VwGH 2005/06/0146

VwGH2005/06/014626.6.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der J K in V, vertreten durch Dr. Peter Semlitsch & Dr. Wolfgang Klobassa, Rechtsanwälte in 8570 Voitsberg, Conrad von Hötzendorf-Straße 15, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 30. März 2005, Zl. FA13B-12.10 V 43 - 05/8, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. H B in V, 2. Stadtgemeinde V, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Stmk 1995 §38;
BauRallg;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §38;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstmitbeteiligte (kurz: Bauwerberin) ist Eigentümerin eines Grundstückes im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde, das teils an eine Straße und teils - nämlich seitlich - an das Grundstück der Beschwerdeführerin grenzt. Beide Grundstücke sind bebaut.

Mit Eingabe vom 1. März 1969 kamen die Rechtsvorgänger der Bauwerberin um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung eines Zubaues zu dem auf dem Grundstück bereits bestehenden Wohnhaus ein (in den Akten findet sich ein Hinweis auf eine Baubewilligung vom 9. Juni 1958). Projektgegenständlich war damals ein seitlicher Zubau über die gesamte Seite des bestehenden Gebäudes im Bereich der Grenze des Grundstückes der Beschwerdeführerin (dadurch sollte das bestehende Wohnhaus um 2,25 m verlängert werden).

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde erteilte mit dem unbekämpft gebliebenen Bescheid vom 24. März 1969 die angestrebte Baubewilligung.

Mit der nun verfahrensgegenständlichen Eingabe vom 24. September 2003, die am 25. September 2003 bei der Gemeinde einlangte, beantragte die Bauwerberin die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Umbau des bestehenden Wohnhauses, wie es sich damals als Bestand darstellte. Projektgegenständlich war und ist ein Umbau des Erdgeschoßes, das Abtragen des bestehenden für Wohnzwecke ausgebauten Dachgeschoßes und die Wiedererrichtung eines neuen Dachgeschoßes. Der Umbau im Erdgeschoß umfasst eine neue Raumeinteilung, weiters sollen an der Außenfassade neue Fensteröffnungen hergestellt und bestehende Fenster geschlossen werden. Das (im Vergleich zum Bestand im Volumen vergrößerte) Dachgeschoß soll für Wohnzwecke verwendet werden. An der Westseite (das ist die von der Straße abgewendete Längsseite des Gebäudes) wird eine Schleppgaupe eingebaut.

In der Bauverhandlung vom 16. Oktober 2003 führte der beigezogene Sachverständige aus, der neue Dachstuhl solle eine Dachneigung von 45 Grad erhalten. Die neue Traufenhöhe betrage 3,57 m und werde gegenüber dem Altbestand an der Ostseite im Bereich des abgeschleppten Vordaches um 1,25 m und gegenüber dem Hauptdach um 0,5 m erhöht. An der Westseite werde die neue Traufenhöhe gegenüber dem Altbestand ebenfalls um 0,5 m erhöht. Die Firsthöhe werde gegenüber dem Altbestand von 6,95 m um 89 cm auf 7,84 m angehoben. Im Bereich des Pultdaches (Anm.: nach dem Zusammenhang und den Plänen ist das Dach der geplanten Schleppgaupe gemeint) werde die Traufenhöhe 590,5 cm betragen. Dieser Teil des Gebäudes habe einen Abstand zur Nachbargrundgrenze von 5,27 m. Die Kniestockhöhe betrage 94 cm. Da diese unter 1,25 m liege, entstehe kein abstandsrelevantes Geschoß.

Die Beschwerdeführerin erhob Einwendungen:

Die gesetzlich vorgesehenen Gebäudehöhen würden bei den gegebenen Abständen zur Grundgrenze zum Nachbargebäude überschritten. Der Abstand des bestehenden Gebäudes zur Grundgrenze sei derzeit bereits unter dem gesetzlich vorgesehenen Mindestausmaß von 2,0 m, sodass jede weitere Gebäudeerhöhung jedenfalls unzulässig sei. Der Abstand des Gebäudes von der Grundgrenze betrage derzeit zwischen 1,9 m und 2,25 m (Anmerkung:

das ist die Entfernung des Zubaues, der Gegenstand der Baubewilligung aus dem Jahr 1969 war, zur gemeinsamen Grundgrenze). Die Beschwerdeführerin erteile keine Zustimmung zum Unterschreiten des Abstandes. Das Bauansuchen wäre daher abzuweisen.

