VwGH 2006/15/0067

VwGH2006/15/006717.4.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Michael R. Friedrich, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1090 Wien, Währinger Straße 28, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom 11. November 2003, GZ. RV/0127-I/02, betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer für die Jahre 1998 und 1999, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §257;
BAO §258 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
BAO §257;
BAO §258 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist der Berufung eines Kreditinstitutes beigetreten, welches mit Bescheid des Finanzamtes vom 3. Februar 2000 zur Haftung für Kapitalertragsteuer herangezogen wurde.

Der Bescheidbegründung ist zu entnehmen, dass "einem Kunden" beim Erwerb von ausländischen Nullkuponanleihen für die bereits verstrichene Laufzeit die Kapitalertragsteuer gutgeschrieben worden sei. Die Wertpapiere seien aber nicht im Depot belassen, sondern "regelmäßig einige Tage bzw. Wochen nach dem Erwerb auf Wunsch des Kunden" diesem in effektiven Stücken ausgehändigt worden. Für die zum Zeitpunkt der Aushändigung aufgelaufenen Zinsen sei bei der Entnahme Kapitalertragsteuer zu Unrecht weder einbehalten noch abgeführt worden. Das Kreditinstitut habe daher als der zum Abzug Verpflichtete den Haftungstatbestand des § 95 Abs. 2 EStG 1988 verwirklicht.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung fand bei dem Kreditinstitut eine abgabenbehördliche Nachschau statt. In der darüber aufgenommenen Niederschrift vom 23. Juli 2001 wird ausgeführt, "der Kunde" habe im Zusammenhang mit dem Erwerb näher bezeichneter Nullkuponanleihen "ausdrücklich eine Kapitalertragsteuergutschrift i.S.d. Abschn. 4.3 Abs. 2 i.V.m. Abschn. 4.5 Abs. 2 des BMfF-Erlasses Z 14 0602/1-IV/14/93 v. 12.2.1993" begehrt. Die derart - unter Annahme einer linearen Verzinsung - ermittelten Kapitalertragsteuergutschriften hätten insgesamt 54,889.050,99 S betragen und seien vom Kreditinstitut beim FA Innsbruck geltend gemacht worden. Eine Berechnung nach der finanzmathematischen Methode hätte hingegen lediglich einen Gutschriftbetrag von 15,340.095 S ergeben. Anlässlich der Ausfolgung der Wertpapiere habe das Kreditinstitut ursprünglich keine Kapitalertragsteuer einbehalten. In Schreiben vom 27. Oktober 1999 und 22. November 1999 habe das Kreditinstitut hingegen die Ansicht vertreten, dass die Entnahme von ausländischen Wertpapieren aus einem inländischen Depot als Veräußerung anzusehen und dieser Vorgang der Kapitalertragsteuer zu unterwerfen sei. Gleichzeitig habe das Kreditinstitut die Festsetzung der Kapitalertragsteuer beantragt und die Kapitalertragsteuer "nach der linearen Methode" berechnet. Auf Grund der Ermittlung des Prüfers seien einzelne näher dargestellte Änderungen vorzunehmen und der anteilige Zinsertrag nach der "finanzmathematischen Methode" abzurechnen.

In einer Eingabe vom 27. September 2001 traten die Rechtsvertreter des Kreditinstitutes diesen Ausführungen entgegen. Auf Seiten des Erwerbers lägen "rückgängig gemachte Kapitalerträge" im Sinne des § 95 Abs. 6 EStG 1988 vor. Die geltend gemachten Kapitalertragsteuergutschriften seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die erstmals in einer "BMF-Erledigung" vom 23. August 2000 vertretene und nunmehr auch in die EStR 2000 aufgenommene Verpflichtung zu einer finanzmathematischen Berechnung der Kapitalertragsteuer lasse sich aus dem Gesetz nicht zwingend ableiten. Die Verwaltungspraxis habe die lineare Abrechnung wiederholt für zulässig erklärt und auch bei dem gegenständlichen Kreditinstitut in der Vergangenheit nicht beanstandet. Die geänderte Beurteilung verstoße daher in Bezug auf die in der Vergangenheit gelegenen Zeiträume gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Überdies sei die Annahme einer Kapitalertragsteuerpflicht bei Depotentnahme der Wertpapiere aus näher dargestellten Gründen rechtswidrig.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Weiters änderte sie den Bescheid des Finanzamtes insoweit ab, als sie den Haftungsbetrag auf insgesamt 394.412,38 EUR für 1998 und 3,460.597,08 EUR für 1999 verringerte.

