahren vertreten hatte. Der Beschwerdeführer hat zwar offensichtlich irgendwie von der Verhandlung erfahren, weil er daran teilgenommen hat, nur ist den Akten nicht zu entnehmen, dass er rechtzeitig vor der Verhandlung im Sinne des § 42 Abs. 2 AVG eine Verständigung mit den Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs. 1 leg. cit. erhalten hätte.

Richtig ist die Auffassung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer in der Bauverhandlung vom 24. August 2007 keine Einwendung im Sinne des taxativen Kataloges des § 25 Abs. 3 TBO 2001 erhoben hat, sodass er mit diesem Vorbringen die Parteistellung nicht behalten hätte. Da es sich, wie dargelegt, um ein neues Bauverfahren handelt, gelten Einwendungen, die in früheren Verfahren erhoben wurden, nicht allein deshalb auch schon als im nunmehrigen Verfahren erhoben. Vielmehr bedarf es neuerlicher Einwendungen (oder zumindest eines ausreichend klaren Vorbringens, dass die früheren Einwendungen aufrechterhalten werden). Sofern Präklusion nicht anzunehmen sein sollte (was sich, wie gesagt, nicht ergeben hat), wäre das Vorbringen im Berufungsverfahren allerdings auslegungsbedürftig, und es wäre erforderlichenfalls auf eine Klarstellung zu dringen.

Hatte der in der Bauverhandlung unvertretene Beschwerdeführer nicht im Sinne des § 42 Abs. 2 AVG rechtzeitig vor der Verhandlung eine Verständigung mit dem Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs. 1 leg. cit. erhalten, war die Behörde verpflichtet, ihn in der Verhandlung darüber zu belehren, dass er zur Wahrung seiner nachbarlichen Interessen Einwendungen gegen das Vorhaben erheben müsse. Die Manuduktionspflicht der Behörde geht aber nicht so weit, dass eine Partei zur inhaltlichen Ausgestaltung von Einwendungen angeleitet werden müsste, auch nicht dahin, sie zu weiteren Einwendungen anzuleiten (siehe dazu die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens6, in E 3d, 6a und 7 bis 9b zu § 13 a AVG wiedergegebene hg. Judikatur).

Da die belangte Behörde nicht erkannte, dass die Verfahrensergebnisse für die Annahme eines Verlustes der Parteistellung des Beschwerdeführers unzureichend sind, dies vielmehr ungeprüft ließ und sich auch nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich auseinander setzte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 9. September 2008

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