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 13. November 2003 die angestrebte Bewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde vom Gemeinderat mit Berufungsbescheid vom 17. Dezember 2004 als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin erhob Vorstellung; die belangte Behörde gab mit Bescheid vom 11. Februar 2004 der Vorstellung Folge, behob den Berufungsbescheid vom 17. Dezember 2003 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde. So weit für das Beschwerdeverfahren erheblich, führte die belangte Behörde aus, mit der im Jahr 1969 erteilten Baubewilligung sei offensichtlich der Zubau in einem zu geringen Grenzabstand bewilligt worden. Da dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen sei, handle es sich "zwar um einen rechtswidrigen, aber dennoch rechtskräftigen" Bescheid, der nunmehr der Rechtsordnung angehöre. Allerdings gebe es für diesen Zubau keine rechtskräftige Benützungsbewilligung. Demzufolge sei nicht klar, ob der tatsächlich errichtete Zubau auch der im Jahr 1969 erteilten rechtskräftigen Baubewilligung entspreche. Sollte dieser Zubau anders als bewilligt errichtet worden sein, sei er nicht vom ursprünglich erteilten Baukonsens erfasst, was bedeutete, dass der Zubau nicht als rechtmäßig angesehen werden könnte. Da für den Zubau keine rechtskräftige Benützungsbewilligung vorliege und nicht beurteilt werden könne, ob es sich dabei um einen "rechtmäßigen Bestand" handle, sei es nicht möglich, eine Baubewilligung für die gegenständlich beantragten Umbaumaßnahmen zu erteilen. Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Grenzabstandes sei dann nicht auszuschließen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die mit dem hg. Erkenntnis vom 30. März 2005, Zl. 2004/06/0051, als unbegründet abgewiesen wurde (weil sich die Beschwerde gegen andere Gründe als den tragenden Aufhebungsgrund gerichtet hatte).

Zwischenzeitig hatte die Bauwerberin mit Eingabe vom 19. April 2004 die Erteilung der Benützungsbewilligung für den mit Bescheid vom 24. März 1969 bewilligten Zubau beantragt. Diese wurde im Hinblick auf vorgelegte Unterlagen (wonach dieser Zubau bewilligungsgemäß und den Bauvorschriften entsprechend ausgeführt worden sei) mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 27. April 2004 erteilt; darin wurde festgestellt, dass die bauliche Anlage der Bewilligung entspreche, die Ausführung vom genehmigten Projekt nicht abweiche und keine Mängel vorlägen. Dieser Bescheid erging (nur) an die Mitbeteiligte und blieb unbekämpft.

Mit weiterer Eingabe vom 28. April 2004 kam die Bauwerberin um die Feststellung des rechtmäßigen Bestandes eines weiteren Zubaues ein, und zwar eines straßenseitigen Zubaues in Anschluss an den im Jahr 1969 bewilligten Zubau über die gesamte restliche straßenseitige Längsseite des Hauses. Dieser Zubau habe jedenfalls bereits im Jahr 1974 bestanden. Hiezu beraumte der Bürgermeister mit Erledigung vom 19. Juli 2004 eine Bauverhandlung für den 5. August 2004 an, zu der u.a. auch die Beschwerdeführerin unter Hinweis darauf geladen wurde, dass nur jene Nachbarn Parteistellung behielten, die spätestens am Tag vor der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 26 Abs. 1 Stmk. BauG erhoben hätten. Die Beschwerdeführerin nahm - anwaltlich vertreten - an der Verhandlung teil und erhob keine Einwendungen.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 11. August 2004 wurde gemäß § 40 Abs. 3 Stmk. BauG festgestellt, dass es sich bei dem straßenseitigen Zubau um einen rechtmäßigen Bestand handle. Dieser Bescheid erging nur an die Mitbeteiligte und blieb unbekämpft.