Bei Nullkuponanleihen falle der gesamte Zahlungsstrom, bestehend aus Kapitalerträgen und Zinserträgen erst am Ende der Laufzeit an. Werde eine Nullkuponanleihe jedoch vor dem Laufzeitende veräußert, so würden in der Regel im Kaufpreis auch anteilige Kapitalerträge abgegolten. Die Verwaltungspraxis gehe davon aus, dass bei einem vorzeitigen Verkauf für den zeitanteiligen Kapitalertrag des Veräußerers im Zeitpunkt der Veräußerung Kapitalertragsteuerpflicht bestehe. Beim Erwerber der Nullkuponanleihe würden die im Kaufpreis enthaltenen anteiligen Kapitalerträge nach der Verwaltungspraxis als (vorweg) rückgängig gemachter Kapitalertrag angesehen; dies ergebe sich daraus, dass der später mit Einlösung der Anleihe erhaltene volle Kapitalertrag durch die Bezahlung der bisher angefallenen Zinsen vorbelastet sei. Der Erwerber erhalte daher - schon beim Kauf der Anleihe - eine auf die Stückzinsen entfallende Kapitalertragsteuergutschrift. Da am Ende der Laufzeit der Nullkuponanleihe Kapitalertragsteuer für den gesamten Unterschiedsbetrag zwischen Ausgabepreis und Einlösungswert anfalle, solle durch diese Gutschrift erreicht werden, dass die Steuerbelastung nur den Kapitalerträgen jenes Zeitraumes entspreche, in dem ein Steuerpflichtiger die Nullkuponanleihe auch tatsächlich gehalten habe.

Entgegen der Ansicht von Marschner (in ÖStZ 2002/381) seien auch Depotentnahmen kapitalertragsteuerpflichtig. Die gesetzliche Fiktion der Veräußerung im Sinne des § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 knüpfe an die Meldung von Umständen an, welche die Abzugspflicht beendeten oder begründeten. Da die kuponauszahlende Stelle begründet werde, indem ein inländisches Kreditinstitut das Forderungswertpapier oder den Zinskupon verwahre oder verwalte, müsse die Entnahme des Wertpapiers aus dem Depot dieses Kreditinstitutes als Beendigung seiner Stellung als kuponauszahlende Stelle - bezogen auf das entnommene Wertpapier - gesehen werden. Zwar setze das Entstehen einer Kapitalertragsteuerpflicht nicht notwendig voraus, dass das Wertpapier auf einem inländischen Depot hinterlegt sei, weil der Begriff der kuponauszahlenden Stelle allein durch das Kriterium der Auszahlung von Kapitalerträgen charakterisiert sei (§ 95 Abs. 3 Z 2 EStG 1988). Das Gesetz fingiere aber eine Veräußerung des Wertpapiers bei der Meldung von Umständen, die eine Änderung der Grundlagen für den Steuerabzug bewirkten. Die Entnahme eines (endfälligen) Wertpapiers aus dem Depot der (inländischen) Bank sei ein solcher Umstand. Denn mit Beendigung der Depotführung sei das (inländische) Kreditinstitut nicht mehr in der Lage, die Gutschrift bzw. Auszahlung von Kapitalerträgen aus diesem Wertpapier und die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer wahrzunehmen. Der weitere Verbleib des Wertpapiers entziehe sich jeglicher Kontrolle. Dass es dem Inhaber unbenommen bleibe, die Anleihe am Ende der Laufzeit bei eben jenem Kreditinstitut einzulösen, aus dessen Depot sie zuvor entnommen worden sei, ändere nichts daran, dass dessen Status als kuponauszahlende Stelle mit der Entnahme ende und bei Einlösung der Anleihe allenfalls neu begründet werde. Das Tatbestandsmerkmal der "Meldung" könne daher im Sinne eines bloßen "Kenntniserlangens" durch die depotführende Bank verstanden werden und sei bei der Entnahme von Wertpapieren aus dem Bankdepot "naturgemäß" erfüllt.

