Normen
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
ASVG §5 Abs2;
EStG §2 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 litb;
AlVG 1977 §12 Abs6 litc;
ASVG §5 Abs2;
EStG §2 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die in Bezug von Notstandshilfe stehende Beschwerdeführerin war laut einem im Verwaltungsakt befindlichen Auszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über ihre Versicherungszeiten vom 12. Juni 2006 vom 1. Jänner 2004 bis zum 31. Mai 2006 "selbständig GS".
Mit Schreiben vom 12. Juni 2006, 28. Juni 2006, 21. August 2006 und 4. September 2006 forderte das Arbeitsmarktservice Niederösterreich, Regionale Geschäftsstelle Melk (in der Folge: AMS Melk) die Beschwerdeführerin auf, ihre Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide zur Überprüfung ihres Leistungsanspruches zu übermitteln. Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin nicht nach.
Das AMS Melk forderte daraufhin die Bescheide vom zuständigen Finanzamt an. Aus dem Umsatzsteuerbescheid der Beschwerdeführerin für das Jahr 2004 vom 11. Mai 2006 geht hervor, dass die Umsatzsteuer für das Jahr 2004 mit EUR 0,-- festgesetzt wurde wobei der Gesamtbetrag der Bemessungsgrundlagen für Lieferungen und sonstige Leistungen EUR 20.000,-- betrug, wovon EUR 20.000,-- steuerfrei waren. Aus dem Einkommensteuerbescheid der Beschwerdeführerin für das Jahr 2004 vom 11. Mai 2006 geht hervor, dass die Einkommensteuer für das Jahr 2004 mit EUR 0,-- festgesetzt wurde, wobei Einkünfte aus Gewebebetrieb in der Höhe von EUR 6.000,- erzielt wurden. Das Einkommen betrug nach Abzug des Pauschbetrages für Sonderausgaben EUR 5.940,--. Aus der Begründung beider Bescheide geht hervor, dass die Besteuerungsgrundlage wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen gemäß § 184 BAO im Schätzwege ermittelt wurde. Beide Bescheide wurden von der Beschwerdeführerin nicht bekämpft.
Mit Bescheid des AMS Melk vom 18. Oktober 2006 wurde der Bezug der Notstandshilfe der Beschwerdeführerin vom 1. Jänner 2004 bis zum 13. Februar 2004 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt sowie die unberechtigt empfangene Notstandshilfe in Höhe von EUR 913,-- rückgefordert. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin laut den Umsatz- und Einkommensteuerbescheiden für das Jahr 2004 "über der Geringfügigkeitsgrenze selbständig erwerbstätig gewesen" sei. Daher sei die Notstandshilfe für den genannten Zeitraum zu Unrecht bezogen worden.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, sie habe weder Leistungen unberechtigterweise empfangen noch durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt. Sie habe zwar am 1. Jänner 2004 einen Gewerbeschein gelöst, habe dadurch aber kein Einkommen erzielt. Nicht nur, dass ihr Lokal "leer" gewesen sei, habe sie vom Lebensmittelinspektor Auflagen bekommen, das Lokal ausmalen lassen, und von der Bezirkshauptmannschaft Melk habe sie wegen der Neuübernahme eine Betriebsanlagengenehmigung einholen müssen. Mit den "Auflagen und Einholungen" habe sie bis 13. Februar 2004 "alle Hände voll zu tun gehabt" und zu dieser Zeit kein eigenes Einkommen erzielt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger selbständig erwerbstätig gewesen und habe gemäß ihrem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 anteilsmäßige Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in der Höhe von EUR 495,-- im Monat bezogen und die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Die Voraussetzung der Arbeitslosigkeit gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG für den Bezug von Notstandshilfe sei daher nicht erfüllt und Arbeitslosigkeit liege nicht vor. Gemäß § 24 AlVG sei die Leistung für den gegenständlichen Zeitraum zu widerrufen gewesen. Dem AMS Melk sei die selbständige Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin nicht bekannt gewesen, und es seien vom Finanzamt in weiterer Folge Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt worden. Durch die Nichtbekanntgabe der Erwerbstätigkeit habe die Beschwerdeführerin den Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz Fall eins und zwei (Verschweigung maßgebender Tatsachen) iVm § 50 AlVG erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt nicht als arbeitslos, wer selbstständig erwerbstätig ist.
Gemäß § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt als arbeitslos jedoch, wer selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.
Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Der Empfänger einer Leistung nach dem AlVG ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen.