Mit Berufungsbescheid des Gemeinderates vom 17. Dezember 2004 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bewilligungsbescheid vom 13. November 2003 abermals keine Folge gegeben. Nach Darstellung des Verfahrensganges heißt es zur Begründung insbesondere, in Entsprechung der Ausführungen der belangten Behörde im Vorstellungsbescheid vom 11. Februar 2004 sei von der Bauwerberin ein Antrag auf Erteilung der Benützungsbewilligung für den (1969 bewilligten) Zubau eingebracht worden. Als Nachweis "der Rechtmäßigkeit" seien die gemäß § 38 Abs. 2 Z. 1 bis 3 Stmk. BauG erforderlichen Unterlagen beigebracht worden. Daher habe die Baubehörde erster Instanz mit Bescheid vom 27. April 2004 auf Grund der Aktenlage die Benützungsbewilligung zu erteilen gehabt. In der Folge sei über Antrag der Bauwerberin die Rechtmäßigkeit des Bestandes des straßenseitigen Zubaues mit Bescheid vom 11. August 2004 festgestellt worden. Da nun die "von der Vorstellungsbehörde ungeklärten Fragen baurechtlich abgehandelt" worden seien und feststehe, dass der errichtete Zubau der ursprünglich erteilten Baubewilligung entspreche, könne neuerlich über die Berufung entschieden werden. Diese sei nicht berechtigt:

Die Planunterlagen seien ausreichend, der Beschwerdeführerin die erforderlichen Informationen zu vermitteln. Durch die vorgesehene Veränderung des Dachgeschoßes entstehe kein neues abstandsrelevantes Geschoß, die Kniestockhöhe überschreite mit 94 cm nicht das Maß von 1,25 m, die Dachneigung von 45 Grad liege unter 70 Grad. Demnach werde die Anzahl der Geschoße nicht verändert, sodass die Abstandsbestimmungen des § 13 Stmk. BauG nicht verletzt worden seien (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0197).

In ihrer Vorstellung führte die Beschwerdeführerin aus, "die Plandaten" seien in den Projektunterlagen nicht mit der erforderlichen Genauigkeit eingetragen worden, die Pläne vermittelten ihr daher nicht die erforderlichen Informationen. Entgegen der Auffassung der Berufungsbehörde verletze das Vorhaben die Abstandsbestimmungen. Der Abstand des Wohnhauses der Bauwerberin zum Grundstück der Beschwerdeführerin betrage nämlich lediglich 1,9 m bis 2,25 m und liege daher unter dem gesetzlich vorgesehenen Mindestausmaß. Eine Erhöhung des Gebäudes sei für die Beschwerdeführerin absolut unzumutbar, auch wenn der Dachausbau kein Geschoß im Sinne des Stmk. BauG darstelle. Tatsächlich sei der Kniestock zwar im Bereich außerhalb der Schleppgaupe nur 94 cm hoch, jedoch weise die Schleppgaupe selbst eine Höhe von 2,34 m auf. Aus einem "untergeordneten Dachgeschoß" werde nunmehr ein voll ausgebautes "Hauptgeschoß", was natürlich auch unzumutbare Auswirkungen auf die Belichtungsverhältnisse betreffend ihr Grundstück habe. Es wäre daher die Erhöhung "als Vollgeschoß zu rechnen gewesen". Es könne keinesfalls so sein, dass, wenn vor Jahren gesetzwidrig die Mindestabstände unterschritten worden seien, nunmehr weiter gesetzwidrig vorgegangen werden dürfe und das Nachbargebäude für die Beschwerdeführerin in unzumutbarer Weise erhöht werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet abgewiesen.

Sie führte dazu im Wesentlichen aus, die Planunterlagen seien ausreichend, um der Beschwerdeführerin jene Informationen zu vermitteln, die sie zur Verfolgung ihrer Rechte im Verwaltungsverfahren benötige. Es liege auch keine Verletzung von Abstandsvorschriften vor: Es handle sich im Beschwerdefall um einen konsentierten Bestand, was auch die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stelle. Wie die Berufungsbehörde zutreffend ausgeführt habe, entstehe durch die geplanten Änderungen im Dachgeschoß kein abstandsrelevantes Geschoß (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0197, und auf das hg. Erkenntnis vom 18. September 2003, Zl. 2001/06/0171).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 33/2002 anzuwenden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, uva.). Das gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 42 AVG seit der Novelle des AVG, BGBl. Nr. 158/1998 die Parteistellung behalten hat.

Gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. BauG kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

"1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. 2. die Abstände (§ 13);
  2. 3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
  3. 4. die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
  4. 5. die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1);

    6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6)."

    § 13 Stmk. BauG lautet auszugsweise:

"(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muss ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand).

(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, muss von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand).

(3) ...

(4) Als Geschosse in der jeweiligen Gebäudefront sind jene anzurechnen,

(5) Nicht als Geschosse anzurechnen sind an der

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