Normen
AVG §13a;
MRK Art6;
VStG §51e Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §13a;
MRK Art6;
VStG §51e Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991, 20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Favoriten, vom 24. August 2005 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 12. Mai 2005 von 14.15 Uhr bis 14.25 Uhr an einem näher bezeichneten öffentlich zugänglichen Ort in Wien
1. durch den Gebrauch der Worte "Hurensohn, Nazi, Schwein usw" den öffentlichen Anstand verletzt und
2. durch Schreien ungebührlicherweise störenden Lärm erregt, der vermeidbar gewesen wäre,
wodurch er zu 1. § 1 Abs. 1 Z. 1 WLSG und zu 2. § 1 Abs. 1 Z. 2 WLSG verletzt habe. Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurden über den Beschwerdeführer zwei Verwaltungsstrafen in der Höhe von jeweils EUR 70,-- verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer eine mit "Einspruch unter Aktenzahl S 80848/F/05" bezeichnete Berufung folgenden Inhaltes:
"Begründung
Was den dienstrechtlichen Sanktionen betrifft:
Gabs sowas wirklich, bei den Fall von Herrn M U das er von der Polizei umgebracht wurde? Oder bei den zahlreichen Menschen die im Krankenhaus wegen Gehirnerschütterung liegen, die von der Polizei mißhandelt worden sind? Oder von den Beamten das sie die Leute auf dem Kopf mit dem Telefonbuch geschlagen haben?
Machens sie sich nicht lächerlich, wir wissen beide ganz genau um was es da geht! Ums Geld das sie vom mir kassieren wollten für den Polizeistaat. Ich bestehe auf meiner Aussage von damals und jetzt und sie ist aktuell! Deshalb erhebe ich meine Beschwerde an das UVS, auf den die zwei Polizisten bei den Amtshandlungen totgelacht hatten!
Hochachtungsvoll
Dipl. Ing. B S"
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und das erstinstanzliche Straferkenntnis bestätigt.
Dabei ging die belangte Behörde - ohne selbst eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt zu haben - von den von der Behörde erster Instanz getroffenen Feststellungen aus, fügte eine eigene Beweiswürdigung daran und beurteilte den Sachverhalt nach Darlegung der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen rechtlich dahingehend, dass das festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers den von der Behörde erster Instanz herangezogenen Bestimmungen des WLSG zweifellos als tatbildmäßiges Verhalten unterstellt werden könne. Es sei daher der Berufung in der Schuldfrage spruchgemäß der Erfolg zu versagen und mit Bestätigung des angefochtenen Straferkenntnisses vorzugehen gewesen.
Eine Herabsetzung der Strafen sei unter Bedachtnahme auf den angestrebten Präventionszweck und die gesetzliche Strafdrohung deswegen nicht in Betracht gezogen worden, weil durch die angelasteten Verwaltungsübertretungen das durch die Strafdrohung als schutzwürdig erkannte Interesse an der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit geschädigt worden sei. Trotz des Fehlens sonstiger nachteiliger Folgen habe daher der jeweilige objektive Unrechtsgehalt nicht als unbedeutend angesehen werden können. Auf Grund des Erscheinungsbildes habe an der Vorsätzlichkeit des Tatverhaltens kein Zweifel bestehen können. Das Verschulden habe daher auch nicht als geringfügig angesehen werden können. Im Zuge des Berufungsverfahrens seien weder besondere Milderungs- noch Erschwerungsgründe zutage getreten, in Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits einschlägig vorgemerkt aufscheine, erschienen die Strafen durchaus milde. Da der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Verhältnisse keine Angaben getätigt habe, sei die Behörde gehalten gewesen, eine entsprechende Schätzung vorzunehmen. Hierbei seien keine Gründe gegen die Annahme zumindest unterdurchschnittlicher Einkommensverhältnisse vorgefunden worden, es sei von Vermögenslosigkeit und dem Fehlen aktenkundiger gesetzlicher Sorgepflichten ausgegangen worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand, sondern beantragte lediglich die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG erwogen:
Wie sich aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut der Berufung des Beschwerdeführers ergibt, hat er zwar die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht beantragt; ein Verzicht darauf liegt allerdings auch nicht vor.
Gemäß § 51e Abs. 1 VStG hat der unabhängige Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Nach Abs. 3 dieser Gesetzesbestimmung kann der unabhängige Verwaltungssenat von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn
1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder
- 2. sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
- 3. im angefochtenen Bescheid eine EUR 500,-- nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Die belangte Behörde hat offenkundig im Hinblick auf die in erster Instanz ausgesprochene Strafhöhe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. Februar 2004, B 931/03, Slg. Nr. 17121, unter dem Blickwinkel des Art. 6 EMRK ausgesprochen hat, kann aber die Unterlassung der Antragstellung auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung dann nicht zum Nachteil und zum Verlust prozessualer Rechte der Partei führen, wenn diese zum Zeitpunkt der Einbringung ihrer Berufung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war, weil die Antragstellung (wie auch der schlüssige Verzicht auf ein Recht) die Kenntnis dieses Rechts voraussetzt.
Dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren als nicht anwaltlich vertretener Berufungswerber in seiner erkennbar nicht nur auf die Strafhöhe eingeschränkten und damit sachverhaltsbezogenen Berufung keinen ausdrücklichen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat, berechtigte daher die belangte Behörde nicht zu der Annahme, dass damit bereits ein konkludenter Verzicht auf die in Strafsachen grundsätzlich garantierte mündliche Verhandlung abgegeben worden wäre, zumal weder im erstinstanzlichen Straferkenntnis noch im Berufungsverfahren eine Belehrung über die Antragstellung stattgefunden hat; es deuten auch sonst keine Umstände darauf hin, dass der Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer Antragstellung hätte wissen müssen.
Zu Unrecht hat daher die belangte Behörde - auch unter dem Aspekt des § 51e Abs. 3 Z. 3 VStG - von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Ausmaß des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. September 2008
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