Gemäß § 38 AlVG sind die oben genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Unter selbständiger Erwerbstätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine "Arbeitsleistung" zu verstehen, welche die Schaffung von Einkünften in Geld oder sonstigen Gütern bezweckt, wobei es rechtlich belanglos ist, ob dieser Zweck auch regelmäßig erfüllt und in welchem Ausmaß er erreicht wird. Der Frage, ob die Beschwerdeführerin im beschwerdegegenständlichen Zeitraum des Bezuges von Arbeitslosengeld Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in einem die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Ausmaß bezogen hat, ist somit gedanklich vorgelagert, ob sie in diesem Zeitraum überhaupt selbständig erwerbstätig gewesen ist. Dabei kommt es zwar nicht auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zufließens von Einkünften aus einer solchen selbständigen Erwerbstätigkeit (also nicht auf den Zeitpunkt der Umsätze) an, wohl aber - wenn die selbständige Erwerbstätigkeit erst begonnen wurde - auf jenen Zeitpunkt, in dem eine solche Tätigkeit erstmals entfaltet worden ist, das heißt, ab welchem Zeitpunkt die im Rahmen der selbständigen Erwerbstätigkeit von der Beschwerdeführerin beabsichtigten Leistungen erstmals nach außen zu Tage tretend zumindest angeboten wurden. Gemäß § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Einkommensteuer "das Einkommen zugrunde zu legen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat". Die im Einkommensteuerrecht maßgebende Periode ist somit (unbeschadet der Frage des Gewinnermittlungszeitraumes im Sinne des § 2 Abs. 5 bis 7 EStG 1988) immer das ganze Kalenderjahr, nicht aber Teile davon. Aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2004 ein Einkommen bzw. Umsätze erzielt hat, ist daher kein weiterer Rückschluss auf den tatsächlichen Beginn ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit zu ziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0260).
In dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, dass es freilich beim Beschwerdeführer liege, der belangten Behörde alle jene Umstände darzulegen, aus denen sich ein tatsächlich späterer Beginn der Aufnahme seiner selbständigen Erwerbstätigkeit (im oben beschriebenen Sinne) ergibt. Dafür könnten die Fragen der Anmietung des Geschäftslokales, der Lieferung der Büroeinrichtung oder der erstmaligen nach außen zutage getretenen Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit in Verbindung mit der erstmaligen Erzielung von Umsätzen von Bedeutung sein. Der Verwaltungsgerichtshof führte auf den damaligen Sachverhalt bezogen aus, dass, sollte der Beschwerdeführer - wie er behauptet hat - zunächst ausschließlich Vorbereitungsarbeiten für die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit durchgeführt und keine Umsatzgeschäfte getätigt haben sowie bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht durch das Anbieten seiner gewerblichen Leistungen nach außen in Erscheinung getreten sein, jedenfalls bis zum behaupteten Ende der reinen Vorbereitungshandlungen (ungeachtet der Periodizität der steuerlichen Veranlagung) eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b AlVG noch nicht angenommen werden könne.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung dargelegt, dass sie bis zum 13. Februar 2004 "kein eigenes Einkommen erzielen" konnte, weil sie mit "diesen Auflagen und Einholungen alle Hände voll zu tun" gehabt habe. Die belangte Behörde hat sich aber trotz dieses Vorbringens der Beschwerdeführerin, das offensichtlich darauf abzielt, dass sie im fraglichen Zeitraum (noch) nicht selbständig erwerbstätig war sondern nur Vorbereitungshandlungen wie Ausmalen, Erledigung von Amtswegen etc. getätigt habe bzw. das Lokal in gar keinem betriebsbereiten Zustand war, nicht ausreichend mit der Frage, ob überhaupt schon eine selbständige Erwerbstätigkeit vorlag, insbesondere das Lokal geöffnet war, auseinandergesetzt. Daraus, dass die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide der Beschwerdeführerin für das Jahr 2004 ein Einkommen bzw. Umsätze ausweisen, durfte sie in Anbetracht dieses Vorbringens nicht schließen, dass die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Zeitraum (schon) selbständig erwerbstätig war. Auch das Vorliegen einer Versicherungspflicht nach dem GSVG sagt nicht unbedingt etwas über eine selbständige Erwerbstätigkeit im oben genannten Sinne aus, tritt eine solche doch gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG iVm § 2 Abs. 2 Wirtschaftskammergesetz 1998 bereits mit der Anmeldung des Gewerbes und der damit verbundenen Mitgliedschaft in der Kammer der gewerblichen Wirtschaft ein.
Da der angefochtene Bescheid somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig ist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Oktober 2008
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