Da es sich bei der Depotentnahme um eine fiktive Veräußerung im Sinne des § 95 Abs. 4 Z. 3 EStG 1988 handle, sei ein Zahlungsfluss, wie ihn § 19 EStG 1988 verlange, nicht erforderlich.

Der Bescheid sei abzuändern, weil im Zuge der abgabenbehördlichen Nachschau hervorgekommen sei, dass das Kreditinstitut die Kapitalertragsteuer in den Streitjahren ausschließlich nach der linearen Methode berechnet habe. Diese Berechnungsform stelle - wie im angefochtenen Bescheid eingehend dargestellt - in Sachverhaltskonstellationen wie der vorliegenden keine rechtmäßige Schätzungsmethode dar. In der Heranziehung zur Haftung sei auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben zu erblicken.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers seien die Voraussetzungen des § 95 Abs. 5 EStG 1988 für eine direkte Inanspruchnahme des Empfängers der Kapitalerträge nicht gegeben, weil diese Bestimmung den hier vorliegenden Fall rückgängig gemachter Kapitalerträge nicht erfasse und zudem der Käufer der Anleihen der Abgabenbehörde auf Grund des Bankgeheimnisses zunächst auch gar nicht bekannt gewesen sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1701/03, abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Vor dem Verwaltungsgerichthof erachtet sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen in seinem Recht auf Kapitalertragsteuerfreiheit der Depotentnahmen verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass der Beschwerdeführer der Berufung des Kreditinstitutes gegen die Heranziehung zur Haftung für Kapitalertragsteuer beigetreten ist und eine Zurückweisung des Berufungsbeitrittes gemäß § 258 Abs. 2 BAO nicht erfolgte. Durch den Beitritt zur Berufung, welcher von der Behörde nicht zurückgewiesen wurde, hat der Beschwerdeführer alle Rechte eines Beitretenden gemäß § 257 BAO erworben, ohne dass der Gerichtshof aus Anlass einer Beschwerde gegen den Sachbescheid die Frage der Beitrittsberechtigung zu prüfen hat (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 13. September 2006, 2004/13/0128).

Der vorliegende Beschwerdefall gleicht hinsichtlich der relevanten Rechtsfrage jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2005/13/0075, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, zu Grunde liegt. In jenem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht erkannt, dass bereits der Wortlaut der Bestimmung des § 95 Abs. 4 Z. 3 EStG 1988, die von der "Meldung des Eintritts von Umständen" spricht, welche die Abzugspflicht beenden oder begründen, mit dem rein faktischen Vorgang einer Depotentnahme nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist, entscheidende Bedeutung aber dem Umstand zukommt, dass sich durch eine Depotentnahme allein der Status des Wertpapiers in Bezug auf die Abzugspflicht (anders als bei einer Befreiungserklärung oder Widerrufserklärung oder auch bei einem Wechsel in der persönlichen Steuerpflicht) nicht ändert. Solcherart begründet die Depotentnahme für sich keine Kapitalertragsteuerpflicht.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage können die vom Beschwerdeführer geäußerten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegen die Steuerpflicht nicht realisierter Kapitalerträge dahingestellt bleiben.

Der angefochtene Bescheid war demnach schon wegen der Vorschreibung von Kapitalertragsteuer für die Depotentnahmen von Nullkuponanleihen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. April 2008

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